Mannheim. Die frühere Wissenschaftsministerin Theresia Bauer? Oder Umweltbürgermeisterin Diana Pretzell? Oder doch wieder den SPD-Kandidaten unterstützen? Viele Varianten waren zu hören, wie die Mannheimer Grünen bei der Oberbürgermeister-Wahl ins Rennen gehen. Jetzt ist Raymond Fojkar ihr Kandidat.
Der langjährige Stadtrat stand bislang nicht in der allervordersten Reihe, und auch in seiner zuletzt mit Grabenkämpfen beschäftigten Partei ist er offenbar nicht der Superstar, wie das schleppende Sammeln der Unterstützer-Unterschriften zeigt. Trotzdem will der Kinder- und Jugendpsychiater bei der Wahl am 18. Juni auf Sieg gehen. Das wird an diesem Mittag in der Straßenbahn zwischen dem Seckenheimer Marktplatz und der Station am Mannheimer Fernmeldeturm ziemlich klar.
Mit Bus und Bahn unterwegs Raymond Fojkar nutzt gern den Nahverkehr
Der 59-Jährige – graues Sakko, weißes Hemd, blaue Stoffhose – hat an diesem Tag viele Termine. Morgens Konferenz mit Vertretern der Partnerstädte im Stadthaus, dann Besuch im ambulanten Hospiz der Mannheimer Caritas in Ilvesheim. Mittags Veranstaltung beim Aktionstag „Inklusion genießen“ auf der Buga, abends Podiumsdiskussion bei der Industrie- und Handelskammer. Vom Radeln habe ihm sein Arzt nach zwei Hüft-OPs abgeraten, erzählt der Grüne. Deshalb ist er nicht nur an diesem Tag mit der Bahn unterwegs. Im vollen Waggon zwischen Schulkindern und Senioren mit Rollatoren kommt das Gespräch mit dem Reporter auf den 18. Juni.
„Da wird es noch keine Entscheidung geben“, ist sich Fojkar sicher. Wer wird vorne liegen? Thorsten Riehle von der SPD? Oder CDU-Mann Christian Specht, der von FDP und ML unterstützt wird? Fojkars Antwort von seinem Fensterplatz aus ist so selbstbewusst wie unwahrscheinlich: „Ich hoffe auf Platz eins“, sagt er und lächelt dabei. Und wenn nicht? Zieht er beim zweiten Wahlgang zurück, gibt gar eine Empfehlung für einen anderen? Fojkar bleibt tiefenentspannt, wie er fast den ganzen Tag wirkt. „Im Moment bin ich nicht in der Stimmung dazu.“

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Die Tour beginnt um halb zehn im Stadthaus. Dort treffen sich Gäste aus den Partnerstädten, es geht um Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Ein Hauch von Weltpolitik, jeder bekommt ein Gerät für die Simultanübersetzung. Fojkar ist mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Melis Sekmen da – „die Melis“ schätzt er sehr. Die Vernetzung mit anderen Städten in der Welt hält der Kandidat für wichtig. „Es ist eines der Verdienste von Oberbürgermeister Peter Kurz, dass er das Prinzip ,Global denken, lokal handeln’ in Mannheim zum Tragen gebracht hat.“ Ein OB Fojkar würde das fortsetzen.
Fojkar will Nachhaltigkeitsziele lokal umsetzen
Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen könnten nur lokal umgesetzt werden, „sonst bleiben es leere Worte“. Aber nicht nur an der weltweiten Vernetzung will er arbeiten, auch an der in der Region. „Viele Themen wie der Verkehr sind nicht allein in Mannheim zu lösen.“
Haltestelle Paradeplatz. Von hier geht’s mit der Bahn nach Feudenheim, dann weiter mit dem Bus nach Ilvesheim.
Im ersten Wahlgang wird es noch keine Entscheidung geben. Ich hoffe auf Platz eins.
Auf dem Weg trifft Fojkar zufällig seinen Neffen. Was er dazu sagt, dass der Onkel im Wahlkampf auf Plakaten in der Stadt zu sehen sein wird? „Ich finde das gut, ich hab’ auch schon Werbung gemacht“, sagt der 17-jährige Schreiner-Azubi. Als Waldhof-Fan treibe ihn die Frage nach einem neuen Stadion um, das er bei einem Aufstieg der Blau-Schwarzen wichtig fände. Sein Onkel hat da aber eine klare Position: Es gebe keinen passenden Standort, also werde es auf eine Sanierung des Carl-Benz-Stadions rauslaufen.
