Serie Ferienjob

Wie die Mannheimerin Karla Spagerer im Job die Liebe ihres Lebens kennenlernt

Karla Spagerer ist im Februar 2022 die älteste Wahlfrau der Bundesversammlung. Auch sie hatte früher einen Ferienjob - in einer schrecklichen Zeit und ohne Bezahlung

Von 
Eva Baumgartner
Lesedauer: 
Karla Spagerer musste in ihrer Kindheit und Jugend nicht nur während der Ferien bei ihren Eltern tatkräftig mit anpacken. Geld gab es für ihre Arbeit während des Dritten Reiches und der Nachkriegszeit nicht. © Eva Baumgartner

Mannheim. Ob nach der Schule oder während der Ferien: Karla Spagerer muss in ihrer gesamten Kindheit und Jugend arbeiten. Bezahlt werden diese Jobs allerdings nicht, denn die heute 92-Jährige wächst in einer schrecklichen Zeit auf: „Ich war zehn Jahre alt, als der Krieg begann.“ Ihre Eltern haben eine Gastwirtschaft, doch ihr Vater wird bereits im September 1939 als Soldat eingezogen: „Dann mussten wir drei Frauen alles übernehmen: meine Großmutter, meine Mutter und ich.“

Schon mit etwa zehn Jahren packt Karla Spagerer in der Küche mit an, und als sie 13 ist, darf sie am Büfett stehen und Getränke ausschenken, erinnert sich die Sozialdemokratin an ihre Kindheit und Jugend. „Da ist nicht gefragt worden, jeder hat in dieser Zeit angepackt, wo es geht.“

Karla Spagerer als 13-Jährige: Sie trug am liebsten Hosen. © Privat

Die Gaststätte Waldschlössl an der Ecke Waldstraße und Alte Frankfurter Straße auf dem Waldhof übernimmt ihre Familie im April 1939. Nur fünf Monate später wird der Vater Soldat - und kehrt erst wieder im November 1947 aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück: „Aber er war nicht mehr der Alte, er war sehr krank.“

Mehr zum Thema

Serie

Ferienjob? Mannheims Handwerks-Chef hat da einen wichtigen Tipp

Veröffentlicht
Von
Timo Schmidhuber
Mehr erfahren
Prominente berichten

Vom Herd bis zur Werkbank: Welchen Ferienjob Ilka Sobottke nie vergessen wird

Veröffentlicht
Von
Christine Maisch-Bischof
Mehr erfahren
Prominente berichten

Michael Herberger und sein schönster Ferienjob als Mannheimer Schnaken-Bekämpfer

Veröffentlicht
Von
Steffen Mack
Mehr erfahren

Kurz vor dem Krieg übernommen

Im Keller der Gastwirtschaft gibt es einen Luftschutzbunker: „Das war der Bierkeller, er war auch öffentlicher Schutzraum.“ Menschen aus den einfachen Häusern gegenüber, die alle keinen Keller hatten, suchen hier Unterschlupf: „Und einmal wurde sogar ein Kind in diesem Keller geboren. Und wer in der Gaststätte saß, als ein Alarm kam, der ist dann runter in den Keller.“

Ihre Familie schläft in den letzten Kriegsjahren im Bunker im Langen Schlag: „Da gab es mehrere Betten übereinander, etwa 14 Menschen in einem Raum.“ Einmal läuft sie mit einer Freundin in der Dämmerung zum Bunker: „Da fiel uns auf, dass es statt dunkler immer heller wurde.“ Grund ist das sogenannte „Christbaumsetzen“ während des Krieges: So nennen die Menschen die Zeichen nahender Bombenangriffe am Himmel, wenn Beleuchtermaschinen für die nachfolgenden Bomber Lichter abwerfen, um Ziele zu markieren: „Die Leuchtkörper sahen aus wie Christbäume am Himmel, es war plötzlich taghell, und wir mussten rennen.“

