Mannheim. Mehr als ein Jahr nach dem tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz ist die Entscheidung am Mannheimer Landgericht nun gefallen: Die Große Strafkammer hat sich dazu entschieden, eine Hauptverhandlung zu eröffnen - Prozessbeginn 12. Januar 2024.
Nach monatelangem Warten ist damit zwar jetzt endlich klar: Die zwei Mannheimer Polizeibeamte müssen sich nun definitiv vor Gericht für ihren Einsatz Anfang Mai 2022 am Marktplatz verantworten, bei dem ein 47-Jähriger ums Leben gekommen ist. Wie das Landgericht Mannheim auf Anfrage dieser Redaktion mitteilte, soll die Hauptverhandlung im Januar 2024 beginnen.
Bei der Terminierung, so ein Sprecher, hätten grundsätzlich Verfahren, in denen die Angeklagten in Untersuchungshaft säßen Vorrang, was beim Martkplatz-Prozess nicht der Fall ist. Sollte der Termin für den Prozessbeginn also eingehalten werden, sind genau zwölf Monate zwischen Anklageerhebung und dem Start der Hauptverhandlung verstrichen. Insgesamt acht Verhandlungstage sind für den Prozess angesetzt, der bis März 2024 laufen soll.
Gewerkschaft hofft auf Klarheit
Die Nachricht darüber, dass das Landgericht die Anklage gegen die beiden Polizisten nun zugelassen hat, überrascht die Mannheimer Gewerkschaft der Polizei nicht. "Das ist ein ganz normaler Vorgang. Das Landgericht hat sich die nötige Zeit genommen und nicht unter Druck setzen lassen. Die Entscheidung zum Prozess schafft auch für die betroffenen Polizisten Klarheit", sagt GdP-Chef Thomas Mohr auf Anfrage dieser Redaktion.
Auf Anfrage äußert sich auch Polizeipräsident Siegfried Kollmar: "Das tragische Geschehen macht mich immer noch betroffen und es ist wichtig, dass die Aufarbeitung fortschreitet“, so Kollmar. Mit der Terminierung der Hauptverhandlung anlässlich des "tragischen Ereignisses am Marktplatz Mannheim" wird laut Polizeipräsident die unabhängige Aufarbeitung des Geschehens fortgeführt.
Disziplinarverfahren erst nach Prozess
Der Einsatz sei zudem bereits intern nachbereitet worden. In verschiedenen Bereichen habe das zu Anpassungen geführt: Zum Beispiel würden die Bodycams im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten intensiver genutzt und deren Bedienung auch in Stresssituationen intensiv geschult. Außerdem habe sich das Polizeipräsidium Mannheim mit einem neuen Konzept "Dialog und Vertrauen" einer noch stärkeren Bürgernähe verschrieben.
"Wir stehen für eine kommunikative und bürgernahe Polizei. Nach Abschluss der justiziellen Aufarbeitung des Geschehens durch das Landgericht, folgt die Durchführung des Disziplinarverfahrens gegen die beiden Beamten", erklärt Kollmar weiter.
Der Polizeipräsident will außerdem die Hauptverhandlung intensiv verfolgen. Denn das justizielle Verfahren dient laut PP Mannheim letztendlich auch als Grundlage für das folgende Disziplinarverfahren gegen die beiden Beamten.
So lauten die Vorwürfe
Rückblick: Die Staatsanwaltschaft Mannheim hatte bereits im Dezember 2022 Anklage gegen zwei Polizisten des Polizeipräsidiums Mannheim erhoben. Demnach wird einem Polizeioberkommissar Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt vorgeworfen; seinem Kollegen, einem Polizeihauptmeister, fahrlässige Tötung durch Unterlassen. Laut der Auffassung der Staatsanwaltschaft hätte er zumindest dafür sorgen sollen, dass der 47-Jährige nach Faustschlägen und Fixierung am Boden durch den Beamten von der Bauch- in eine Seitenlage gelegt wird, was seinen Tod wohl verhindert hätte.
Die Umstände des Todes von Anton P., einem psychisch erkrankten Mann mit kroatischen Wurzeln, hatten im vergangenen Jahr noch am selben Tag, den 2., Mai 2022, und wochenlang danach in der Quadratestadt und bundesweit für Aufsehen gesorgt. Demonstrationen in Mannheim gegen Polizeigewalt und eine Debatte darüber, ob Mannheimer Polizisten und Polizistinnen generell gut genug auf den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vorbereitet sind, waren die Folge.
