Mannheim. Wenn Helen Heberer auf ihrem leicht nostalgisch angehauchten Fahrrad durch Mannheim und seine Vororte radelt, dann wird sie oft von Passanten gegrüßt. Schließlich ist die SPD-Politikerin nicht nur in den Quadraten geboren. Vielmehr hat die Enkelin eines Rheinschiff-Kapitäns auch später als Landtagsabgeordnete stets für die Kultur ihrer Heimatstadt gekämpft, sich energisch stark gemacht gegen Diskriminierung und für freie Meinungsäußerung. Die Sozialdemokratin kennt die Mannheimer – und die kennen wiederum sie. Und so ist es eigentlich auch kein Wunder, dass beim Thema Ferienjob-Erinnerungen von der Straße bis zum Nationaltheater die unterschiedlichsten Schauplätze auftauchen.
Wohl mit die tiefsten Einblicke in puncto Orts- und vor allem in Menschenkenntnis verdankt sie ihrem Einsatz als Ausfahrerin einer Wäscherei-Filiale in den R-Quadraten. „Da war ich so zwischen zwölf und 16 Jahre alt“, erzählt sie: „Mit dem Fahrrad! Ich sag’ Ihnen, das war manchmal eine schöne Wackelpartie.“ Samt großem Wäschekorb auf dem Gepäckträger und den fein säuberlich eingepackten Wäschestapeln: „Die sollten ja makellos ankommen.“ Das muss der Schülerin so gut gelungen sein, dass sich Folgeaufträge ergaben.
Auf einen Auftrag folgt der nächste
Denn meist waren es wohlhabende Mannheimerinnen und Mannheimer, die es sich leisten konnten, die Wäsche nach Hause kommen zu lassen. „Viele Damen fragten, ob ich auch Besorgungen für sie machen könnte.“ Milch, Brot, Butter: Bald habe sie die Sonderwünsche ihrer Kundschaft gekannt und die regelmäßig bestellten Lebensmittel schon gleich mit den frisch gebügelten Kleidern und Bettbezügen vorbeigebracht: „So hatte ich einen Weg gespart und zwei mal Trinkgeld bekommen. Einmal für die Wäsche und einmal für die Besorgungen.“
Hinzu kam ihre „Gage“ vom Nationaltheater: „Als Statistin und als Mitglied im Chor oder im Ballett.“ Da erinnere sie sich an „herrliche Tanzauftritte“ im Nussknacker oder bei Boris Godunow, Carmen oder im Weißen Rössel. „Jeder Auftritt wurde vergütet. Stand man also in drei oder vier Rollen an einem Abend auf der Bühne, gab es für jede eine kleine Sonder-Gage.“ Das habe sich summiert: „Am Monatsende holte man sein Geld ab, und ich brachte es schnurstracks auf mein Sparkonto.“ Für ein Eis oder eine Limonade habe sie sich schon mal was abgezwackt.
Aber das Großartigste sei nicht nur der Stolz auf das selbst verdiente Geld gewesen, sondern „die wunderbare Theaterwelt“, die für sie einerseits Lernort und andererseits Ort der Freiheit war: „Ein Ort, an dem es über den Alltag und die Schule hinaus viele Möglichkeiten gab, sich zu entwickeln und zu erproben. Darstellerische Möglichkeiten, aber auch Künstler kennenzulernen, ihre Lebenswelt, ihre Form, sich auszudrücken.“
Nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau schloss sich erst ein Diplom am Institut für Wirtschaftskommunikation und Welthandelssprachen an. Die heute 71-Jährige war dann als Übersetzerin und Dolmetscherin tätig, studierte erst im Alter von 30 Jahren berufsbegleitend Pädagogik und wurde Lehrerin für Sprachen, Kunst und Sport. Hinzu kamen Dozententätigkeiten als Theaterpädagogin und Sprecherzieherin – was sie bis heute macht.
Ihr Studium in der Schweiz musste die Kurpfälzerin zum größten Teil selbst finanzieren. In zwei völlig unterschiedlichen Branchen und Berufswelten: in einem gutbürgerlichen Gasthaus und in der Buchhaltung einer Basler Klinik. „Serviertochter“ nannte sich ihr erster Job damals: „Das war im Wortsinn so. Denn die Chefs verhielten sich uns gegenüber eher wie Ersatzeltern. Ich seh’ das Paar noch vor mir. Sie immer mit den Haaren zum Knoten gebunden in der Küche und im Service, er an der Getränketheke. Bissl wie in dem kultigen Mannheimer Lokal Hemmlein.“ Die Studentin habe damals viel über Menschen gelernt, zum Beispiel, wie man freundlich und zugewandt auf sie zugeht. Was die Politikerin ja auch heute noch auszeichnet: „Sicherlich, das war eine gute Schule.“
Eine Nähmaschine gegönnt
Natürlich in Kombination mit dem Job im Krankenhaus: „Was ich nach wie vor gut finde, dass dort zuerst der Patient die Behandlungsrechnung bekommt und abzeichnet, bevor sie an die Krankenkassen geht.“
Hat sie sich vom Ersparten auch mal einen Herzenswunsch erfüllt? „Ja, eine nagelneue Elna. Das war toll.“ Die leichte, portable Schweizer Nähmaschiene sei der Hobby-Schneiderin heute noch die Liebste: „Die habe ich oft im Urlaub dabei.“
Und apropos menschlich – in dieser Hinsicht habe sie am meisten bei ihrem Praktikum in einer heilpädagogischen Einrichtung mit Down-Syndrom-Patienten profitiert: „Wenn ein Kind langsam wieder einzelne Worte sprechen kann, dann geht man abends zufrieden heim. Weil man wenigstens ein kleines Steinchen bewegt hat.“ Nachdenklich fügt sie hinzu: „Das ist leider in der Politik nicht immer so.“
Bewährtes Rad
Nach dem Gespräch bleibt auf dem Weg zu ihrem geparkten Zweirad doch noch eine Frage offen: Bei allem Sinn fürs Bodenständige – wer zeitlebens so viel mit dem Rad unterwegs ist, der könnte sich doch auch mal ein komfortableres Modell gönnen, oder? Da lacht die Oststädterin, während sie sich in ihrem schicken schwarz-weißen Hosenanzug auf den Sattel schwingt: „Nö, das mache ich schon lange so. Dann wird es wenigstens nicht geklaut.“ Sagt sie, winkt nochmal kurz zum Abschied: „Alla dann, bis bald.“ Und schon ist sie fort. Einfach klug und schlau, diese Frau.
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