Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Neubesetzung des Migrationsbeirats erreicht die bisherige Vorsitzende keine Mehrheit im Gemeinderat
- Nach wochenlangem Streit unter den Fraktionen musste die Verwaltung das Abstimmungsverfahren anpassen
- Nun gibt es Diskussionen über mögliche Konsequenzen des neues Abstimmungsverfahrens.
Mannheim. Um kurz nach halb sechs will Zahra Alibabanezhad Salem den Ratssaal im Stadthaus verlassen. Gerade hat Christian Specht erklärt, dass der Gemeinderat die Vorsitzende des Migrationsbeirats nicht wiedergewählt hat. Er danke ihr für ihre Leistung „in nicht einfachen Zeiten“, gibt der CDU-Oberbürgermeister Alibabanezhad Salem mit auf dem Weg, die kurz vor der Tür innehält. „Ich hoffe, dass wir ihre Expertise und ihren Sachverstand weiter für die Stadt nutzen können.“
Alibabanezhad Salem wirkt ob der Worte fast ein wenig ratlos. Schließlich ist es wohl ein Großteil der konservativen Seite des Gemeinderats und die AfD gewesen, die gegen sie gestimmt hat. 22 Ja-Stimmen stehen bei einer Enthaltung 23 Neins entgegen.
Sie sei etwas überrascht gewesen, dass Specht sich nochmal öffentlich an sie gewandt hatte, bestätigt Alibabanezhad Salem am Tag danach dieser Redaktion. „Ich stand der Verwaltung fünf Jahre lang im Migrationsbeirat zur Verfügung und habe alles ins Ehrenamt gesteckt.“ Dass der Oberbürgermeister die Hoffnung hat, dass sie ihre Expertise weiter einbringen könne, habe sie überrascht, „weil meine Expertise ja gerade abgewählt wurde“. Sie sei insgesamt enttäuscht, dass der Migrationsbeirat nun wegen der Wahl und nicht aufgrund seiner Arbeit in den Fokus gerückt sei.
Bereits seit Monaten gab es Diskussionen um Namen auf der Liste
Das Ergebnis ist knapp, aber es ist keine Überraschung. Seit 2010 wählt der Rat den Migrationsbeirat auf die Dauer von fünf Jahren. Bislang hatte er stets den nach Geschlechtern getrennten beiden Listen einer Findungskommission als Ganzes zugestimmt. Über Monate hinweg haben auch dieses Mal Mitglieder des Gemeinderats mit Vertretern des Migrationsbeirats und migrantischer Initiativen Auswahlgespräche geführt.
Seit Monaten hatte sich aber auch abgezeichnet, dass die konservativen Fraktionen und die AfD weder Alibabanezhad Salem noch Khalil Khalil bei den Männern unterstützen werden. Die linke Seite des Stadt-Parlaments hatte dem Vernehmen nach dagegen mindestens für Alibabanezhad Salem breite Zustimmung signalisiert.
Ob das Ergebnis ein Resultat des Risses zwischen den Lagern ist, darüber lässt sich spekulieren: Die Wahl war geheim. Vieles deutet aber darauf hin. Neben der Sprecherin findet mit Khalil ein weiteres Mitglied des Beirats keine Mehrheit. Seine Ablehnung fällt weitaus deutlicher aus: Im zweiten Wahlgang stimmen nur zwölf für und 33 gegen ihn. Im ersten Wahlgang hatten weder er noch Alibabanezhad Salem eine Mehrheit erhalten, weshalb für beide ein zweiter notwendig war.
Nach der Abstimmung unterschiedliche Kritik von allen Seiten des Gemeinderats
Der vielfach engagierte Khalil äußert sich am Mittwoch enttäuscht. In einer schwierigen Zeit sei es „kein gutes Signal“, dass „Engagement für Zusammenhalt, Vielfalt und Partizipation wenig Aussicht auf Erfolg bringt“, sagt er dieser Redaktion. Während dem Vernehmen nach sein Engagement in der Faruq-Gemeinde, die zuletzt durch umstrittene Flyer für „Mädchenabende“ aufgefallen war und eine Moschee in Käfertal errichten will, von großen Teilen des Rats kritisch gesehen wird, soll in konservativen Fraktionen Alibabanezhad Salems Amtsführung auf Unmut gestoßen sein.
So war schon vor der Wahl Kritik zu hören, sie würde mit zu pointierten Äußerungen im Gemeinderat und auf Podien Kompetenzen häufig überschreiten oder sich in Parteipolitik einmischen. „Die Art und Weise, mit der die Sprecherin des Migrationsbeirats in den letzten Jahren einzelne Stadträte persönlich angegangen hat, ist über das normale Maß hinausgeschossen“, kritisiert FDP-Stadtrat Volker Beisel am Mittwoch, der Teil der Findungskommission war. Weitere Kritik an ihr wird nach der Wahl zumindest öffentlich aber nicht geäußert.
