Mannheim. Nach mehr als 50 Jahren ist die Diktatur der Assads in Syrien Geschichte. Am Wochenende haben Rebellen Baschar al-Assad nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg gestürzt. Der Diktator ist geflohen und soll sich nun in Russland aufhalten. Doch wie geht es in Syrien weiter, das von 1970 an zuerst Hafiz al-Assad und ab 2000 dessen Sohn Baschar mit harter brutaler Hand regiert haben? Das fragen sich auch viele der rund 3500 Menschen mit syrischem Migrationshintergrund, die laut Kommunalstatistik zum Stichtag 30. September in Mannheim gelebt haben.
Einer von ihnen ist Khalil Khalil. Der „MM“ trifft ihn auf dem Weihnachtsmarkt am Wasserturm, wo er Aleppo-Seife verkauft. Die wird seit Jahrhunderten in der Gegend rund um Aleppo hergestellt. Die nordsyrische Stadt ist in den vergangenen Jahren zum grausamen Symbol des Bürgerkriegs geworden. Vor dem Krieg lebten in Aleppo noch etwa 2,5 Millionen Menschen. Der Bürgerkrieg hat weite Teile der Stadt zerstört, in der auch Khalil als junger Mann lange gelebt hat.
Dass Assads Tyrannei nun beendet ist, sei ein „unbeschreibliches Gefühl“, sagt der in Syrien geborene Khalil. „Ehrlich gesagt hatte ich aufgegeben, daran zu glauben. Die Russen haben Assad immer wieder geholfen und in Syrien Menschen am laufenden Band gnadenlos getötet.“ Er erinnere sich noch, als Assads Truppen 2016 Aleppo zurückerobert hatten. „Ich saß auf meinem Bett und habe geweint“, sagt Khalil.
„Meine Generation kennt kein Syrien ohne Assad“
Wir gehen hinter den Stand. Dort ist es ruhiger. Khalil hat viel zu erzählen. Über seine Jugend in Assads Syrien, die Anfänge des Bürgerkriegs in Folge des Arabischen Frühling, über seine Familie und seine Freunde in Syrien. Er erzählt von einem guten Freund, der von Deutschland aus zurück nach Syrien gereist ist, um dort für die Revolution zu kämpfen. Die aber scheitert. Assads Truppen sind gut vernetzt. Ein Jahr später, im Jahr 2012, wird der Freund in Aleppo getötet, erzählt Khalil. Auch das gehöre zu seiner Geschichte, die in Mannheim oft nur mit seinem Engagement im Migrationsbeirat, bei den Grünen oder in der Faruq-Moschee verbunden ist, sagt Khalil. „Jeder Syrer hat diese Geschichten, die man aber kaum kennt. Meine Generation kennt kein Syrien ohne Assad.“ Einst ist Khalil als junger Mann nach Deutschland gekommen, um hier zu studieren. Seine Familie ist lange in Syrien geblieben. Sie sind Kurden. Deren Sprache kann er nur teilweise, sagt Khalil. Er könne zwar kurdisch sprechen, weil sie das zuhause, da, wo keine Öffentlichkeit war, getan haben. Lesen aber kann er die Sprache kaum. „Ich durfte die Sprache nie richtig lernen.“ Als Kurde wisse er, was es heißt, verfolgt zu werden. Auch in Deutschland noch habe er jahrelang Angst gehabt, sich öffentlich über Assad zu äußern. „Ich wollte nicht, dass meiner Familie etwas passiert.“ Und nun? Khalil ist zuversichtlich, auch wenn die HTS, die jetzt in Syrien die Macht erlangt hat, insgesamt schwer einzuschätzen sei. „Egal, was kommt. Das Volk wird sich nicht mehr von Tyrannen beherrschen lassen.“
Wenige Meter neben Khalil auf dem Mannheimer Weihnachtsmarkt verkauft Ward Al-Habian Spielzeug aus Holz. Khalil stellt uns einander vor. Der Mann habe viel zu erzählen, sagt Khalil. Al-Habian erzählt. Das könne er ja nun. Es fühle sich wie ein neues Leben an. „Ich habe nicht geglaubt, dass Assad irgendwann weggeht. Wir hatten keine Hoffnung mehr.“
Syrer im Gefängnis: „Ich hatte keinen Namen mehr. Ich war 1830“
Am Samstag sei er ins Bett gegangen, am Sonntag habe er die Nachrichten aus der Heimat auf seinem Handy gesehen. „Ich fühle mich so, wie ich mich gefühlt habe, als ich meinen Sohn zum ersten Mal im Arm gehalten habe“, sagt Al-Habian, der 2016 nach Deutschland geflüchtet ist. Das, was nun berichtet wird und was in den Ausmaßen Europa zu erschrecken scheint, habe er selbst erlebt. „Wir haben in Syrien in einem großen Gefängnis gelebt“, sagt Al-Habian. In einem großen Knast, wie er es bezeichnet, in man „nicht mal den Mund aufmachen durfte“.
