Todesfall vom 2. Mai

Mannheimer Marktplatz-Einsatz: Einer der angeklagten Polizisten ist wieder im Dienst

Nach dem Einsatz mit einem Toten vom 2. Mai sind zwei Polizisten angeklagt - einer von ihnen hat seinen Dienst im Mannheimer Präsidium wieder aufgenommen. Die wichtigsten Fragen und Antworten - auch zu den Bodycams

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Florian Karlein
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Mehrere Wochen nach dem Vorfall am 2. Mai lagen noch viele Blumen an der Stelle am Marktplatz. © Lisa Uhlmann

Der Mann, der am 2. Mai infolge eines Polizeieinsatzes am Marktplatz gestorben ist, musste laut Staatsanwaltschaft vier Faustschläge eines Polizeioberkommissars einstecken. Die haben demnach zu verhängnisvollem Nasenbluten geführt. Weil der Mann außerdem in Handschellen und in Bauchlage festgehalten wurde, blockierte das eingeatmete Blut die oberen Atemwege. Die Folge waren Sauerstoffmangel, eine Stoffwechselentgleisung, Bewusstlosigkeit - und schließlich der Tod. Die beiden Polizisten sind angeklagt.

Was ist vor dem Polizeieinsatz passiert?

Das spätere Opfer, das an einer paranoiden Schizophrenie litt, begab sich laut Staatsanwaltschaft am Morgen des 2. Mai ins Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), weil sich sein Zustand verschlechtert habe. Kurz vor 12 Uhr machte sich der Mann auf den Weg zum Polizeirevier in H 4. Gegenüber dem Arzt, der ihm anschließend folgte, hatte er angegeben, dort etwas unterschreiben zu müssen. „Ein reeller Hintergrund dürfte nicht bestanden haben“, heißt es von der Staatsanwaltschaft auf Nachfrage. Der 47-Jährige klingelte, ging dann nach Darstellung der Ermittler wieder.

Wann griffen die beiden Polizisten ins Geschehen ein?

An dieser Stelle, denn der Arzt konnte den Mann nicht zur Rückkehr ins ZI bewegen. Er bat die beiden Polizisten um Hilfe, sah eine „akute Eigengefährdung“. Die Staatsanwaltschaft konkretisiert diese Einschätzung so: „Beispielsweise hatte der desorientiert wirkende spätere Geschädigte kurz vor dem Geschehen völlig unachtsam die Straße im fließenden Verkehr betreten.“ Von den Polizisten ließ sich der Mann auch nicht von einer Rückkehr ins ZI überzeugen und setzte seinen Weg Richtung Marktplatz fort.

Was passierte auf dem Weg und am Marktplatz selbst?

Die beiden Beamten folgten dem Mann. Als er sich umdrehte, sprühte ihm der Polizeioberkommissar Pfefferspray ins Gesicht. „Es ist davon auszugehen, dass er ihn hierdurch am weiteren Sich-Entfernen hindern wollte“, so die Staatsanwaltschaft. Das Spray zeigte keine Wirkung. Anschließend bog der Mann am Marktplatz um die Ecke, danach begann die körperliche Auseinandersetzung zwischen ihm und den Polizisten.

Wie genau lief die ab?

Den beiden Polizisten sei es gelungen, den Mann zu Boden zu bringen, nachdem er sich zuvor mit zwei Faustschlägen gegen sein Festhalten gewehrt habe. Weil sich der 47-Jährige beim Anlegen von Handschellen aufgebäumt habe, habe ihm der Polizeioberkommissar „zwei schnell aufeinanderfolgende Faustschläge gegen den Kopf“ verpasst. Zwei weitere Schläge seien gefolgt, weil sich der Mann immer noch gewehrt haben soll. In diesem Moment habe das Nasenbluten beim späteren Opfer begonnen. In Handschellen war der Mann einige Minuten auf dem Bauch liegend fixiert. Dadurch kam es zu der tödlichen Kettenreaktion. Um 13.44 Uhr starb der Mann trotz Reanimationsmaßnahmen im Krankenhaus.

Was wird den beiden Polizisten vorgeworfen?

