Belle Époque - Mode, Mobilität und viele Neubauten prägen Mannheim von 1871 bis 1914

Glanzvolle Zeit einer wachsenden Stadt

Von 
Peter W. Ragge
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Julia Lanz und Anna Reiß, prägende Frauen und stark engagiert als Mäzeninnen, sieht man auf großen Gemälden in der Ausstellung zur „Belle Époque“. © rem/schumann

Mannheim. Wie herrlich! „Damen mit unverdeckten Haarnadelspitzen sind von der Beförderung ausgeschlossen“, verkündet 1912 ein Schild. Mode und Mobilität – beides ist ganz groß im Kommen um die vorige Jahrhundertwende. Daher fasst es jene Zeit so wunderbar zusammen wie die ganze neue Ausstellung „Belle Époque – Tanz und Taumel einer Epoche“, die auf tausend Quadratmetern zusammen mit zwei weiteren neuen Präsentationen ab Sonntag im Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen zu sehen ist.

„Belle Époque“, das ist „eine Zeit, die es so in Deutschland eigentlich nicht gibt“, räumt Andreas Krock ein, der Kurator der Ausstellung. Den Begriff haben die Franzosen geprägt, und doch trifft er auf die Ära zwischen der Reichsgründung 1871 und dem Ersten Weltkrieg 1914 gerade in Mannheim sehr gut zu.

„Es ist die Zeit, als die Stadt ihren zweiten Aufschwung erlebt“, so Christoph Lind, Direktor des Zeughauses. Mannheims erste große Blüte, als kurfürstliche Residenz 1720 bis 1777, lässt sich im dritten Stock des Zeughauses nachempfinden. Nun widmet sich das Museumsteam erstmals in diesem Umfang dem Beginn des 20. Jahrhunderts.

Hohe Spende vom Fördererkreis

Möglich gemacht hat es insbesondere der Fördererkreis der Reiss-Engelhorn-Museen mit einer Spende von 85 000 Euro; weiter einzelne Stifter kamen hinzu. Der Verein feiert damit sein 50-jähriges Bestehen. „Unser Ziel ist, die Sammlung des Hauses zu unterstützen, da fanden wir das besser als eine Veranstaltung mit Reden“, erklärt Vorsitzender Hans-Jürgen Buderer. Dabei sei diese Ausstellung „Belle Époque“ ein „erster Schritt“ für weitere Aktivitäten im Zeughaus, aber ein wichtiger Schritt: „Ohne die bürgerschaftliche Elite, die sich nach dem Ende Mannheims als Residenzstadt gebildet hat, würde es viele heute wichtige Einrichtungen gar nicht geben“.

Prägende Frauen

Und tatsächlich – in der Ausstellung begegnet man (auf Gemälden etwa von Otto Propheter) Fabrikant Friedrich Engelhorn, den Geschwistern Carl und Anna Reiß, Julia Lanz, der Mäzenin Helene Hecht, auf deren Engagement die Musikhochschule zurückgeht, oder Melanie Smreker, Frau des Ingenieurs, der die Mannheimer Wasserversorgung und den Wasserturm baut.

Dabei sieht Krock viele Parallelen zu heute: „Ab den 1880er Jahren wurden auch alle Straßen aufgerissen, eine Kanalisation verlegt, zwei Drittel aller Bauten in der Innenstadt neu errichtet, die Stadt erweitert“. Das Auto wird erfunden, neue Mode kommt auf. Statt der Pferdebahn fährt erst eine Dampfbahn, ab 1900 die „Elektrisch“. Der Wasserturm wächst empor, anfangs auf völlig freiem Feld vor den Toren der Stadt. Dann folgt die Oststadt, wird der Luisenpark angelegt und 1896 nach der Großherzogin benannt, der Rosengarten errichtet. Nur der wuchtig-monumentale Bau, den dessen Architekt Bruno Schmitz für ein neues Reiß-Museum an der Kunsthalle (wo heute der Neubau steht) vorsieht, entsteht nie – ein Bild davon zeigt aber die neue Schau.

Sie verdeutlicht nicht chronologisch, sondern mit einzelnen, spannenden Schlaglichtern, wie Mannheim sich wandelt – und binnen weniger Jahre explodiert. Um 1900 werden 100 000 Einwohner gezählt, 1914 schon 200 000. „In Mannheim herrscht Aufbruchstimmung. Nie war mehr so viel Kapital wie damals in der Stadt. Nicht in Berlin oder Köln, hier ist die Stadt mit der höchsten Nachfrage nach Dienstboten in Deutschland, und die Löhne sind in ganz Baden hier am höchsten“, weiß Krock: „Das zeigt das Potenzial, das Mannheim damals hatte!“

Auch die Kehrseite

Hafen und Bahnlinien beschleunigen die Industrialisierung, es bildet sich ein großzügiges Bürgertum – aber neben den neuen Villen der Oststadt und modernen Warenhäusern zeichnet sich auch Elend ab. Die Stadt kommt nicht mit dem Wohnungsbau hinterher, Firmen ergreifen die Initiative und bauen Unterkünfte für ihre Arbeiter – etwa Bopp & Reuther auf dem Waldhof.

„Es war nicht alles so schön, wir zeigen auch die andere Seite“, verdeutlicht Krock. Da sieht man großformatig Isadora Duncan, ein absoluter Star dieser Zeit und für damals astronomische 13 000 Mark Gage für das Stadtjubiläum 1907 engagiert, aber auch „die Kehrseite der Medaille“, so Krock: „Prostitution mit einer hohen Dunkelziffer, Krankheiten, Alkoholsucht“. „Es war eben ein Tanz auf dem Vulkan“, erklärt der Kurator den Untertitel der neuen Ausstellung, „es ging rasant auf den Ersten Weltkrieg zu!“

Zeughaus

  • Das Museum Zeughaus in C 5 ist nach der Neupräsentation der drei Ausstellungen jetzt wie folgt gegliedert: Im Untergeschoss „Glanz der Antike“, im Erdgeschoss Foyer und Florian-Waldeck-Saal, im ersten Stock Sonderausstellungen (derzeit „Mumien“), im zweiten Stock „Belle Époque“, „Glaubensschätze“ und „Christuskirche“, im dritten Stock „Kunst für Kurfürsten“ und Theatergeschichte ) sowie ganz oben das Forum Internationale Photographie.
  • Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr, an allen baden-württembergischen Feiertagen 11 bis 18 Uhr, 24.12. sowie 31.12. geschlossen.
  • Eintritt: Erwachsene drei Euro, Kinder/Jugendliche (bis 18 J.) frei, Studierende/Azubis und Begünstigte zwei Euro, Familien sechs Euro.
Mannheim

REM mit drei neuen Ausstellungen im Zeughaus

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