Grünen-Kandidat hätte sich mehr Spenden für die NTM-Sanierung gewünscht
Die Bahn fährt am Nationaltheater vorbei, es ist von Zäunen, Maschinen und Baumaterialien umzingelt. Generalsanierung. Für einen künftigen Oberbürgermeister wird eine zentrale Frage lauten: Wofür gibt Mannheim sein Geld aus – und wofür nicht? Eine klare Rangliste nennt Raymond Fojkar nicht. Eine klare Meinung zu den einzelnen Großprojekten hat er durchaus: Das Theater habe man sanieren müssen, sonst wäre es geschlossen worden. Der Grünen-Politiker hätte sich aber mehr Spenden aus der Bürgerschaft gewünscht. Beim Bau 1957 habe es Oberbürgermeister Hans Reschke geschafft, einen „Bürgersinn“ zu entwickeln. „Das habe ich dieses Mal bei der Stadtspitze vermisst.“
Fojkar will schauen, welche Investition man in Zeiten knapper Kassen vielleicht verschieben kann. Beispiel Multihalle: Auch hier sei die Sanierung notwendig, „ansonsten hätten wir sie verrotten lassen müssen“. Aber die Entwicklung von teuren Nutzungskonzepten müsse man erstmal hinten anstellen. Nicht rütteln will er dagegen am Neubau für die Stadtbibliothek. „Das ist eine ganz wichtige Sache“.
In Ilvesheim müssen wir von der Haltestelle zu Fuß durch ein Wohngebiet. Dann sind wir bei den Caritas-Gebäuden, die rund um die frühere Villa des Mannheimer Kaufmanns Heinrich Vetter entstanden sind. Neben dem Hospiz auch ein Seniorenheim und eine Kita. Alt und jung zusammen – dieses Konzept gefällt Fojkar. Und auch, dass Freie Träger wie die Caritas möglichst viele Angebote machen in einer Gesellschaft – und sich nicht die Stadt selbst um alles kümmert. Bei der Schaffung von Kita-Plätzen würde er als OB die Freien Träger besser unterstützen, sagt Fojkar.
Nazis brachten Fojkars Vater ins KZ
Die katholische Kirche und ihre Institutionen – sie spielen eine wichtige Rolle in Fojkars Leben. Der Vater war katholischer Priester. Weil er für Juden betete, brachten ihn die Nazis ins KZ. Er überlebte. Als er Fojkars Mutter kennenlernte, schloss er sich den Alt-Katholiken an, wo es keinen Zölibat gibt. Später arbeitete er in der Unibibliothek. Die Mutter war Platzanweiserin im Nationaltheater, später dort fürs Büfett zuständig. In der katholischen Jugend lernte Fojkar seine Frau kennen. Der Sonntag sieht bei dem kinderlosen Paar oft so aus, dass sie in den Gottesdienst gehen und dann zum Essen. „Meistens ins ,The East’ im Stadthaus, weil meine Frau gerne asiatisch isst.“
Apropos Essen. Fojkar isst zum großen Teil vegetarisch oder vegan, wie er erzählt. Nur bei Cordon Bleu, da werde er schwach. Zur Politik brachte ihn der Irak-Krieg 2003. „Bei den Grünen fand ich mein von der katholischen Soziallehre geprägtes Denken am ehesten wieder.“
Im ambulanten Hospiz sind an diesem Tag nur wenige Patientin. Mit Leiterin Petra Wassmer will der Stadtrat erörtern, wie sie Hausärzte besser über das Angebot informieren können. Politisch braucht Fojkar die Frau nicht zu überzeugen. „Ich bin eine ewige Grüne“, sagt die Feudenheimerin. Sie wünscht sich unter anderem mehr Verkehrssicherheit für Radler. Da habe die Stadt zwar schon einiges gemacht. Aber noch nicht genug.
Weniger Durchgangsverkehr in der Innenstadt
Ein längst nicht mehr nur grünes Thema ist der Klimaschutz. Mannheim hat einen ehrgeizigen Plan entwickelt für die Klimaneutralität bis 2030. „Mit dem lässt sich gut arbeiten“, findet Fojkar. Beim großen Streitthema Verkehrsversuch hat er eine klare Position: Das Ziel, mit Sperrungen den Durchgangsverkehr aus der City zu halten, ist aus seiner Sicht richtig. Nötig seien aber unter anderem ein besseres Parkleitsystem sowie Park&Ride-Angebote.
