Kundgebungen (mit Video)

Einkesselung, Sprechchöre und Banner: Hitzige Atmosphäre auf dem Mannheimer Marktplatz

150 Menschen waren am Sonntag bei der Kundgebung der Jungen Alternative nach der Messerattacke auf dem Mannheimer Marktplatz am Freitag - und mindestens 800 Gegendemonstranten. So liefen die gut drei Stunden ab

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Sebastian Koch
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Eine kleine Gruppe der Antifa versucht die Kundgebungen zu stören und wird schnell von der Polizei eingekesselt. © Michael Ruffler

Mannheim. Plötzlich rennen unzählige Polizisten los. Lautstark, mit Bannern und Bengalos kommt eine kleine Gruppe der Antifa aus Richtung Kurpfalzkreisel zum Marktplatz. Schnell werden sie von der Polizei eingekesselt. Ein AfD-Demonstrant stürmt ebenfalls auf die Antifa-Gruppe los, beleidigt, kündigt Gewalt an. Auch er wird schnell wieder auf den Marktplatz zurückgedrängt. Dann beruhigt sich die Situation wieder.

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Es ist das einzige Mal am Sonntagnachmittag, dass die Lage tatsächlich droht, aus dem Ruder laufen könnte. Hitzig und angespannt ist es auf dem Marktplatz trotzdem. Nach der Messerattacke, bei der ein Polizist getötet wurde und sechs Menschen verletzt wurden, am vergangenen Freitag hatte die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, zu einer Kundgebung aufgerufen. Deren Teilnehmerzahl gibt die Polizei mit etwa 150 an. Dem stehen etwa 800 bis 1000 Menschen gegenüber, die sich in der Breiten Straße versammeln, um gegen die Kundgebung zu demonstrieren.

Gegendemo in Mannheim: Sprechchöre sollen Kundgebung am Marktplatz übertönen

Die Lager stehen sich deutlich gegenüber, provozierende Gesten kommen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern beider Seiten. Als die Redner von Junger Alternative und AfD das Wort ergreifen, versuchen die Gegendemonstranten sie mit Sprechchören zu übertönen: „Nazis raus!“ oder „Ganz Mannheim hasst die AfD“ sind zu hören. Ein gellendes Pfeifkonzert und Buhrufe sollen die Kundgebung auf dem Marktplatz stören. Auf den großen Bannern von Junger Alternative und AfD stehen Slogans wie „Remigration hätte das verhindert“ und „Remigration - kein Zutritt für Terror“.

Zu größeren Zwischenfällen kommt es zwischen 14 und 17 Uhr nicht. Polizeisprecher Karl Appel spricht von einigen Platzverweisen und davon, dass einzelne Personen vom Platz geführt worden sind. „Das ist bei einer Demonstration nichts Ungewöhnliches.“

Zweites Video aus Mannheim zeigt schockierende Szenen von Freitag

Auch Sozialdezernent Thorsten Riehle (SPD) ist gekommen. „Dass ausgerechnet Rechtsextreme die Situation ausnutzen wollen, steht unserer Stadtgesellschaft zuwider“, sagt er mit Blick auf die Kundgebung der Jungen Alternative auf dem Marktplatz. Jetzt sei die Zeit, Menschen zusammenzuführen und nicht zu spalten. Gleichzeitig sei er, sagt Riehle, in Gedanken bei dem getöteten Polizisten. „Die Situation bedrückt mich ungemein“, erklärt er. „Ich will mir nicht ausmalen, wie sich jetzt andere Beamtinnen und Beamten fühlen.“

Ein Blick auf die Menschenkette kurz vor Beginn der Kundgebung. © Thomas Frey/dpa

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen nimmt eine „Verängstigung“ unter der Mannheimer Bevölkerung wahr. Viele seien „verzweifelt“, sagt sie. Gleichzeitig ist es für sie wichtig zu sehen, dass so viele Menschen hinter dem Grundgesetz und den Werten, die es vermittelt, stünden, sagt sie. „Es geht nicht, dass diejenigen, die das Grundgesetz und unsere Rechte verteidigen, derart angegriffen werden wie am Freitag.“

Unterdessen macht am Wochenende ein zweites Video von der Messerattacke die Runde in sozialen Netzwerken. Es zeigt die schockierende Szene aus einer anderen Perspektive. Zu sehen ist unübersichtliches Gerangel, in dem ein Mann mit blauer Jacke mehrfach mit Fäusten auf einen vor ihm liegenden Mann einschlägt. Der Polizist springt dazwischen und reißt den Prügelnden zu Boden. Wenige Augenblickende später befreit sich der Messerangreifer aus dem Getümmel, rennt zu dem Polizisten, der jetzt über dem Mann mit der blauen Jacke kniet und ihn fixiert - dann folgen die verheerenden Messerstiche.

