Mannheim. Herr Strobl, wir alle haben die schrecklichen Bilder von der Messerattacke in Mannheim gesehen. Haben wir ein Sicherheitsproblem in Baden-Württemberg?
Thomas Strobl: Mit solchen Bildern wie Mannheim vor Augen ist es schwer, auf Statistik zu verweisen, aber objektiv gemessen leben die Menschen nirgendwo so sicher in Deutschland wie in Baden-Württemberg und in Bayern. Freilich ist das Sicherheitsempfinden durch diesen bestialischen und blutigen Angriff in Mannheim gestört. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Viele Menschen beschäftigt das und macht sie auch sehr wütend. Doch unsere Polizei leistet eine exzellente Arbeit, der wir es verdanken, in einem sicheren Land zu leben. Und persönlich habe ich veranlasst, dass das Polizeipräsidium Mannheim jede Unterstützung erhält, die es derzeit braucht. Die schwierige Demo-Lage am Freitag konnten wir schon mal ganz gut bewältigen.
Über den baden-württembergischen Innenminister
- Thomas Strobl wurde am 17. März 1960 in Heilbronn geboren.
- Der CDU-Politiker ist seit 2016 Innenminister in Baden-Württemberg und Stellvertreter von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
- Von 2011 bis 2023 war Strobl auch Vorsitzender der CDU im Südwesten. Diesen Posten hat Manuel Hagel übernommen, der auch Fraktionschef der CDU im Landtag ist.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft behauptet, dass Baden-Württemberg bei der Polizeidichte bundesweit auf dem letzten Platz liegt.
Strobl: Wir sind in Baden-Württemberg schlank aufgestellt und haben dennoch die beste Polizei. In Sachen Sicherheit ist Baden-Württemberg seit Jahren auf einem Spitzenplatz.
Woran machen Sie das fest?
Strobl: Wir erzielen die besten Ergebnisse. Und was unsere Personalstärke betrifft: Seit 2016 habe ich 11 000 junge Polizistinnen und Polizisten eingestellt – und dafür die Zahl der Einstellungen mehr als verdoppelt. Damit haben wir zuerst einmal einer riesengroßen Pensionierungswelle entgegengewirkt. Zwischenzeitlich ist der tiefste Punkt der personellen Talsohle durchschritten. Wir haben jetzt schon hunderte bestens ausgebildete Polizeibeamte mehr im Einsatz als vor Jahren. Und in den nächsten zwei Jahren wird die Polizei mit insgesamt mehr als 1000 zusätzlichen, exzellent ausgebildeten Polizisten verstärkt. Das ist das Ergebnis der größten Einstellungsoffensive, die es jemals in der Geschichte Baden-Württembergs bei der Polizei gegeben hat.
Wird der Einsatz auf dem Marktplatz auch untersucht?
Strobl: Natürlich wird ein solcher Einsatz gründlichst unter rechtlichen und polizeitaktischen Aspekten aufgearbeitet – und zwar nicht nur durch das Polizeipräsidium Mannheim, da ist auch das Landeskriminalamt einbezogen. Hier wurde auf grausame Art ein Polizist im Einsatz getötet. Wir schauen uns den Einsatz auch deshalb genau an, weil die Polizei in Baden-Württemberg ein selbstlernendes System ist. Wir fragen uns also stets: Was können wir besser machen? Unbeschadet dessen stehe ich voll hinter dem Einsatz der Polizei.
Wie stufen Sie die Behauptungen in den sozialen Netzwerken ein, wonach die Polizei zu spät eingegriffen und geschossen hat?
Strobl: Diese Vorwürfe sind wirklich abstoßend, widerlich und ich muss auch sagen verachtenswert. Die Polizistinnen und Polizisten mussten auf dem Mannheimer Marktplatz in einer unübersichtlichen Lage innerhalb von Millisekunden entscheiden. Dem Polizeibeamten, der bei der Messerattacke auf dem Marktplatz seine Schusswaffe eingesetzt hat, habe ich im persönlichen Gespräch meinen größten Respekt gezollt und ihm gesagt: „Auch Sie sind ein Held!“ Er hat den Messerangreifer beherzt gestoppt und damit weitere Opfer verhindert. Ich bin ihm außerordentlich dankbar. Und dann erlauben sich Leute ein Urteil über unsere Polizei anhand eines Videos, das nur einen kurzen Bildausschnitt und nicht den ganzen zeitlichen Ablauf zeigt. Da wird mir echt übel. Das ist auch deshalb so schlimm, weil die Kolleginnen und Kollegen von Polizeihauptkommissar Rouven Laur sich ja sehr unter diesem abscheulichen Mord leiden und dieses schreckliche Erlebnis erst einmal verarbeiten müssen.
