Seckenheim. Mit einer spektakulären Operation haben Mitarbeiter der Firma Max Wild am Freitagmorgen einen 6500 Tonnen schweren Koloss aus Stahl und Beton um knapp 50 Meter verschoben. Knapp zwei Stunden lang dauerte das Schauspiel, das eine Reihe von Passanten außerhalb des Bauzauns aufmerksam verfolgten.
Kurz nach acht Uhr am Morgen herrscht entspannte Stimmung im Bürocontainer des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Projektleiter André Nieder sieht dem Ereignis gelassen entgegen. In der Baugrube, rund 100 Meter weiter, herrscht ein emsiges Treiben. Überall sind Arbeiter unterwegs, werfen letzte Blicke auf die Stützen, auf denen das Bauwerk in Kürze an seinen Bestimmungsort gleiten soll.
„Heavy Move“ steht auf dem Rücken einiger Männer und auf einem großen Transparent an der künftigen Brücke. Und tatsächlich ist hier etwas Schweres zu bewegen. Das ist nur eine von mehreren Sparten des Bauunternehmens Max Wild aus Bergheim im Kreis Biberach. Für Markus Wild ist die Aktion trotzdem eine Premiere, denn zum ersten Mal kommt hier das Fluidsystem zum Einsatz, das das Unternehmen erst kürzlich gekauft hat. 36 Module sind unter den auskragenden Teilen des Baukörpers angebracht. Sie sollen ihn später anheben und Stück für Stück nach vorn schieben.
Wie auf einem Luftkissen
Damit das funktioniert, ist auf beiden Seiten der Grube eine Art Gleis entstanden. Jede der breiten Schienen ist rund sechs Tonnen schwer. Unter den Füßen aus Stahl wird Stickstoff eingeblasen, „damit die Last schwebt“, wie Wild erklärt, „ähnlich wie bei einem Luftkissenboot“. Mit einem Push-Pull-System wird das Objekt dann schließlich Stück für Stück geschoben.
Es ist 9.07 Uhr, als in die Baugrube Bewegung kommt. Ganz langsam wird der Koloss aus Stahl und Beton angehoben. Ein Bauarbeiter misst mit dem Zollstock den Abstand zum Boden. Nur wenige Zentimeter soll es über dem topfebenen Untergrund schweben. Zehn Minuten später ist ein lautes Zischen zu hören. Jetzt strömt der Stickstoff unter die Füße. Auf diese Weise wird der Reibungswiderstand auf rund ein Prozent reduziert. Statt der 6500 Tonnen müssen nun also nur noch 65 Tonnen bewegt werden. Ein Gleitmittel auf der Schiene sorgt buchstäblich für eine reibungslose Fahrt auf der knapp 50 Meter langen Strecke.
Oben am Rand der Baugrube ist die langsame Bewegung kaum zu sehen. Beim Blick von der Seite auf die orangefarbenen Füße sieht man dagegen genau, wie das Bauwerk in Richtung Süden gleitet. Große hydraulische Pressen schieben die Füße um ein paar Zentimeter nach vorn, dann bleiben sie stehen. Die Kolben ziehen sich wieder ein, um dann erneut zu einem Schub anzusetzen. Einen Meter pro Minute schafft das System. „Das ist einfach sehr schnell“, schwärmt Markus Wild.
Plötzlich gibt es ein ohrenbetäubendes Pfeifen und Quietschen, so ähnlich, wie beim Bremsen eines Zuges. Vermutlich ein kleines Steinchen, das unter der schweren Last zerrieben wird. Doch die Aktion kann weitergehen. Wenige Meter vor dem Ziel setzt dann ein lautes Hämmern ein. Ein Hydraulikschlauch ist geplatzt und muss ersetzt werden. Minutenlang bewegt sich nichts mehr, dann endlich geht es weiter. Nach rund einer Stunde ist das Bauwerk am Ziel. Fast jedenfalls. Die letzten 50 Zentimeter werden ganz langsam zurückgelegt. Das ist Präzisionsarbeit unter den wachsamen Augen der Vermesser, die die genaue Position immer wieder per Infrarotstrahl ermitteln.
Maßarbeit braucht Zeit
„5,7 Zentimeter Differenz zwischen Ost und West“, meldet einer von ihnen. Jetzt ist Fingerspitzengefühl am großen Joystick gefragt, der die schiebenden Pressen bedient. Denn gefahren werden kann nur in Richtung Süden, ein Zurück gibt es also nicht. Die Fachleute für schwere Lasten nehmen sich Zeit. Um 11.04 Uhr heißt es dann: „Abgelassen.“ Der Koloss ist am Ziel angekommen, auf den Zentimeter genau.
Hans-Joachim Krauß, der zuständige Sachgebietsleiter beim Regierungspräsidium, ist am Ende zufrieden. „Das war ein tolles, ein einmaliges Erlebnis,“, freut er sich. Auch sein Projektleiter André Nieder zieht zufrieden Bilanz. Es habe alles geklappt wie geplant. Jetzt wird das Brückenbauwerk im Osten und Westen verfüllt. Voraussichtlich im Winter beginnt dann der Aushub Richtung Süden und Norden. Zwischen Spundwänden entsteht dann eine Grundwasserwanne für die künftige Fahrbahn.
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