Mannheim. Viele Jahre nicht mehr haben Demonstrationen in Mannheim im Vorfeld so viele Sorgen entfacht wie die für Freitag geplante AfD-Kundgebung und eine Gegendemonstration. Am Ende aber ist vielen die Erleichterung anzusehen: Der Freitag auf dem Paradeplatz ist laut. Stimmgewaltig. Es gibt Provokationen von beiden Seiten. Letztlich aber verläuft der Abend friedlich. Zu befürchteten Ausschreitungen kommt es nicht, auch weil viele hundert Polizisten die Gruppen trennen. Dennoch wird der lange und nervenaufreibende Tag vielen in Erinnerung bleiben.
Viel Zeit vergeht am Freitag, bis der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde der Verwaltung gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts entscheidet. Das hatte tags zuvor der AfD gestattet, auf dem Marktplatz zu demonstrieren, den Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) zur Gedenkstätte erklärt hatte. Am Nachmittag, keine zwei Stunden vor Beginn der Kundgebung, teilt der VGH dann mit: Die AfD muss auf den Paradeplatz.
Der Mannheimer AfD-Sprecher Rüdiger Ernst wiederholt am Sonntag im Gespräch mit dieser Redaktion Kritik, die Landeschef Markus Frohnmaier am Freitag geäußert hatte. Die Entscheidung habe viele verwirrt. „Dass die Entscheidung so kurzfristig gefallen ist, hat uns geschadet“, sagt Ernst. Die Begründung halte er für „nicht plausibel“.
Der Fall werfe „schwierige verfassungs- und versammlungsrechtliche sowie tatsächliche Fragen auf, die in der Kürze der Zeit nicht abschließend zu beantworten seien“, teilte der VGH am Freitag mit. Demnach habe das Gericht eine Folgenabwägung, wie es heißt, getroffen, die zum Nachteil der AfD ausgegangen sei. So liege der Paradeplatz in unmittelbarer Nähe zum Marktplatz. „Durch die Verlegung der Versammlung würde eine Teilnahme nicht vereitelt, da nicht zu erwarten sei, dass Teilnehmer, die gezielt den Marktplatz aufsuchten, die dann verlegte Veranstaltung nicht mehr rechtzeitig auffinden könnten.“
Großes Medieninteresse bei Gedenken und Demonstrationen in Mannheim
Zwar beinhalte die Versammlungsfreiheit die Freiheit, den Ort zu wählen. Allerdings komme dieser Freiheit in diesem Fall aufgrund des von der Stadt angebotenen Ersatzorts und der Tatsache, dass in der Wahl des Ortes der Persönlichkeitsschutz des getöteten Polizisten möglicherweise vollständig zurückzustehen habe, keine „durchschlagene Bedeutung“ zu. Der VGH beschließt: Die AfD muss ausweichen, denn würde sich im Nachhinein erweisen, dass die Kundgebung auf dem Marktplatz das postmortale Persönlichkeitsrecht des getöteten Polizisten verletzt, „wäre dieser Schaden nicht wieder gut zu machen“.
Schon wenige Minuten nach der Entscheidung baut die AfD auf dem Paradeplatz eine Bühne auf. Starke Polizeikräfte haben den Platz umstellt und ihn mit Gittern versehen. Wirklich vorstellen kann man sich noch nicht, wie hier später mehr als tausend Menschen, mit konträren politischen Meinungen aufeinandertreffen sollen.
Das Medieninteresse ist groß. Bereits am Vormittag waren viele Journalistinnen und Journalisten auf dem Marktplatz, wo Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um Rouven Laur trauerte. Am Abend gibt es vom Balkon des Stadthauses Live-Schalten auf den Paradeplatz.
Dort wird auch eine Gegenkundgebung erwartet, maßgeblich vom Deutschen Gewerkschaftsbund organisiert. Weil AfD und auch die Antifa außerdem tagelang ihre Proteste bundesweit beworben hatten, war die Sorge groß. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Oberbürgermeister Specht hatte am Donnerstag an die Versammlungsleiter öffentlich und „nachdrücklich“ appelliert, dass „von ihren Versammlungen keine Störungen und Straftaten ausgehen“. Eine solche Mitteilung ist nicht alltäglich. Sie zeugte auch davon, wie angespannt Verwaltung und Bevölkerung auf die Demonstrationen geblickt haben.
