Mannheim. Es muss eine harte, sehr harte Zeit für sie gewesen sein, für beide. Und doch sprechen heute Hans-Peter Schwöbel und seine Frau, die Lehrerin und Schriftstellerin Susanna Martinez, mit bemerkenswerter Leichtigkeit, ja sogar Begeisterung von jenen schweren Jahren, als sie ihr Studium mit Ferienjobs finanzierten. „Wobei das kein Ferienjob als Zubrot war, sondern unsere Basis für das Überleben“, stellt der als Sozialwissenschaftler Kabarettist und Schriftsteller bekannte Träger des Bloomaulordens klar.
„Amsterdam“ heißt damals jene Gaststätte am Speckweg, in der Susanna Martinez am Tresen steht, um ihr Pädagogikstudium zu finanzieren. Sogar am Tag ihrer Hochzeit mit Hans-Peter Schwöbel, dem Freitag, 13. Oktober 1967, arbeitet sie abends dort - weil ein anderes Brautpaar feiert. „Der Hochzeitstag war halt ein Schafftag“, sagt sie achselzuckend.
Seit 1962 ist sie mit Schwöbel, der schon ihr Klassenkamerad in der Waldschule war, verbunden. Sie sassen in der Freilichtbühne beim historischen Ritterspiel Heinrich von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“ nebeneinander, tranken aus einer Flasche - und es wurde mehr daraus. „Von Beginn an stand uns der Wind in den Mühen der Ebenen stramm entgegen“, blickt Schwöbel mit poetische Worten zurück. Seine Eltern können und wollen ihn nicht unterstützen, ebenso ist es bei seiner Frau. „Wir finanzierten Schule und Studium mit eigener Hände und Köpfe Arbeit“, betont er.
Susanna Martinez, die damals noch Gertrud Kramer heißt und erst später den zweiten Vornamen ihrer Großmutter und den Familiennamen ihres puerto-ricanischen Vaters Ismael Martinez annimmt, ist nicht nur Bedienung im „Amsterdam“. „Ich stand auch in der Küche, habe geputzt und oft mal den Schlüssel vom Wirt, der im Haus wohnte, geholt und alleine aufgemacht“, erinnert sie sich. Es ist die Zeit, als noch viel geraucht wird in Gaststätten. Sie muss Kippen entsorgen, Getränke einschenken und Essen bringen. „Manchmal waren die Gäste ungeduldig, aber es gab oft auch schönes Trinkgeld“, so Martinez.
„Bestimmt drei Jahre oder mehr“ sei sie im „Amsterdam“ tätig gewesen, oft jeden Abend. Aber nicht nur dort hat sie parallel zum Studium an der Pädagogischen Hochschule gearbeitet. Als „Laufmädchen“, wie man Büro-Hilfskräfte damals nennt, ist sie bei BBC (heute ABB) bei der Aktenablage, bei der Konsumgenossenschaft macht sie Rechnungskontrolle und bei Bopp & Reuther tippt die angehende Grund- und Hauptschullehrerin Korrespondenz - sogar in Englisch.
In Englisch und Französisch gibt sie zudem Nachhilfe, Hans-Peter Schwöbel Deutsch und Rechnen für Grundschüler. „Zeitweise hatten wir zusammen 20 Nachhilfeschüler“, weiß er noch. „Aber es waren wertvolle Erfahrungen, ich habe davon später immer profitiert“, sagt sie, die von 1969 bis zur Pensionierung 2010 als Grund- und Hauptschullehrerin unterrichtet und sehr viel Wert darauf legt, intensiv auf Kinder aus schwierigen Verhältnissen einzugehen, sie fit fürs Leben zu machen.
