Vor dem Frankenthaler Landgericht geht es am Montag um die letzten Atemzüge von Jonas Sprengart (20) und seines Kollegen Sascha (35). Und um ihre letzten Herzschläge. Tanja Germerott, Professorin für Rechtsmedizin an der Universität in Mainz, hat die Leichen der beiden Männer obduziert, die am 18. Oktober bei einer Messer-Attacke im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim gestorben sind. Sie hat MRT-Aufnahmen studiert, die Körper untersucht.
Am Montag gibt sie vor Gericht ihren Bericht ab. Und beschreibt zunächst neun Stichwunden, die Sprengarts Körper übersäten. Die kleineren und größeren Verletzungen am Gesicht und am Fuß, den verwundeten Rumpf. Die größte Stichverletzung sei sieben Zentimeter lang gewesen und habe den Brustkorb durchbohrt. „Die Messerspitze muss gerade so wieder herausgeguckt haben“, sagt Germerott. „Da muss massiv zugestochen worden sein.“
Die Stiche durchtrennten laut der Rechtsmedizinerin die Hauptschlagader des Mannes. Jonas Sprengarts Blut ergoss sich in seinen ganzen Körper. Sein Kreislauf kollabierte. Er starb „fast sofort“, „zwei, drei Herzschläge“, nachdem sich die Klinge durch seinen Brustkorb gebohrt hatte. Sprengart verblutete, sagt die Rechtsmedizinerin. Seine Verletzungen seien „nicht überlebbar“ gewesen.
Dann spricht Germerott über den amputierten Arm des Mannes, den der Angeklagte Liban M. zunächst abgetrennt und dann auf den Balkon seiner Ex-Freundin geworfen haben soll. „Wir gehen davon aus, dass die Amputation post mortem erfolgte.“ Dass Jonas Sprengart bereits tot war, als sein Arm abgetrennt wurde. In den vergangenen Wochen hatten Zeugen berichtet, Sprengart habe noch gelebt, habe gezuckt und die Augen verdreht, nachdem er seinen Unterarm verloren hatte.
Jonas Sprengarts Familie ist an diesem Tag nicht im Gerichtssaal. Sie seien zu erschöpft, sie könnten einfach nicht mehr, sagt ein Freund am Rande der Verhandlung. Dennoch stellt Mirtha Hütt, die Vorsitzende Richterin, „eine Frage, die die Angehörigen besonders beschäftigt“: „Wenn man so schwer verletzt ist: Wie hoch ist dann noch das Schmerzempfinden?“ Germerott antwortet schnell, durch den fast sofortigen Tod habe Jonas Sprengart keine Schmerzen mehr gehabt, so ihre Einschätzung. Dann geht die Rechtsmedizinerin zum zweiten Opfer der Messerattacke über und spricht über Sprengarts 35-jährigen Freund, seinen Malerkollegen Sascha, der dem 20-Jährigen helfen wollte und selbst starb.
Seine Familie ist wieder komplett im Gerichtssaal erschienen. Seine Frau, die Eltern, seine Geschwister. Saschas Frau lässt ihren Blick zur Decke wandern, sie kämpft gegen die Tränen an, mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Tränen und Fassungslosigkeit
Und dann ist eine 3D-Rekonstruktion der MRT-Aufnahme ihres Mannes zu sehen. Sascha, noch intubiert. Ein Schlauch neben seinem Körper. Ersthelfer haben am Tatort versucht, ihn am offenen Herzen zu reanimieren - vergeblich.
Seine Frau weint. Und weint. Und weint. Während des gesamten Berichts von Germerott, die eine lange Schnittwunde beschreibt, die vom rechten Ohrläppchen über den Hals bis zur linken Schlüsselbeinseite gereicht habe.
Drei Dinge hätten zu seinem Tod geführt, sagt die Rechtsmedizinerin: der hohe Blutverlust und das Blut in der Lunge, das er eingeatmet habe. Und die Luft, die in den Körper eingedrungen sei, die das Herz bis in das Gehirn gepumpt habe.
Saschas Schwester beugt sich zum Anwalt der Familie vor. Rechtsanwalt Jens Klein ergreift das Wort und fragt: „Hat er gelitten?“ Die Rechtsmedizinerin wählt ihre Worte mit Bedacht. „Wir sprechen auch bei ihm über einen sehr kurzen Zeitraum, bis er das Bewusstsein verlor“, sagt sie und beschreibt das Adrenalin, das in solchen Situationen in den Körper schießt, das getrübte Schmerzempfinden, das fehlende Bewusstsein dafür, was hier wirklich gerade passiert.
Liban M. hört regungslos zu. Auch als es um die Verletzungen des einzigen Überlebenden geht, der neben Saschas Schwester sitzt. Die Staatsanwaltschaft wirft M. Mord und versuchten Mord vor. Zu Beginn des Verfahrens hat der 26-jährige Somalier alle Taten eingeräumt.
Doch dann meldet er sich doch zu Wort - um die Rechtsmedizinerin zu „korrigieren“. Sie habe darüber gesprochen, dass die Ärzte sein Leben gerettet hätten, nachdem er von Polizisten niedergeschossen worden sei. „Menschen können das nicht. Nur Gott kann Menschen retten, wenn ihre Zeit gekommen ist.“ Ein Raunen geht durch den Saal. Fassungslosigkeit.
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