Gegen den Polizeioberkommissar wurde Anklage wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt erhoben. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen waren weder der Einsatz des Pfeffersprays noch die vier Schläge gerechtfertigt. Für den Tod des 47-Jährigen soll neben der Fixierung auf dem Bauch auch das Nasenbluten „zumindest mitursächlich“ gewesen sein. Der Polizeihauptmeister muss sich wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen verantworten. Ihm wird vorgeworfen, nicht zumindest dafür gesorgt zu haben, dass der 47-Jährige von der Bauch- in eine Seitenlage gelegt wurde. Damit hätte der Tod nach vorläufiger Einschätzung der Rechtsmedizin „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vermieden werden können, weil der Mann hätte freier atmen können. Der Polizeihauptmeister hat sich zu den Vorkommnissen geäußert. Am Einsatz des Pfeffersprays und an den Schlägen sei er nicht beteiligt gewesen, so die Ermittler.

Für Diskussionen sorgten die Bodycams. Waren sie an?

Lediglich der Polizeioberkommissar trug bei dem Einsatz eine Bodycam. Aktiviert hatte er sie allerdings nicht, so dass keine Aufzeichnungen vorliegen. Der Polizeihauptmeister hatte keine Körperkamera dabei. Das ist in der Praxis so wohl nicht unüblich: Wie ein Polizeisprecher auf „MM“-Anfrage erklärt, seien die Reviere des Polizeipräsidiums Mannheim nämlich so ausgestattet, dass jeder Streife eine Bodycam zur Verfügung steht - nicht aber jedem Beamten.

Bleiben die beiden Polizisten vom Dienst suspendiert?

Am Freitagmorgen bestätigte das Präsidium, dass die Suspendierung des Polizeihauptmeisters „vorerst aufgehoben“ ist. Bis auf Weiteres, so heißt es in der Stellungnahme, wird der Mann im Innendienst eingesetzt. Entscheidend sei der angeklagte Vorwurf - in seinem Fall fahrlässige Tötung durch Unterlassen -, der eine Suspendierung nicht mehr rechtfertige. Der Polizeioberkommissar bleibt jedoch vom Dienst suspendiert. Abschließend kann über die disziplinarrechtlichen Maßnahmen erst entschieden werden, wenn das juristische Verfahren abgeschlossen ist. Das hatte Polizeipräsident Siegfried Kollmar bereits in einer Pressekonferenz wenige Tage nach dem Vorfall am 2. Mai erklärt.

Was sagt Polizeipräsident Kollmar zur Anklageerhebung?

Der Einsatz am Marktplatz und dessen tödliche Folgen machten Kollmar „nach wie vor sehr betroffen“, antwortet das Präsidium auf die Bitte nach einer Stellungnahme des Polizeipräsidenten. Weil die Ermittlungen beim Landeskriminalamt (LKA) lagen und jetzt das Landgericht entscheiden muss, ob es nach der Anklage auch zum Prozess kommt, könne Kollmar „den Sachverhalt aktuell nicht wertend kommentieren“. Sobald das juristische Verfahren abgeschlossen ist, so heißt es aus dem Präsidium, will er sich äußern. Bis dahin gelte für die beiden Polizeibeamten die Unschuldsvermutung.

Wie vielen Hinweisen ging das LKA nach?

Aus 120 Videosequenzen rekonstruierte das Landeskriminalamt das Geschehen am Marktplatz. Es entstand ein chronologischer, etwa einstündiger Zusammenschnitt. Mehrere Hundert Personen stellten sich als Zeugen zur Verfügung. „Viele davon bezogen ihr Wissen aus sozialen Medien. Letztlich wurden 91 Personen als echte Augenzeugen bis dato ermittelt und bis zum Abschluss der Ermittlungen als Zeugen durch die Ermittlerinnen und Ermittler des LKA vernommen“, teilt die Staatsanwaltschaft mit. Rund 5900 Beiträge in sozialen Medien sichtete das Landeskriminalamt zudem.

Laufen Ermittlungen gegen den Arzt aus dem ZI?

Ja. Es besteht ein Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen.

Gibt es eine Stellungnahme der Initiative 2. Mai?

Das Bündnis aus mehreren linken Gruppen, darunter der Kinder- und Jugendverband Falken sowie das Zentrum „Ewwe longt’s“, begrüßt die Anklage. Trotzdem erhebt die Initiative einige Forderungen: dass die beiden Polizisten ihren Beruf nicht mehr ausüben dürfen sowie weitere Konsequenzen, denn der Vorfall am Marktplatz zeige, dass das Vorgehen ein Symptom eines strukturellen Problems bei der Polizei sei. Das Bündnis fragt außerdem, wieso keiner der umstehenden Zivilisten eingegriffen hat.

Redaktion Leiter des Redaktionsteams Mannheim

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