Er selbst, so erzählt er, sei mehrere Monate lang inhaftiert gewesen. Warum? Das wisse er nicht genau. Bis heute nicht. Al-Habian berichtet von einem der vielen Gefängnisse, in dem er war und in denen Insassen entmenschlicht worden seien. „Ich hatte keinen Namen mehr“, sagt er. Stattdessen seien Insassen mit der Nummer ihrer Zellen angesprochen worden. „Ich war 1830.“
18-Jährige: „Hoffe, dass ich jetzt meinen Opa treffen kann“
Al-Habian erzählt von Verlegungen in andere Gefängnisse. Vom Gestank der Fäkalien. Von den hygienischen Bedingungen. „Viele sind an Durchfall gestorben.“ Er erzählt vom Geruch nach Verwesung, von Kollektivstrafen und vom Verrat unter Gefangenen aus Angst davor, selbst bestraft zu werden. Er erzählt von Folter, von Schlägen, von Strom, der mit Kabeln durch die Finger geleitet wurde. Durch die Folter, sagt Al-Habian, habe er gestehen sollen, an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort gewesen zu sein. „Irgendwann habe ich unterschrieben“, erzählt er.
Nach seiner Strafe flieht er über den Libanon, die Türkei und Griechenland nach Deutschland. Überprüfen lässt sich die Geschichte kaum. Al-Habian aber hat nun die Hoffnung, dass in Syrien bald wieder ein besseres Leben möglich ist. „Ich habe Assad erlebt. Es kann niemand kommen, der schlimmer ist als er.“
Das sagt auch Esra. Die 18-Jährige ist in Deutschland geboren, ihre Eltern stammen aus einem kleinen Dorf in Syrien, genauso wie deren Eltern. „Ich hoffe, dass ich jetzt meinen Opa treffen kann“, sagt Esra, die nur beim Vornamen genannt werden will. Sie habe noch Angst, dass ihrer Familie in Syrien etwas passiert, falls sie zu viel erzählt. „Wir wissen nicht, was kommt.“ Aber alles sei besser als das, was war.
Syrer: „Wir brauchen ein Wunder für Syrien“
Ein anderer Syrer ist weniger zuversichtlich. „Es steht außer Frage, dass Assad ein Diktator war und dass ich wie die überwiegende Mehrheit der Syrer froh bin, dass er weg ist“, sagt er. Doch es gibt einen Haken. „Wer kommt jetzt? Was ist die Alternative?“, fragt der Mann, der anonym bleiben möchte. Anfangs, sagt er, habe er „zu 100 Prozent“ hinter der Opposition gestanden. Schnell aber hätten auch Rebellen Infrastruktur zerstört und das Land gespalten. „Irgendwann war es so, dass man, wenn man etwas gegen die Opposition gesagt hat, ein Assad-Anhänger war, und, wenn man etwas gegen Assad gesagt hat, ein Oppositioneller war. Dazwischen gab es nichts.“
Ihm fehlt nun das Vertrauen in die Milizen. Zwar würden die sich weltoffen zeigen und würden Versprechungen machen. Das aber habe auch Baschar al-Assad einst getan. Auch er galt anfangs als Hoffnungsträger. „Letztlich geht es um Taten, nicht um schöne Worte.“ So sei Milizenführer Abu Muhammad al-Dschaulani immer noch als Terrorist eingestuft. „Und der läuft jetzt in Damaskus rum und ist plötzlich der große Hoffnungsträger?“
Zudem sei Syrien in der hochsensiblen Region militärisch wehr- und machtlos. Das würden Feinde wie Israel nutzen und syrisches Gebiet beschießen, sagt der Mann. Auch innenpolitisch ginge es dem Land schlecht. Er fürchte, die jahrelangen Embargos des Westens kämen absehbar vor allem Europa teuer zu stehen. Die Konsequenzen hätten vor allem die Bevölkerung, kaum aber Assad getroffen. „Ich fürchte, dass Syrien ein zweites Afghanistan werden kann. Mit dem Unterschied, dass die Terroristen und ihr Hass dann noch näher an Europa sind als es Afghanistan ist“, sagt er.
Hat er überhaupt Hoffnung? Wenig, antwortet der Syrer. „Von den neuen Machthabern wissen wir nur, dass auch sie Terroristen sind, dass auch sie Frauen vergewaltigt und Menschen umgebracht haben und dass es 26 Gruppierungen sind, die alle bewaffnet sind und alle Ansprüche haben. Das soll Hoffnung machen? Wir brauchen ein Wunder, damit in Syrien wieder ein halbwegs normales Leben möglich ist.“
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