Polizei trennt mit zahlreichen Kräften AfD-Kundgebung von Bündnis Mannheim gegen Rechts
Die Gegendemonstration erreicht um kurz nach 18.30 Uhr den Paradeplatz, wo die AfD-Kundgebung bereits läuft. Dem DGB und dem mitorganisierenden Bündnis Mannheim gegen Rechts ist es gelungen, so der Eindruck, eine Antifa-Gruppe zu integrieren. Das sorgt dafür, dass die Gruppe kaum zur Geltung kommt. Ein Erfolg für die Organisatoren der Gegenkundgebung.
Auf der Kundgebung der AfD werden eine „Nulltoleranzpolitik gegenüber dem politischen Islam“ und schnelle Abschiebungen gefordert. Auch Plakate, auf denen „Remigration“ zu lesen ist, sind zu sehen. Für die islamfeindliche Gruppe Pax Europa, die am Tag des Attentats auf dem Marktplatz einen Infostand hatte, gibt es Applaus. Die Gegendemonstration auf der anderen Seite des Platzes entgegnet „Ganz Mannheim hasst die AfD“ oder „Nazis raus“. Die Stimmung ist hektisch, teilweise aufgeheizt. Dennoch hat man - anders als am Sonntag zuvor - nie das Gefühl, dass es zu körperlicher Gewalt kommen könnte. Die Polizei trennt in der Mitte des Platzes mit starken Kräften die Gruppen strikt voneinander.
Verbale Provokationen, aber keine Straftaten
Ralf Heller, DGB-Kreisvorsitzender, kritisiert die AfD, die ihre Provokationen gegen eine friedliche und trauernde Zivilgesellschaft fortgesetzt habe, nachdem am Sonntag die Nachwuchsorganisation der Partei demonstriert hatte. „Diesen fortgesetzten Provokationen ist die Zivilgesellschaft entschieden und friedlich entgegengetreten. Das war ein sehr starkes Zeichen“, erklärt Heller am Sonntag dieser Redaktion. „Ich bin dankbar, dass viele Menschen den Hetzern und Feinden der Demokratie klar und deutlich mitgeteilt haben, dass sie eine demokratische und vielfältige Gesellschaft haben wollen, die geprägt ist von gegenseitigem Respekt und Toleranz.“
Die Sorgen vieler im Vorfeld empfand Heller aber auch als „befremdlich“. „Der DGB und das Bündnis Mannheim gegen Rechts haben es mit all ihrer Erfahrung möglich gemacht, dass die Zivilgesellschaft der AfD klar und friedlich gegenübergetreten ist.“ Auch AfD-Chef Ernst erklärt am Sonntag, die Sorgen vor einer Eskalation seien „übertrieben“ gewesen. Dennoch sei er froh, dass alle gesund nach Hause gekommen seien. „Die Polizei hat uns gut beschützt“, sagt Ernst, der insgesamt auch ein „positives Fazit“ zieht.
Und die Polizei? Präsidiumssprecherin Sabine Abeln hatte bereits am Freitagabend erklärt, dass es verbale Provokationen gegeben habe, aber keine Straftaten oder Auseinandersetzungen bekannt seien. „Das gemeinsame Sicherheitskonzept von Polizei und Stadt ist bislang aufgegangen.“ Das sei auch auf den Einsatz starker Kräfte zurückzuführen.
Specht bedankt sich am Samstag. „Dank der starken Präsenz und des umsichtigen Einsatzes der Polizei konnten beide Versammlungen ohne gravierende Störungen stattfinden. Ich danke allen Einsatzkräften der Polizei, der Rettungsdienste und der Feuerwehr, dass sie die Versammlungen vor Ort gesichert und sich in erhöhter Bereitschaft gehalten haben. Das war ein wichtiger Beitrag, um die Sicherheit der Menschen in unserer Stadt zu gewährleisten“, teilt der Oberbürgermeister mit. Auch das ist, in dieser Form, nicht unbedingt gewöhnlich.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-demos-nach-messerattacke-mannheims-ob-specht-dankt-einsatzkraeften-_arid,2214277.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach Demos: Das Sicherheitskonzept in Mannheim ist voll aufgegangen!