Ludwigshafen/Frankenthal. Liban M. will es nicht wahrhaben, kann es nicht einsehen. Immer wieder setzt der Angeklagte im Oggersheimer Mordprozess an, um die Worte des psychiatrischen Sachverständigen Michael Rösler in Frage zu stellen. Worte, die der Hauptverhandlung am Frankenthaler Landgericht am Dienstag eine richtungsweisende Wendung gegeben haben.
Denn in seinem Gutachten revidiert der Experte seine ursprüngliche Einschätzung aus der vorläufigen Untersuchung - den Angeklagten hält er nun für schuldunfähig. Er diagnostiziert eine paranoide Schizophrenie. M. soll daher in einer Psychiatrie untergebracht werden.
Was der Gutachter dem Gericht empfiehlt
Eine Freiheitsstrafe für den 26 Jahre alten Somalier, der im Oktober 2022 in Oggersheim zwei Menschen getötet und einen weiteren lebensgefährlich verletzt haben soll, ist damit quasi vom Tisch. „Aus meiner Sicht sind die Unterbringungsvoraussetzungen gegeben. Es gibt keinen Zweifel, dass der Angeklagte in den Maßregelvollzug muss“, so Rösler. Er empfiehlt dem Gericht also eine Unterbringung in einer Psychiatrie.
Dass der Sachverständige seine ursprüngliche Einschätzung zur Schuldfähigkeit des Angeklagten ändert mag überraschend kommen, angedeutet hat es sich im Laufe des Hauptverfahrens allemal. So begründet Rösler seine Diagnose auch vorwiegend mit Erkenntnissen, die er durch Zeugenaussagen gewonnen hat. Im direkten Gespräch habe Liban M. stets abgestritten, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. „Das steht aber im Widerspruch zu dem, was andere wahrgenommen haben.“
So habe die Ex-Partnerin des Mannes berichtet, dass dieser Stimmen gehört habe. Diese hätten ihn verhöhnt, im eingeredet, dass die Frau sexuelle Beziehungen zu anderen Männern pflege, von diesen zu Dingen genötigt werde, die sie nicht tun dürfe. In der Vorstellung Liban M.s kommunizierte die Frau heimlich durch Husten oder Niesen mit diesen Leuten, die sich im selben Haus aufgehalten haben sollen.
Diese Wahn- und Sinnestäuschungen hätten letztlich auch zu dem Angriff auf die beiden unbeteiligten Handwerker Jonas Sprengart (20) und Sascha (35) geführt. „Wir haben es mit einer krankhaften seelischen Störung zu tun. Das Tathandeln hat er aus Krankheitserscheinungen heraus entwickelt“, berichtet Rösler. Die Motive seine völlig realitätsfern gewesen, ein vernunftgemäßes Handeln für den Angeklagten aber nicht mehr möglich - er sei steuerungsunfähig gewesen.
Angeklagter will kleine Tierchen gesehen haben
Auf Nachfrage der Vertreter der Nebenkläger, also der Hinterbliebenen der Opfer und dem Überlebeneden, erläutert der Sachverständige, dass Liban M. in seinem Wahn durchaus planvoll vorgegangen sein kann. „Leute, die aus pathologischen Gedanken heraus vorgehen, sind nicht zwingend planlos“, sagt er. Dass nicht ziellos auf Menschen eingestochen worden sei, sondern gezielt auf jüngere Männer, widerspreche der Diagnose also nicht.
Die Hinweise auf die Diagnose hätten sich im Laufe der Hauptverhandlung mehr und mehr verdichtet. So sei mehrfach aus dem Umfeld des Angeklagten geäußert worden, dass dieser Angst davor habe, vergiftet zu werden. Zudem leide er unter Verfolgungswahn, habe behauptet, einen GPS-Chip implantiert bekommen zu haben. Auch kleine Tierchen, die in Wirklichkeit nicht existierten, will er in der JVA gesehen haben.
Die paranoide Schizophrenie ist nach Angaben des Fachmanns nicht medizinisch heilbar, es könne lediglich durch Therapie eine Besserung erzielt werden. Nur in zehn bis 20 Prozent der Fälle verschwinde die Erkrankung - die Gründe dafür seien aber undurchschaubar. Die Prognose für den Angeklagten sei ungünstig, da er unbehandelt und völlig uneinsichtig seine Erkrankung betreffend sei. „Er ist weiterhin gefährlich“, sagt Rösler. Es sei „ohne weiteres“ denkbar, dass es in Zukunft zu vergleichbaren Fällen kommt, wenn er unbehandelt bleibt, betont er auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Mirtha Hütt.
Angeklagter: "Bin nicht psychisch krank"
Auch am Dienstag wehrt sich der Angeklagte vehement gegen die Aussage, er sei psychisch krank, betont immer wieder, es gehe ihm gut. „Könnte jemand, der durchgedreht ist, all den Fragen folgen und sie verstehen?“, fragt er. Für den 26-Jährigen scheint die Diagnose das schlimmere Urteil zu sein als eine mögliche lebenslange Haft. In Somalia, so wurde es im Laufe des Prozesses deutlich, werden Menschen mit Geisteskrankheit aus Familien verstoßen oder in Hinterzimmern angekettet.
Auf Antrag der Staatsanwältin Esther Bechert soll der Haftbefehl gegen Liban M. In einen Unterbringungsbefehl umgewandelt werden. Nach der Einschätzung des Gutachters sei davon auszugehen, dass er die Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen habe - „und unschuldig kann niemand im Gefängnis sein“, begründet Bechert. Gleichzeitig stelle der 26-Jährige eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Liban M. lehnt das ab. Die Entscheidung darüber soll an diesem Mittwoch fallen.
Der Prozess wird am Montag, 15.Mai, um 9 Uhr mit den Plädoyers fortgesetzt.
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