Wir können so nicht mehr weitermachen. Das sind wir Rouven Laur und seinen Angehörigen schuldig.
Bei vielen Demonstrationen droht ja inzwischen die Gefahr, dass die Lage eskaliert.
Strobl: Bei Demonstrationen würde ich mir wünschen, dass Sicherheitsaspekte eine größere Rolle spielen – gerade in der aktuellen, angespannten Lage. So haben wir etwa an dem Ort, an dem der Mord passiert ist, eine sehr gut ausgebaute Videoüberwachung. Das ist ein deutschlandweiter Pilotversuch, bei dem auch die Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommt. Diese Kameras müssen wir ausschalten, wenn eine politische Organisation auch nur einen kleinen Informationsstand aufbaut, weil das dann als eine Versammlung gewertet wird. Und das hat Konsequenzen: Die Polizei ist dann bei der Aufklärung von Straftaten auf die Videoaufnahmen angewiesen, die andere Leute machen, weil die installierte Videoüberwachung der Polizei nicht mitlaufen darf. Also: Alle dürfen Filmchen machen, nur die Polizei muss ihre Kameras abschalten. Das ist doch absurd. Darüber reden wir jetzt noch mal mit denen, die für den Datenschutz zuständig sind. Und ich könnte mir vorstellen, dass sich daraus auch eine politische Diskussion entwickelt. Ich habe da eine sehr klare Meinung: Diese Regelung muss geändert werden. Wir sind ja bescheuert, uns blind und taub zu stellen, indem wir im entscheidenden Moment vorhandene Instrumente abstellen.
Am Freitag beginnt die Fußball-EM. Kanzler Olaf Scholz hat die Bevölkerung dazu aufgerufen, zum Public Viewing zu gehen und zu feiern. Wird es Ihnen da als Sicherheitsexperte nicht mulmig?
Strobl: Die Zeiten sind in der Tat unruhig. Manches freilich ist auch nicht ganz neu: ich weise ja schon seit vielen Jahren darauf hin, welche große Gefahr von islamistisch motivierten Gewalt- und Terrorakten ausgehen kann. Seit dem Überfall der Hamas auf Israel hat sich das noch mal zugespitzt. Hinzu kommt noch der Krieg in der Ukraine. Diese geopolitischen Ereignisse haben auch Auswirkungen auf Deutschland – und damit auf die Europameisterschaft. In Baden-Württemberg bereiten wir uns seit vielen Monaten auf die Europameisterschaft vor. In Stuttgart werden ja fünf Spiele ausgetragen. Bei einer Großübung im Stadion konnte ich mir ein Bild davon machen, wie hoch die Professionalität und das Engagement der Polizei ist. Wir sind gut vorbereitet auf diese gigantische Herausforderung. Hundertprozentige Sicherheit gibt es freilich nicht.
Würden Sie den Appell des Bundeskanzlers unterschreiben?
Strobl: Ja, ich würde das unterschreiben. Wir dürfen den Islamisten und anderen, die es nicht gut mit unserer Demokratie und Freiheit meinen, nicht das Feld überlassen. Wir dürfen nicht zurückweichen. Es gibt keinen Grund zur Panik, doch wir sollten wachsam sein – und dann vor allem auch handeln!
Olaf Scholz will Schwerstverbrecher auch nach Afghanistan oder Syrien abschieben. Sind das politische Luftschlösser?
Strobl: Das hoffe ich nicht. Das wäre sehr gefährlich für unsere Demokratie. Es müssen jetzt Taten folgen. Man kann das nicht immer nur ankündigen. Das Wort eines Kanzlers hat ja ein besonderes Gewicht. Die Bundesregierung muss jetzt endlich in die Gänge kommen. Wir würden Gefährder und Straftäter sofort aus Baden-Württemberg nach Afghanistan zurückführen. Es gibt aber ein Hemmnis – nämlich die Bundesregierung von Olaf Scholz. Seit vielen Jahren fordern die Innenminister aller Bundesländer über Parteigrenzen hinweg, dass der Bund eine neue Bewertung der Lage in Afghanistan vornimmt und uns die Abschiebung in sichere Gebiete ermöglicht. Diese sicheren Gebiete gibt es – wir schieben niemand in den Tod ab. Das machen übrigens auch die Schweden nicht – und von dort aus gibt es Abschiebungen nach Afghanistan.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagt, dass es keine diplomatischen Beziehungen zu den Taliban gibt.