Linke und rechte Seite mit nicht konsensfähigen Positionen
Die linke Seite sieht in Alibabanezhad Salems Beiträgen dagegen eine starke Stimme für Interessen von Menschen mit Migrationshintergrund in der Stadt. Die Grünen sprechen am Mittwoch von einer „hochengagierten und sehr aktiven Vertreterin“, die der Beirat verliert. SPD-Fraktionschef Reinhold Götz erachtet es in einer Stellungnahme als positiv und zielführend, dass der Migrationsbeirat Aspekte in den Gemeinderat einbringe, „die zu einer Perspektiverweiterung“ und „differenzierten, aber sachlich fundierten Diskussionen“ geführt hätten. „Die bisherige Vorsitzende Zahra Alibabanezhad Salem hat aus unserer Sicht hierzu maßgeblich beigetragen.“ So standen sich linke und rechte Seite des Gemeinderats mit Positionen gegenüber, die nicht konsensfähig waren.
Dem Migrationsbeirat gehören gute Leute an, die es verdient haben. Sie sollen sich von dem, was passiert ist, nicht beeinflussen lassen und ihre Arbeit weiter selbstbewusst verfolgen.
Specht hatte vor dem ersten Wahlgang einen Geschäftsordnungsantrag von Gerhard Fontagnier und Daniel Bockmeyer zurückgewiesen. Die Grünen hatten beantragt, zum alten Abstimmungsverfahren zurückzukehren. Das zeige Wertschätzung gegenüber Kompetenz und Zeitaufwand der Findungskommission, begründete Bockmeyer, der dieser ebenfalls angehört hatte. Er kritisierte, die Verwaltung habe sich bei der Suche nach einem Konsens zurückgehalten. Auch der Jugendbeirat kritisierte das Verfahren.
Der Oberbürgermeister entgegnete, er habe wahrgenommen, dass „alle Einigungsversuche der Verwaltung“ fehlgeschlagen seien. Weil es im Gegensatz zu früheren Listen eben keinen Konsens gebe, müsse einzeln abgestimmt werden. „Die Wahl ist immer vorgesehen“ und sei keine Entwertung der Kommission. „Ich bin zuversichtlich, dass die Vorschläge nicht komplett abgelehnt werden.“ Nach dem zweiten Wahlgang gibt es „Pfui“-Rufe. „Schämt euch“, ruft Fontagnier in Richtung CDU, FDP, ML und AfD.
Linke Fraktionen fürchten zurückhaltenderen Migrationsbeirat
Der Migrationsbeirat ist die offizielle politische Interessensvertretung der Menschen mit Migrationshintergrund in Mannheim. Er soll eine Schnittstelle zwischen Politik, Verwaltung und Gesellschaft sein und Politik und Verwaltung in migrations- und integrationsrelevanten Fragen beraten. Mit einem Rede- und Antragsrecht im Gemeinderat hat der Migrationsbeirat in Mannheim Kompetenzen, die in anderen Städten kein Standard sind.
Stimmen der linken Seite des Gemeinderats fürchten, dass die Abstimmung über einzelne Namen zur Regel werden könnte. Die Sorge, Mitglieder von Interessensgruppen, die einzeln gewählt werden, könnten zurückhaltender auftreten, um eine Wiederwahl nicht zu gefährden, ist zu hören. Vertreter konservativer Fraktionen entgegnen, dass dem neuen Beirat Mitglieder des alten angehören, was diese Sorge entkräfte.
Keine Absprachen innerhalb des konservativen Lagers
Unter anderem der CDU-Vorsitzende und Stadtrat Christian Hötting verweist am Mittwoch im Gespräch mit dieser Redaktion auf die „völlig demokratische Wahl“, die zum Votum geführt habe. Man habe viele Äußerungen von Alibabanezhad Salem in Sachfragen inhaltlich nicht immer mitgetragen. Eine Absprache innerhalb des konservativen Lagers vor der Wahl aber soll es ihm zufolge nicht gegeben haben. Weitere Mitglieder konservativer Fraktionen äußern sich ähnlich.
Und Alibabanezhad Salem? Die kann sich vorstellen, sich weiterhin für Menschen mit Migrationshintergrund einzusetzen, sagt sie dieser Redaktion. Aber nicht in der Verwaltung. „Ich wüsste nicht, wie ich dort meine Expertise noch einbringen soll.“ Stattdessen seien andere Engagements denkbar, falls die sich anbieten. Ihren Nachfolgern wünscht sie alles Gute. „Dem Migrationsbeirat gehören gute Leute an, die es verdient haben. Sie sollen sich von dem, was passiert ist, nicht beeinflussen lassen und ihre Arbeit weiter selbstbewusst verfolgen.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Abstimmung über Mannheimer Migrationsbeirat: Verfahren mit Risiken