Auch für ihren Mann ist Susanna Martinez, wie er offen sagt, wichtige Stütze, die ihn oft inspiriert, berät und ermutigt. Das gilt heute für seine Tätigkeit als Schriftsteller und Kabarettist, der für Mundart und Sketche ebenso bekannt ist wie für Essays, Predigten und wissenschaftliche Vorträge. Aber so wie sie sich ihr Lehramtsstudium hat selbst verdienen müssen, so gilt das auch für den in Buchen geborenen Kraftfahrzeugmechaniker, der erst auf dem Zweiten Bildungsweg Mittlere Reife, Abitur und dann das Studium der Sozialwissenschaften schafft - bis hin zu Promotion und Professorentitel.
Aber zunächst einmal schleppt er Bierkästen. Seine Frau entdeckt die Anzeige, und so wird Schwöbel Bierfahrer. Er arbeitet für die „Niederlage“, wie Niederlassungen damals heißen, von der seit 1979 nicht mehr existierenden Bensheimer Brauerei Gundrum Bräu in Wallstadt. „Das Bier kam in riesigen Lastern aus Bensheim, wurde bei uns abgeladen, und dann habe ich es ausgefahren - morgens allein zu Privatleuten, nachmittags mit einem Kollegen und einem größeren Lkw zu Wirtschaften“, erinnert sich Schwöbel. „Bei Privatleuten ging es oft in den dritten oder vierten Stock, das war heftig, ganz viel Schlepperei“, aber es habe immerhin einen Stundenlohn von 4,45 Mark gegeben.
Auch Baustellen seien angefahren und die Arbeiter mit Bier beliefert worden. Ein Zuwanderer aus dem Osten habe ihn, wenn er ihm die Kästen brachte, stets auf eine landestypische Senfgurke eingeladen. „Dann haben wir zusammen ein Bier getrunken“, so Schwöbel. Und nicht nur da: „Wenn ich heute daran denke, was wir getrunken haben, wenn wir Bier ausgefahren habe, bekomme ich Gänsehaut - das war damals üblich, aber heute undenkbar“, bekräftigt er.
Nicht nur als Bierfahrer muss er kräftig zulangen. Schwöbel arbeitet als Autoschlosser und as Bauschlosser, wobei ihm sein Gesellenbrief zugutekommt. „Das ist beim Stundenlohn angerechnet worden, das fand ich gut“, freut er sich noch heute.
Ein anderer Nebenjob sei dagegen „ganz schlecht bezahlt“ gewesen, habe aber viel Spaß gemacht: die Tätigkeit als Statist am Nationaltheater. Schwöbel ist in mehreren Stücken tätig, muss oft schweigend agieren, mal einen Leuchter auf die Bühne tragen. Das besondere sei aber gewesen, dass Statisten für jedes gesprochene Wort extra bezahlt worden seien, mit 50 Pfennigen. „Nicht schuldig, Euer Ehren“ - dieser Satz habe immerhin zwei Euro gebracht. Aber unter dem Strich sei der Verdienst doch arg gering gewesen, „deswegen habe ich mal eine Rebellion von uns Statisten angeführt“, erzählt er schmunzelnd, aber der damalige Intendant Ernst Dietz (1963 bis 1972 im Amt) sei darauf eingegangen. „Er war wie ein Halbgott, aber ein bisschen mehr haben wir bekommen, ich glaube 1,50 Mark pro Abend“, sagt er schmunzelnd.
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Gegen Ende seines Studiums, als seine Frau schon als Lehrerin arbeitet und er noch an der Universität ist, ändern sich dann Schwöbels Tätigkeiten. Bis etwa 1972 ist er als Bierfahrer unterwegs, danach auf Burg Liebenzell oder anderen bekannten Bildungsstätten. Der Sozialwissenschaftler arbeitet nun in der Jugend- und Erwachsenenbildung, für die Jugendförderung der Stadt oder für andere Bildungsträger, bereitet inhaltlich Studienreisen nach Ost-Berlin der zum KZ Auschwitz vor - „eine spannende, eine prägende Zeit“, wie er sagt, und eine gute Vorbereitung auf seine Arbeit als Professor. Aber auch Bierfahrer zu sein, hab ihm Spaß gemacht, betont Schwöbel, und sei eine wichtige Erfahrung.
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