Was geschah am 2. Mai?
Was aber genau ist an diesem Maitag passiert? Laut den bisher bekannte Ermittlungen sollten die beiden Polizeibeamten an diesem Tag eigentlichen den psychisch kranken Mann nur zurück in das nahe gelegenen Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) bringen, hatte sie der behandelte Arzt deshalb um Hilfe gebeten. Das 47-jährige Opfer litt an einer paranoiden Schizophrenie. Die Ermittler rekonstruierten die Ereignisse an jenem 2. Mai wie folgt: Der Mann sucht an diesem Tag das (ZI) auf, weil sich sein Zustand verschlechtert hat. Er verlässt die Einrichtung aber wieder. Sein Arzt folgt ihm und will seinen Patienten zur Rückkehr bewegen, aber ohne Erfolg. Weil der Arzt bei seinen Patienten Anton P. den Angaben zufolge eine akute Eigengefährdung sieht, bietet er die nahe gelegene H4-Wache um Hilfe, die wiederum direkt reagiert und dem Arzt zwei Polizisten an die Seite stellt. Sie hätten den Mann gemeinsam gesucht und in der Innenstadt entdeckt. Doch ihnen soll es nicht gelungen sein, den an paranoiden Schizophrenie erkrankten Mann zur Rückkehr ins ZI zu bewegen.
Zusammengeschnittener Film
Was sich allerdings in diesen und folgenden Minuten genau abgespielt hat, darüber könnte ein von den Ermittlern des Landeskriminalamts (LKA) zusammengeschnittener Film von allen bekannten Videoaufnahmen von diesem Vorfall genaueren Aufschluss geben - und damit auch im anstehenden Prozess eine Rolle spielen. Bislang war dieser Film für die Öffentlichkeit zwar nicht zugänglich. Nur soviel hatte LKA-Chef Andreas Stenger während der Ermittlungen durchblicken lassen: „Er hat sicherlich den Anweisungen der Beamten, stehenzubleiben, nicht Folge geleistet“, sagte LKA-Chef Stenger. Man sehe zudem auf den Videos, dass er sich widersetzt habe, „dass da Bewegungen sind, dass da ein Schlagen ist“.
Im weiteren Verlauf, so die offiziellen Ermittlungen, soll der Polizist, der später auch geschlagen haben soll, dem 47-Jährigen Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben, was aber keine Wirkung zeigte. Den Ermittlungen zufolge gelang es den beiden Polizisten dann, den Mann zu Boden zu bringen, nachdem dieser sich zuvor mit zwei Faustschlägen gegen sein Festhalten gewehrt haben soll. In der Folge soll einer der angeklagten Polizisten dem sich weiter wehrenden Mann dann die insgesamt vier Schläge verpasst haben.
Im Hintergrund rüsten sich die Nebenkläger
Dieser Beamte ist seitdem komplett vom Dienst suspendiert. Der Polizeioberkommissar wird sich im Januar 2024 dann vor Gericht wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge verantworten müssen. Sein Kollege, ein Polizeihauptmeister, wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässiger Tötung durch Unterlassen vor. Der Hauptmeister ist zwar inzwischen wieder im Dienst, allerdings im Innendienst. Gegen beide Beamte läuft außerdem ein Disziplinarverfahren, das allerdings bis zum Prozess ausgesetzt ist.
Seit mittlerweile über einem Jahr rüsten sich im Hintergrund bereits die Angehörigen, Mutter und Schwester des Verstorbenen, als Nebenkläger für den Prozess. Hatten auch die Öffentlichkeit, Polizei und Aktivisten auf die Entscheidung des Mannheimer Landgerichts gewartet. Bis zuletzt hatten Aktivisten wie die Initiative 2. Mai der Justiz immer wieder vorgeworfen, den Prozess bewusst zu verzögern, aber auch das Polizeipräsidium sowie das ZI und die Stadtverwaltung kritisiert. In einer neuen Pressemitteilung erklärt die Initiative, dass der Tod von Anton P. kein Einzelfall sei, eine Schulung von Polizisten reiche längst nicht mehr aus. Auch eine vermeintliche Arbeitskollegin des Verstorben äußert sich und weist dem ZI eine Mitverantwortung an der Eskalation zu.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Marktplatz-Prozess: Hängepartie geht weiter