Zu tun gibt es in der Gaststätte jede Menge: „Es war ja die Gaststätte, die am nächsten am SV Waldhof war. Da hatten wir nach Spielen immer viel zu schaffen. Es war aber immer voll.“ Am Liebsten steht Karla Spagerer hinter dem Büfett: „Aber ich musste auch putzen, das fand ich nicht so schön.“ An manchen Tagen rutscht sie auch auf Knien, um den Fußboden zu ölen. Geschadet habe ihr die Arbeit aber auf keinen Fall: „Ich hatte trotzdem eine sehr schöne Kindheit, und bin dadurch schnell erwachsen geworden.“

Während der Arbeit lernt sie zudem ihren spätern Ehemann kennen, den bekannten SPD-Politiker und Gewerkschaftler Walter Spagerer, der sich auch für den SV Waldhof engagierte: „Er ist jeden Tag zur gleichen Zeit an der Gaststätte vorbeigelaufen, hatte immer einen dunkelgrünen Anzug an“, erinnert sich die Waldhöferin. Ihre Mutter sei gleich hellhörig geworden, sie habe gemerkt, dass ihr junges Mädchen verliebt sei: „Und Vater war ja in Gefangenschaft, da wollte sie, dass ich ihr den jungen Mann mal zeige. Und als sie ihn gesehen hat, sagte sie, der ist zu alt für dich“, lacht Karla Spagerer heute.

Doch wie heute noch bringt sie das nicht aus dem Konzept, denn die SPD-Politikerin hat schon damals die Hosen an: „Als er einmal vor der Gaststätte mit einem anderen Mann stand, den ich kannte, bin ich raus und wurde auch vorgestellt.“ Anfangs scheut sich Walter Spagerer selbst noch, weil sie so jung ist. „Aber ich habe gewartet, und wir hatten zunächst eine sehr schöne Freundschaft.“ An Gesprächsstoff mangelt es nie, sagt sie: „Ich kam ja auch aus einer politischen Familie. Zwei Jahre später haben wir dann geheiratet, ich war 18 und er 29. Wir hatten eine Wohnung in Aussicht von Bopp & Reuther und mussten heiraten. Und waren es dann 68 Jahre lang.“ Das Paar bekommt zwei Söhne, Walter und Rainer. Auch nach ihrer Hochzeit und der Geburt der Kinder arbeitet Karla Spagerer in der Gaststätte weiter, denn als der Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, ist er nicht in der Lage, mitzuhelfen: „Meine Schwiegermutter hat nebenan gewohnt und auf die Kinder aufgepasst.“ Erst als der Vater stirbt, geben Mutter und Tochter die Gaststätte ab: „Mein Mann hatte auch immer an den Wochenenden mitgeholfen, aber er wollte dann ein Familienleben haben, denn das hat man in diesem Geschäft nicht.“

Warten auf die Liebe

Neben vielen Kriegserinnerungen ist Karla Spagerer noch etwas aus ihrer Zeit in der Gaststätte in Erinnerung geblieben: „Als Caterina Valente mit ihrem Mann Erik van Aro aufgetreten ist. Sie hat damals noch auf der Schönau gewohnt, er hat jongliert. Sie ist später dann berühmt geworden.“Auch die Fußball-Weltmeisterschaft 1954 vergisst sie nicht: „Da gab es noch keinen Fernseher, aber alle saßen in der Gaststätte vor dem Radio.“

Dass Karla Spagerer in der Gaststätte so angepackt hat, mag vielleicht auch daran liegen, dass sie ein Karl hätte werden sollen, grinst sie: „Mein Vater und Onkel und Onkel lagen sich schon in den Armen, doch dann stellte die Hebamme fest, dass es nur die Nabelschnur war, deshalb wurde ich Karla mit K.“

Die Arbeit und die Zeit, in der sie aufwächst, prägen Karla Spagerer, und sie nimmt viel fürs Leben mit: „Ich konnte mit 17 schon alles kochen, Rouladen oder Sauerbraten.“ Heute berichtet sie als Zeitzeugin Kindern und Jugendlichen von der schrecklichen Kriegszeit: „Ich möchte, dass sie so etwas nie mehr erleben müssen und ihre Zeit genießen können - auch in den Ferien.“

Mini-Interview auf Instagram @mannheimer_morgen

Redaktion Eva Baumgartner gehört zur Lokalredaktion Mannheim.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen