Die zwei Streifenpolizisten werden begrüßt wie alte Bekannte: Man kennt sich in der Bäckerei Taksim Baklavaci - „wir verstehen uns super, haben jeden Tag Kontakt“, ist man sich hier in der Familienbäckerei einig. Der Eingang gibt den Blick frei auf duftende Baklava und andere türkische Köstlichkeiten. Die sind auch bei den Ordnungshütern beliebt, schließlich liegt die Bäckerei unweit vom Innenstadtrevier im Quadrat H4 entfernt.
Beliebt sein - das ist für die Polizisten und Polizistinnen mittlerweile aber nicht mehr ganz so selbstverständlich wie früher. Noch vor wenigen Wochen, da war die Stimmung schlecht im Viertel. Das räumt Streifenpolizist Christian Barth offen ein, als er mit seinem Kollegen Tobias Biegel die Fußstreife Richtung Marktplatz beginnt. Schließlich erinnert sich Barth noch genau an den Einsatz seiner Kollegen am Marktplatz Anfang Mai, der bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat.
Verunsichert von Plakaten
Der Fall: Ein Arzt des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) will mit Hilfe der Polizei seinen Patienten zurück in die Einrichtung bringen. Bei dem Versuch, den psychisch kranken Mann zum Mitgehen zu bewegen, kommt es zum Gerangel. Der 47-Jährige wehrt sich, wird zu Boden gebracht - und stirbt später im Krankenhaus. Ins Netz gestellte Videoschnipsel sorgen für Empörung, die Stimmung in der Stadt ist aufgeheizt, es folgen Demos und Debatten über Polizeigewalt.
Was also hat sich seitdem getan im Viertel und was bei der Polizei? Wie sich die Beamten heute auf der Straße fühlen, soll ein Rundgang mit der täglichen Fußstreife der H4-Wache zeigen - auch wenn das nur einen kleinen Einblick in die harte Polizeiarbeit bietet, die gerade nachts und am Wochenende herausfordernd ist. Eine Anfrage, freitag- oder samstagnachts mit auf Streife gehen zu dürfen, weist das Polizeipräsidium Mannheim trotz eindringlicher Bitte ab, schließt das laut eines Sprechers „kategorisch aus.“
Dabei ist besonders im Innenstadt-Revier die Einsatzbelastung hoch, ist das ZI mit seinen Patienten direkt nebenan. Hinzu kommt das riesige Einsatzgebiet, das Jungbusch, Hafen sowie die Quadrate umfasst, hoher Alkoholpegel und Aggressivität schüren Konflikte. Während die Beamten also tagsüber zu Fuß als Ansprechpartner für alle Präsenz zeigen wollen, geraten sie nachts mit dem Streifenwagen öfters in extremere und unvorhersehbare Situationen: Die reichen von der Körperverletzung bis zur Messerstecherei.
So schildern es die Polizisten Biegel und Barth, während ihre Blicke aufmerksam die Straße entlang schweifen. An der Ecke zum Marktplatz bleiben beide stehen, schauen nach rechts. Genau dorthin, wo noch vor drei Monaten Blumen und Schilder mit Vorwürfen platziert worden waren - heute ist davon nichts mehr übrig. „Ihr sollt helfen, nicht verprügeln“ stand etwa damals auf den Plakaten. „Die Leute waren durch das Denkmal irritiert und verunsichert“, erinnert sich Barth, während er den Marktplatz überquert. Weil nach dem Vorfall Polizisten auf der Straße vereinzelt sogar als „Mörder“ beschimpft werden, ein Farbbeutel die H4-Wache trifft, ergreift das Polizeipräsidium die Initiative: Ende Mai ist ein Team täglich, drei Wochen lang, gezielt im multikulturellen Herzen Mannheims unterwegs, um aktiv Leute anzusprechen. Auch Barth ist dabei. Die Kommunikationstreifen wollen wissen, was die Leute im Viertel bewegt - und so wieder Nähe schaffen.
Diskussionen und kritische Fragen
Was Barth dabei erlebt hat? Bei Einsätzen auf dem Marktplatz hätten sich öfters Menschentrauben um die Beamten gebildet. Viele stellen kritische Fragen, haben den Drang zu diskutieren. Über den Verlauf des Einsatzes und das Verhalten der Ordnungshüter. Das Fazit des Teams: Offenbar fassen die Mannheimer das Ereignis anders auf als sie selbst. „Trotzdem waren wir positiv überrascht, Polizeigewalt war kein Thema. Bei den meisten war das Vertrauen in uns nach wie vor da“, sagt Barth. Unterbrochen wird er vom Funkgerät seines Kollegen, das zu einem Einsatz auf den Planken ruft. Sie sollen prüfen, ob es einem Obdachlosen, der in der prallen Sonne sitzt, gut geht. Auf dem Weg hält Biegel immer wieder Fahrradfahrende an, weist sie freundlich darauf hin, dass sie hier nicht fahren dürfen. „Das fällt zwar nicht in unseren Aufgabenbereich, aber es ist mir wichtig. Schließlich ist es gefährlich mit dem Straßenbahnverkehr“, sagt Biegel, der vorher in Stuttgart tätig war. Er hat noch immer das Gefühl, dass ihn die Menschen als Freund und Helfer wahrnehmen, die kritischen Fragen oder Beschimpfungen nach dem Vorfall seien längst abgeebbt.
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Wie es den Beiden damit geht, dass zwei ihrer direkten Kollegen nun vom Dienst suspendiert sind? Ein kurzer Blickwechsel zwischen Biegel und Barth. Dann sagt Barth: „Wir geraten tagtäglich in gefährliche Situationen. Klar, man hat sich danach Gedanken gemacht, wie man sich verhalten soll.“ Man sei vorsichtiger geworden, die Bodycam als Absicherung ist seitdem immer dabei. Auch Polizeipräsident Siegfried Kollmar sei persönlich in die H4-Wache gekommen, habe das Gespräch mit seinen Mitarbeitern gesucht und offen über den Vorfall berichtet.
Auf dem Rückweg zur H4-Wache bestätigt sich der Eindruck von Biegel: Eine Frau spricht ihn freundlich an mit der Bitte, ob er nach dem Bettler am Strohmarkt sehen könnte? Wieder angekommen am Marktplatz, ist auch Meydan-Restaurantbesitzer Kemal Erkan mit der Arbeit der Polizisten zufrieden. Der Vorfall am Marktplatz sei unter seinen Gästen heute kein Thema mehr. „Wir haben die Durchwahl der H4-Wache, es kommt immer jemand vorbei, wenn wir Hilfe brauchen“, sagt Erkan.
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