Wirklich einfach ist es am Mittwoch zunächst nicht, Funktions- und Mandatsträger der Grünen zu sprechen. Immer wieder springen Mailboxen an, oder das Handy klingelt gänzlich erfolglos. Es ist auch viel los in dem Kreisverband, der die größte Fraktion im Gemeinderat stellt und dessen Kandidat Raymond Fojkar bei der Oberbürgermeisterwahl am Sonntag mit 13,8 Prozent der Stimmen zwar das beste Grünen-Ergebnis der Stadtgeschichte eingefahren hat – gemessen am eigenen Anspruch aber doch klar gescheitert ist.
Als der Kreisverband die Mitglieder am frühen Nachmittag in einer internen Mail, die dieser Redaktion vorliegt, informiert, dass Fojkar am 9. Juli nicht mehr antritt, ist damit zumindest mal die wichtigste Frage am Mittwoch geklärt. Schließlich müssen die Kandidatinnen und Kandidaten, die im ersten Wahlgang angetreten sind, bis 18 Uhr ihren Verzicht erklären, um nicht doch auf dem Stimmzettel aufzutauchen.
Es ist schon später Nachmittag, als sich die Protagonisten melden. Ihm sei nach dem Ergebnis vom Sonntag klar geworden, dass eine Kandidatur keinen Sinn mehr mache, sagt Fojkar. „Als Chancenloser im zweiten Wahlgang zu kandidieren wäre eine Verzerrung des Wählerwillens.“ Im zweiten Wahlgang gewinnt – anders als im ersten – der Kandidat, der die meisten Stimmen auf sich vereint. Eine absolute Mehrheit ist nicht mehr nötig.
Viele Meinungen „verständlich“
Die Erkenntnis muss erst in den letzten Tagen gereift sein. Vielleicht auch erst am Mittwoch selbst? Schließlich habe er nach langer Zeit endlich mal wieder mehr Zeit in seiner Praxis verbringen und mit seiner Ehefrau zu Mittag essen können, sagt Fojkar. Über den gesamten Wahlkampf und noch am Wahlabend nach der Ergebnisfeststellung hatte sich der Kinder- und Jugendpsychiater stets alle Optionen für eine zweite Wahl offengehalten. Nun hat er gewählt.
Ruhe kehrt damit in den Verband nicht ein. Vielmehr steht zu erwarten, dass den Grünen eine Zerreißprobe ins Haus steht. Die Frage, die die tief zerstrittene Partei und die Fraktion beschäftigt: Empfiehlt der Verband, nun SPD-Mann Thorsten Riehle oder den bürgerlichen Christian Specht zu wählen? Oder verzichtet er auf eine Empfehlung?
Für Letzteres hat sich Fojkar entschieden. Schon im Wahlkampf hatte er sich bei dieser Frage schwergetan, immer wieder auf das Selbstbewusstsein seiner Klientel verwiesen, die keine Wahlempfehlung brauche. Er selbst müsse sich nun als Bürger informieren, wem er seine Stimme gebe, sagt er. „Aus Respekt vor den Wählerinnen und Wähler gehört es sich deshalb für mich nicht, eine Empfehlung für die Wahl zu geben.“
Ob der Kreisverband der Ansicht seines ehemaligen Kandidaten folgt, ist offen. Es gehe politisch um viel, erklärt Sprecher Nils-Olof Born am Abend. „Als Partei haben wir eine andere Aufgabe als ein Kandidat.“
In Gesprächen über den Tag hinweg ist immer wieder zu hören, dass sich die handelnden Akteure in der Frage uneins sind. Nicht nur von Uneinigkeit, sondern sogar von Streit ist die Rede. Demnach favorisieren Teile des Grünen-Kreisverbandes und auch der Fraktion eine Empfehlung für Riehle.
Vor allem in der Fraktion soll es aber mehrere Stimmen geben, die Specht oder Neutralität empfehlen. Verschiedene Meinungen seien „absolut verständlich“, sagt Born, der Fojkar „großen Respekt“ für Wahlkampf und Rückzug zollt.
Am Dienstagabend soll sich eine Verhandlungskommission der Grünen unter anderem mit der SPD getroffen haben, um über eine mögliche Unterstützung zu sprechen. Vieles darüber dringt nicht nach außen. Born erklärt, dass Inhalte vertraulich seien, Fojkar spricht von „sachlichen“ Gesprächen „auf Augenhöhe“. Mitglieder der Kommission, etwa Fraktionsvize Chris Rihm oder Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen, verweisen am Telefon an die Spitze des Kreisverbandes und wollen keine Bewertung der Ereignisse abgeben.
Fraktionsvize Gerhard Fontagnier, der nicht Mitglied der Verhandlungskommission war und der dem linken Flügel der Partei zuzurechnen ist, begrüßt Fojkars Rückzug als „richtigen und konsequenten“ Schritt. Es sei die letzte Wahl, bei der nicht nur die beiden besten Bewerberinnen und Bewerber des ersten Wahlgangs nochmal antreten könnten. „Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung absolut richtig.“ Dass der Verhandlungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, sei schade. „Wir müssten bald Klarheit haben“, fordert er, sagt aber auch: „Es ist verständlich, dass die Gespräche erst bewertet werden müssen.“ Markus Sprengler, auch er gehört in der Fraktion zu den Befürwortern der Riehle-Unterstützung, aber nicht der Verhandlungskommission an, äußert sich ähnlich. „Es ist von Raymond Fojkar richtig gewesen, sich zurückziehen“, sagt er. „Für mich ist aber nicht nachvollziehbar, dass das nicht mit einer klaren Aussage zur weiteren Strategie verbunden wird.“
Die Grüne Jugend spricht sich dem Vernehmen nach indes für Riehle aus. Fojkar nimmt das gelassen hin und verweist auf den „engagierten Wahlkampf“, den die Nachwuchsorganisation vor dem ersten Wahlgang mit den Gleichaltrigen der SPD gemacht habe. Einen Wunsch äußert er dann doch noch: „Ich hoffe, dass der Wahlkampf mit nur zwei Bewerbern genauso engagiert und fair abläuft wie mit drei.“
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