Strobl: Natürlich gibt es Ansprechpartner. Wir leisten doch auch Entwicklungshilfe nach Afghanistan. Da findet sich auch immer jemand, der das Geld gerne entgegennimmt. Dann können sie auch ihre Leute zurücknehmen. Und vielleicht möchte Frau Baerbock in Schweden nachfragen, wie die das machen mit den Abschiebungen nach Afghanistan.
Sie wollen Deals mit den Taliban?
Strobl: Nicht zwingend. Man kann solche Leute auch über die Türkei oder Pakistan abschieben. Das muss man aushandeln. Und zwar schnell. Noch einmal: Es muss jetzt etwas passieren. Wir können so nicht mehr weitermachen. Das sind wir Rouven Laur und seinen Angehörigen schuldig. Und das erwarten auch unsere Polizistinnen und Polizisten. Und ich bin sicher, dass auch ein Großteil der Bevölkerung das so sieht. Wir müssen die Gefahr des Islamismus endlich ernst nehmen, und wir dürfen es nicht zulassen, dass sich jetzt sogar an unseren Universitäten der Islamismus tobt und sich Antisemitismus ausbreitet. Und wir müssen auch die schützen, die uns beschützen. Was in Mannheim passiert ist, ist besonders bestialisch, schlimm und traurig. Aber es ist ja leider nur ein Teil einer Gesamtentwicklung.
Wie sieht die aus?
Strobl: Wir erleben seit Jahren steigende Gewalt und Aggression gegen unsere Einsatzkräfte aus allen Bevölkerungsschichten. Jeden Tag werden in Baden-Württemberg acht Polizistinnen und Polizisten im Dienst verletzt – durch Straftaten! Nach der Messerattacke bin ich weniger denn je bereit, das zu akzeptieren. Angriffe auf Polizisten sind immer auch Angriffe auf uns alle, auf unsere Demokratie und auf unsere Werte. Die Schweigeminute war ein wichtiger Schritt auf einem langen Weg hin zu mehr Respekt und Anerkennung für Polizei und Einsatzkräfte. Bei diesem einen Schritt darf es freilich nicht bleiben.
Wie meinen Sie das?
Strobl: Wir alle müssen in Zukunft entschlossener für unsere Werte einstehen, und allen, die unsere Demokratie angreifen, hart und entschlossen entgegentreten. Das ist unser Auftrag, noch mehr nach dieser brutalen Tat. Polizistinnen und Polizisten halten diese Gesellschaft zusammen. Sie schützen uns, unsere Werte und unsere Demokratie. Sie schützen das Recht, dass jeder seine Meinung sagen darf – auch wenn sie noch so widersinnig erscheinen mag. Dieser Einsatz ist und darf keine Einbahnstraße sein! Der grausame Tod von Rouven Laur ist uns eine Mahnung und ein Auftrag, dass wir als Gesellschaft allen, die uns schützen, etwas zurückgeben.
Wollen Sie auch den Messerstecher aus Heppenheim abschieben?
Strobl: Wenn ihn ein Gericht verurteilt, geht er erst einmal in ein Gefängnis. Und dann schiebt man ihn aus der Haft heraus ab und stellt sicher, dass er nie wieder deutschen Boden betritt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in Mannheim den Mut eines Mannes gewürdigt, der wie der Messerstecher in Deutschland Zuflucht gefunden hat.
Strobl: Zu Recht. Nicht nur unsere Polizistinnen und Polizisten haben diesen rasenden Messerstecher aufgehalten und gestoppt, sondern es gab in dieser schwierigen Situation auch Zivilcourage. Allen Respekt dafür, dass dieser Bürger sich dem Angreifer entgegengestellt hat. Und ich will an der Stelle auch klarstellen, dass wir jetzt nicht alle Muslime über einen Kamm scheren dürfen. In Mannheim und in unserem Land leben sehr viele Muslime friedlich miteinander. Viele, die auch in den Krankenhäusern, in den Pflegeeinrichtungen und in den Unternehmen arbeiten. Sie gehören selbstverständlich zu uns. Sie haben mit diesen Taten nichts zu tun. Sie verachten dieses Tötungsdelikt genauso wie wir. Viele sind aus Ländern geflohen, in denen sie selbst von den Islamisten verfolgt wurden. Allerdings gibt es einen kleinen Teil von Radikalen, die uns bekämpfen. Und denen stellen wir uns mit aller Entschiedenheit mit einem wehrhaften Rechtsstaat entgegen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Der Messerstecher vom Mannheimer Marktplatz gehört in ein deutsches Gefängnis