Serie Ferienjob

Was Mannheims Unirektor Thomas Puhl als Krankenpfleger gelernt hat

Eigentlich ist Thomas Puhl Jurist - als Jugendlicher hat er als Pfleger auf einer chirurgischen Station gearbeitet. Weil ihn diese Zeit bis heute prägt, hat er einen Wunsch an Eltern und Politik

Von 
Sebastian Koch
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Der Ferienjob als Pfleger hat ihn bis heute geprägt: Unirektor Thomas Puhl. © Christoph Blüthner

Mannheim. Eitrige Wunden, abgestorbenes Gewebe, weggeschürfte Hautfetzen, Schmerzen, Leid, oder auch einfach der Umgang mit Schnabeltassen und Bettpfannen, ja sogar ein Besuch im OP-Saal - wenn Thomas Puhl über seinen Ferienjob als Pfleger auf einer chirurgischen Station spricht, holen ihn zahlreiche Erinnerungen ein. Kein Wunder also, dass sich der Rektor der Universität zur Vorbereitung viele Notizen gemacht hat, die nun vor ihm auf dem Tisch liegen. Immer wieder linst Puhl auf einen der Zettel, wohl um auch ja keine der so wertvollen Erinnerungen zu vergessen. „Ich habe wieder gemerkt, wie wichtig und eindrucksvoll der Job gewesen ist und dass ich dabei wahnsinnig viel gelernt habe“, sagt er - und erklärt später mit einem Lachen: „Ich ekle mich vor so gut wie gar nichts mehr.“

Puhl, 1955 geboren, hat eine nach eigener Aussage „relativ behütete“ Schulzeit genossen. Von der 5. Klasse an besucht er ein Internat in Godesberg. Über Verbindungen aus dem Lehrkörper sei in dieser Zeit eine Kooperation zwischen Internat und dem dortigen evangelischen Waldkrankenhaus entstanden. Jugendliche, darunter Puhl, unterstützten am Wochenende das Pflegepersonal. „Wir haben dafür kein Geld bekommen, sondern es ging nur darum, einen Blick in eine andere Welt zu tun und zu erfahren, wie der Betrieb in einem Krankenhaus abläuft“, erklärt er. „Und natürlich haben wir damit auch die dünne Personaldecke etwas verstärkt.“

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Nähte ziehen ist aufregend

Als Puhl mit 16 Jahren ein Stipendium für ein Internat in den Vereinigten Staaten erhält, habe er gewusst: „Das wird teuer, wenn ich auch ein wenig reisen will. Da muss ich Geld verdienen.“ Gesagt, getan: Anstatt in den Ferien nach Hause zu fahren, darf er vier Wochen lang auf der chirurgischen Station aushelfen, die er bereits kennt. „Ich war im Wochenenddienst angelernt und durfte richtig viel machen“, erinnert er sich. Das habe nicht nur ihm Spaß gemacht, sagt er, sondern auch den Schwestern. Puhl ist die meiste Zeit der einzige Mann im Pflegeteam.

In den folgenden vier Wochen lernt er - jetzt auch gegen Bezahlung - den Alltag und die Routinen im Pflegebetrieb noch besser kennen: Wecken um 6.15 Uhr („es geht tierisch früh los“), lüften, bettenmachen, eventuelle Hilfe beim Gang auf die Toiletten oder Betten neu beziehen, „wenn mal etwas passiert ist“, wie Puhl es sagt. „Gerade auf der Chirurgie kommt das öfter mal vor.“ Frühstücksverteilung, Medikamentenausgabe, Blutdruck messen und „fragen, ob die Patienten Verdauung gehabt haben und das in irgendwelche Kurven eintragen“, erinnert sich Puhl wieder mit einem Lachen. Häufig mit dabei: Erfahrene, in der Hierarchie höher angesiedelte Schwestern. „Wenn es darum ging, anzupacken, Betten zu machen oder Patienten auf die Pfanne zu setzen, waren alle auf einer Ebene. Zu zweit geht eben alles schneller.“

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Der Jugendliche schiebt Betten über Gänge, hilft beim Verbandswechsel oder ist beim Röntgen dabei. „Als ich etwas Routine hatte, durfte ich sogar mal Nähte ziehen“, frohlockt er. Das sei zwar „kein Hexenwerk“, aber für „einen jungen Menschen trotzdem aufregend“.

Die Aufregung, die der junge Thomas Puhl erleben durfte, lässt sich auch Jahrzehnte später im Gespräch noch erahnen. Immer wieder huscht ein Lächeln über die Lippen des Unirektors, ab und zu fallen dem Juristen noch beim Erzählen neue Anekdoten, neue Namen ein. Auch Erkenntnisse, die er aus dieser Zeit gewonnen hat, prägen Puhl bis heute. „Ich habe von Schwestern gelernt, dass es wichtig sein kann, sich aus Selbstschutz auch mal zurückzunehmen und nicht immer gleich aufzuspringen, wenn ein Patient in kurzer Zeit zum siebten, achten oder neunten Mal schellt“, sagt er. „Mitgefühl ist wichtig, aber zu viel davon macht einen kaputt.“

Vier Wochen arbeitet Puhl - und verdient genug Geld, um seinen Aufenthalt in den Staaten zu finanzieren. Es sei sogar ein dickes Polster gewesen. Aber nicht allein das Finanzielle ist es, was in Erinnerung geblieben ist. „Viel wichtiger ist: Ich habe zum ersten Mal wirklich gespürt, dass ich etwas Sinnvolles tun kann und dabei Erwachsenen auch noch auf Augenhöhe helfe.“

"Wochenenddienste haben Sinn für Realität im Leben gegeben"

Hat sich das gesellschaftliche Bild des Pflegers, der Schwester im Laufe der Jahre verändert? „Das weiß ich nicht“, antwortet Puhl. Die Bezahlung sei noch immer nicht adäquat. „Wir müssen uns immer klar machen, welche Belastung etwa ein Schichtdienst ist und welch hohe Verantwortung die Menschen tragen.“ Der Beruf sei körperlich „ungeheuer anstrengend“, aber auch psychisch: Man müsse neben Erfolgen auch „niederschmetternde Nachrichten“ verarbeiten, sagt Puhl. „Die gesellschaftliche Anerkennung dafür ist nicht groß genug.“

Puhl habe als Pfleger wertvolle Erfahrungen gesammelt, wird er nicht müde zu betonen. Erfahrungen, von denen er sich wünscht, dass sie junge Menschen auch heute noch machen. „Die Wochenenddienste haben uns ins Leben geführt und uns einen Sinn für Realität gegeben.“ Von der Arbeit profitiere der Rektor der Universität noch heute. „Vor allem für Menschen, die studieren und später in einem geschützteren Beruf landen, tut es gut zu wissen, wie es ist, körperlich anstrengend und außerhalb klimatisierter Büros zu arbeiten“, sagt er. „Ich halte einen - durchaus auch obligatorischen Dienst - für alle aus pädagogischer Sicht und für das Menschwerden für unglaublich wichtig“, spielt der Jurist auch auf die Debatte an, die zuletzt durch einen Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wieder an Dynamik gewonnen hatte. „Eltern sollten ihren Kindern jedenfalls eine solche Zeit ermöglichen und ihnen die Gelegenheit geben, in Sportvereinen, im Kinderheim, in der Integrationshilfe oder im Krankenhaus zu erfahren, was es heißt, zu helfen und wertgeschätzt zu werden“, rät Puhl. „Das tut der Entwicklung eines jungen Menschen unheimlich gut.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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