Der nächste Termin wartet. Inklusions-Aktionstag. Als Vorsitzender des Gesundheitstreffpunkts – der Vereinigung der Selbsthilfegruppen – soll Fojkar eine Podiumsdiskussion moderieren. „Ich habe die Arbeit von Selbsthilfegruppen sehr zu schätzen gelernt“, erzählt er. „Ich habe selbst zwei mitaufgebaut – gegen ADHS und Legasthenie.“ Von Ilvesheim geht’s mit dem Bus nach Seckenheim und mit der Bahn zum Fernmeldeturm-Eingang des Luisenparks. Eine kurze Fuß-Strecke durch den Park, dann mit der Seilbahn rüber nach Spinelli.
Als Jugendlicher war Fojkar Zehnkämpfer
Die Gondel zockelt über das MTG-Stadion mit den blauen Laufbahnen. Hier habe er als Jugendlicher Zehnkampf gemacht, erzählt Fojkar beim Blick nach unten. Bei seiner massigen Erscheinung wäre man auf dieses Hobby nicht unbedingt gekommen. Hier oben in der stillen Gondel ist vielleicht auch ein guter Ort, den „Chef“ der Selbsthilfegruppen auf sein eigenes Handicap anzusprechen. Fojkars rechtes Auge schielt. Ob ihn das beim Sehen beeinträchtigt? „Nein“, antwortet er – und erzählt, wie er zu diesem Auge gekommen ist. Ein Klassenkamerad hatte ihn in der Grundschule mit einem Schlagring verletzt. Dieser Vorfall sei letztlich aber der Auslöser gewesen, dass sein Vater endlich über das KZ gesprochen habe. „Deshalb habe ich mein Schielauge mit Stolz.“
Viele Themen wie der Verkehr sind nicht allein in Mannheim zu lösen
Von der Seilbahn geht’s zum Aktionstag im Metropolregion-Pavillon. Unterwegs wird Fojkar von einem jungen Mann angesprochen. „Meine Stimme ist Ihnen sicher“, sagt er zu dem Grünen – und nickt ihm dabei grüßend zu.
Der Neubau für die Stadtbibliothek ist eine ganz wichtige Sache
Der Inklusionstag ist für Fojkar als Gesundheitspolitiker ein Heimspiel. Von der IHK-Diskussion mit seinen Konkurrenten Specht und Riehle am Abend kann man das nicht sagen. Im IHK-Haus vor mehr als 100 Unternehmerinnen und Unternehmern kommt einer, der den Klimaschutzaktionsplan durchziehen und den Verkehrsversuch zur Dauereinrichtung machen will, nicht so gut an. Und auch die mitunter langen Ausführungen, zu denen Fojkar neigt, sind bei diesem Format nicht so gefragt. Manchmal wollen die Moderatoren nur ein „Ja“ oder „Nein“ als Antwort.
Das macht dann sogar den immer tiefenentspannten Grünen wütend. „Sie fordern von uns, dass wir differenzierte Politik machen, und jetzt sollen wir einfach nur mit Ja oder Nein antworten?“, kritisiert er in scharfem Ton. Aber das ist das einzige Mal an diesem langen Tag, dass Raymond Fojkar nicht die Ruhe selbst ist.
Seit 14 Jahren im Gemeinderat
- Raymond Fojkar wurde am 17. Januar 1964 in Mannheim geboren und ist in der Neckarstadt-West aufgewachsen.
- 1983 machte er sein Abitur am Karl-Friedrich-Gymnasium und studierte anschließend unter anderem Humanmedizin in Heidelberg und Mannheim.
- Als Kinder- und Jugendpsychiater praktiziert Fojkar in der Innenstadt in einer gemeinsamen Praxis mit seiner Frau. Im gleichen Gebäude wohnt das Paar auch. Die beiden haben keine Kinder, aber einen erwachsenen Patensohn, den sie demnächst adoptieren werden.
- Seit 2003 ist Fojkar bei den Grünen, für die er seit 2009 im Gemeinderat sitzt. Mit Gerhard Fontagnier ist er dienstältester Stadtrat seiner Fraktion.
- Fojkar ist in seiner Fraktion auf Gesundheits- und Bildungspolitik spezialisiert. Er ist Mitglied in den Gemeinderats-Ausschüssen für Jugendhilfe, Gesundheit und Bildung sowie für Wirtschaft, Arbeit und Soziales.
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