Seckenheim. Seit rund zwei Wochen ruht der Bahnverkehr der Linie 5 zwischen Seckenheim und Edingen-Neckarhausen. Kraftfahrer, Fußgänger und Radler müssen einen mehr oder weniger großen Umweg nehmen. Dort, wo die neue L 597 von Friedrichsfeld kommend künftig unter der Seckenheimer Straße (L 637) hindurch auf die geplante Neckarbrücke in Ladenburg führt, klafft jetzt ein riesiges Loch. Gleisbett und Fahrbahn münden ins Nichts.
Innerhalb kürzester Zeit haben sich Bagger in die Tiefe gegraben. Rund 21 000 Kubikmeter Erdreich werden dafür bewegt, wie Projektleiter André Nieder vom Regierungspräsidium Karlsruhe auf der Baustelle erläutert. Inmitten des riesigen Lochs ragt ein blaues Rohr in die Höhe. Eine Grundwasser-Messstelle. Denn Teile der künftigen Straße verlaufen in Schichten, die Grundwasser führen. Deshalb liegt die Trasse hier in einer wasserdichten Wanne. Pumpen laufen unentwegt, um die Baugrube trocken zu halten. 110 Liter pro Sekunde befördern sie nach oben und dann weiter Richtung Neckar.
Boden wird getrennt
Zwei Wochen nach Beginn der Erdarbeiten geht es nur noch um den letzten Feinschliff. Ein Blick auf den Boden zeigt die unterschiedliche Zusammensetzung des Erdreichs. „Die schwarze Erde ist Ton“, sagt Nieder. Dass man darauf stoßen würde, war durch Probebohrungen im Vorfeld bekannt. Die Beschaffenheit des Untergrunds sei sogar besser als bei der statischen Berechnung angenommen, berichtet der Projektleiter.
Alles, was hier aus der Erde geholt wird, landet auf sechsrädrigen Transportern mit 30 bis 40 Tonnen Fassungsvermögen und kommt so auf Zwischenlager am Rande der Baustelle. Feinsäuberlich getrennt nach nicht bindigen Böden wie Kies und Sand und nach Material wie Schluffe und Tone. Kies wird zum Hinterfüllen der Betonbauwerke verwendet, aus dem anderen Material entstehen beispielsweise Dämme. Kein Kubikmeter des Aushubs wird abgefahren, im Gegenteil. „Wir müssen sogar noch Boden anfahren“, weiß Nieder.
Knotenpunkt L 597 / L 637
- Durch die Unterführung rollt der Verkehr von Süd (Friedrichsfeld) nach Nord (Ladenburg).
- Über die Brücke verläuft die L 637 (Seckenheimer Hauptstraße) und die RNV-Linie 5 von West nach Ost und umgekehrt.
- Das Gesamtbauwerk entsteht auf der grünen Wiese, ist 32 Meter lang, 20 Meter breit und 6500 Tonnen schwer.
- Am Freitag, 20. August, wird der Koloss aus Stahl und Beton um rund 48 Meter nach Süden verschoben.
- Der Bahnverkehr der RNV-Linie 5 soll bereits ab 14. September 2021 wieder aufgenommen werden.
- Bis Mitte 2023 sollen die Arbeiten am Knotenpunkt komplett abgeschlossen sein.
Während die Baugrube also in wenigen Tagen ausgehoben war, brauchten die Arbeiter für das Bauwerk an diesem Knotenpunkt vier Monate, und das, obwohl sie sechs Tage in der Woche und im Akkord ackern. Rund 32 Meter lang und 20 Meter breit ist die künftige Unterführung. Ein mächtiger Koloss aus Stahl und Beton, rund 6500 Tonnen schwer. Er entsteht in einer Art wasserdichten Badewanne.
Über Treppenstufen geht es vom Rand der Baugrube nach unten. Ein Gewirr von Sprießen und Stützen steht da. Fast hat man das Gefühl, man stünde hier inmitten einer Kathedrale. Das Gerüst trägt die Schalung für die beiden Trassen. Auf der nördlichen führen später kerzengerade die Gleise der Straßenbahn über die neue Straße, auf der südlichen ist deutlich die leichte Kurve der Fahrbahn zu erkennen, die demnächst auf beiden Seiten angeschlossen wird.
Nach einem Aufstieg über das Gerüst gelangt man gewissermaßen auf das Dach des Bauwerks. Ein Geflecht aus Stahl entsteht gerade, um sich später mit dem Beton zu einer stabilen Brücke zu verbinden, über die die Autos rollen. Parallel dazu wächst der Unterbau für das neue Gleisbett. In Richtung Süden sieht man die große Grube, im Norden die Silhouette des Industriegebiets Altwasser in Ladenburg, dort, wo zum Schluss die Neckarbrücke als Anschluss gebaut wird.
„Ein gewaltiges Bauwerk“, sagt André Nieder mit Blick auf den Klotz aus Stahl und Beton. Aber wie gelangt dieser Koloss nun an seinen eigentlichen Platz? Auch für den Projektleiter wird das eine Premiere sein. Denn im Straßenbau kommt es selten vor, das derartige Bauwerke auf der grünen Wiese hergestellt und nachträglich verschoben werden. Um die Bahnlinie so kurz wie möglich zu unterbrechen, wurde dieser Weg gewählt. Nieder zeigt auf ein meterhohes, auskragendes Element aus Beton. Davon gibt es insgesamt acht. Darunter werden hydraulische Pressen angebracht, um das fertige Bauwerk dann etwa acht bis zehn Zentimeter anzuheben.
Wie auf Schlittschuhen
Damit das tonnenschwere Teil gleiten kann, gibt es auf beiden Seiten eine Art Stahlschiene, die wiederum auf einem eigens dafür betonierten Fundamentstreifen ruht. Die Füße stehen in diesem U-Profil, wie die Bauleute sagen. Flüssiger Stickstoff sorgt dafür, dass der Reibungswiderstand durch die Kälte stark reduziert wird. Erst damit besteht die Möglichkeit, den Klotz unter Einsatz von weiteren hydraulischen Pressen Stück für Stück zu schieben. „Das ist so ähnlich wie bei Schlittschuhen“, erklärt Nieder.
Der große Augenblick kommt am kommenden Freitag, 20. August. Dann soll das Bauwerk seine 48 Meter lange Reise Richtung Süden antreten. Mit einer Geschwindigkeit von einem halben Meter pro Minute. Wenn alles so klappt, wie die Planer das ausgerechnet haben, steht es zwei Stunden später dort, wo es in den nächsten Jahrzehnten bleiben soll. Es ruht dann auf einem Bett aus Splitt, das die Bagger bis dahin angelegt haben.
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