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Mannheimer Muslimin: „Alle stehen unter Schock“

Es sind diese Bilder, die auch einen jungen Muslim erschüttern, der komplett in Weiß gekleidet und mit Zigarre am Rand der Menschenkette in Höhe der Bahnhaltestelle steht. Nur zufällig ist er in die Mahnwache geraten, bleiben will er nicht. Gerade war er mit einer Frau, die ein rotes Kopftuch trägt, am Marktplatz frühstücken. Er befürchtet, dass wegen des Vorfalls am Freitag alle Muslime und der Islam mit solchen Verbrechen in Verbindung gebracht werden. Seinen Namen verrät er nicht, ebenso wenig seine Begleitung. Aber die Frau, die rund um den Marktplatz geboren und aufgewachsen ist, erzählt von Gesprächen aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis: „Alle stehen unter Schock.“

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Ganz am anderen Ende der Menschenkette stehen Anne Lösener aus Heidelberg und Karin Grgic aus Zweibrücken. „Wir sind extra hergekommen, um ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt und gegen Rechts und Populismus zu setzen“, sagen die 57 und 51 Jahre alten Schwestern. Neben ihnen steht ein Ordner in seiner neongelben Weste. Hier ist Schluss, sagt er. Auch um den Marktplatz herum darf die Menschenkette nicht führen. „Wegen Einkesselung. Auflage der Polizei.“

Wenige Momente später beginnt die Kundgebung der JA auf dem Marktplatz. „Mannheim ist auf der Straße, um zu zeigen, wer Mannheim ist“, sagt Grünen-Stadtrat und Mit-Initiator der Menschenkette, Gerhard Fontagnier. Er erklärt zwar, dass er die Meinung des bei der Messerattacke verletzten Islamkritikers Michael Stürzenberger nicht teilt. „In Mannheim muss aber jeder seine Meinung äußern dürfen, ohne abgestochen zu werden“, ruft Fontagnier über ein Megafon der Mange zu. Der Stadtrat erklärt mit Blick auf die Mahnwache der Jungen Alternative: „Ihr werdet keinen Platz haben, diese Stadt zu entzweien.“

Nach der Messerattacke mit mehreren Verletzten in Mannheim erinnern Kerzen und Blumen an die Opfer. © Thomas Frey/dpa

„Dafür, dass der Aufruf zur Menschenkette erst am Samstag kam, ist die Menge hier sehr beachtenswert“, sagt Andrea Ruck von der Initiative Omas gegen Rechts. Die acht Mitglieder der Gruppe sind an ihren weißen Westen am Eingang zum Marktplatz vom Paradeplatz aus kommend sofort zu sehen. Als absolut wichtig bewertet Mitstreiterin Tanja Hilton die Gegenkundgebung: „Die Stadtgesellschaft setzt ein klares Zeichen, dass wir hier keine Rechtsextremen wollen, die solche Vorfälle für sich ausnutzen.“

Mannheimer Polizei kesselt Antifa noch lange am Marktplatz ein

Gegen 17 Uhr endet die Kundgebung der Jungen Alternative. Teilnehmerinnen und Teilnehmer stellen rote Grablichter im Gedenken an den Polizisten am Brunnen am Marktplatz ab. Zu diesem Zeitpunkt trennt eine Straßenbahn und eine Polizeikette die Gegendemonstranten von der Kundgebung. Die Antifa-Gruppe ist noch immer gesondert von der Polizei eingekesselt, skandiert Parolen gegen rechts und Polizeigewalt. Um sie herum hat sich ein Menschenauflauf gebildet, einige werfen den Antifa-Mitgliedern Wasserflaschen zum Trinken zu.

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Fontagnier kritisiert die Störungen durch die Antifa-Gruppe. „Das schmälert das Ganze, lässt sich als Veranstalter aber nur schwer verhindern.“ Vier JA-Mitglieder drücken sich mit einer Flagge ihrer Organisation durch die Menschenmenge. Es gibt Buhrufe und Pfiffe. Als sie weg sind, wird es ruhiger auf dem Marktplatz.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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