Justiz

Mordprozess nach Messerattacke in Ludwigshafen: „Ich glaube, er ist gestorben“

Am zweiten Prozesstag um die Messerattacke in Oggersheim hat einer der Ermittler rekonstruiert, was am 18. Oktober passiert ist - und berichtet von den verzweifelten Hilferufen der Zeugen

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Agnes Polewka
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Der Angeklagte Liban M. muss sich vor der ersten Großen Strafkammer um Richterin Mirtha Hütt (2.v.l) verantworten. © Klaus Venus

Ludwigshafen. „Scheiße!“, schreit ein Mann in sein Telefon. „Er verblutet!“ Der Mann atmet schnell. Seine Stimme überschlägt sich. Am Freitag sind seine Schreie im Sitzungssaal 20 des Frankenthaler Landgerichts zu hören. Die Polizei hat seinen Notruf aufgezeichnet. Er erreichte die Beamten am 18. Oktober 2022. Und er ist einer von unzähligen Hilferufen, die an diesem Tag ab 12.21 Uhr bei der Polizei eingingen. Voller Angst und Panik. Und Verzweiflung. Von Menschen, die im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim mit angesehen haben, wie die beiden Handwerker Jonas Sprengart (20) und sein Kollege Sascha (35) brutal niedergestochen worden sind. Unvermittelt, auf offener Straße.

Am zweiten Prozesstag gibt einer der Ermittler einen Überblick über die Geschehnisse des 18. Oktober. Akribisch haben er und sein Team Aussagen von über 170 Zeuginnen und Zeugen zusammen getragen. Viele von ihnen haben sich selbst bei der Polizei gemeldet. Andere haben die Beamten befragt, in dem sie an ihre Haustüren klingelten. Und sie haben unzählige Dateien ausgewertet. Videos und Bilder, Audiodateien, die Zeugen über ein eigens eingerichtetes Portal an die Polizei übermitteln konnten. Auch anonym.

Es sollte überprüft werden, ob eine Fremdgefährdung besteht. Aber soweit kam es nicht

Morgens Anruf in der Unterkunft

Der Ermittler nimmt das Gericht und die Zuschauer mit auf einen „virtuellen Rundgang“ - so nennt es die Vorsitzende Richterin Mirtha Hütt am Freitag. Er beschreibt, wie der Tag begann. Wie ein Mitarbeiter der Polizei in Neustadt in einer Obdachlosenunterkunft anrief, wo der angeklagte Liban M. wohnte.

Die Staatsanwaltschaft hat den 26-jährigen Mann aus Somalia wegen Mordes und versuchten Mordes angeklagt.

Der Grund für den Anruf des Polizisten: Die Ex-Freundin von M. hatte sich bei der Polizei gemeldet. Weil sie Angst hatte, M. könnte ihr oder anderen etwas antun. Womöglich sei er psychisch krank, soll sie gegenüber den Beamten gesagt haben. „Deshalb sollte der Mann zum sozialpsychiatrischen Dienst, zum Psychiater. Dort sollte überprüft werden, ob eine Fremdgefährdung besteht. Aber soweit kam es nicht“, sagt der Ermittler.

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Er zeichnet nach, wie der Mitarbeiter der Obdachlosenunterkunft die Einrichtung nach der Zimmerkontrolle wieder verließ. Wie ein Zeuge M. rund zwei Stunden später beobachtete, wie er in der Nähe des Oggersheimer Bahnhofs seine Decke vor einer Garage ausbreitete, um zu beten. Auf einer digitalen Karte zeigt der Ermittler den Weg auf, den M. anschließend genommen haben soll. Blaue Punkte markieren die Stellen, an denen er auf Jonas Sprengart und seinen Maler-Kollegen Sascha eingestochen haben soll.

Aufnahmen der Getöteten

Am ersten Prozesstag hatte Liban M. gestanden, die beiden Männer mit einem Küchenmesser getötet zu haben. Zuerst sei er auf Jonas Sprengart losgegangen. Dann auf seinen Freund, der ihm helfen wollte. Der wieder und wieder versuchte, den Angriff abzuwehren.

Liban M. muss sich wegen Mordes und versuchten Mordes vor Gericht verantworten. © Klaus Venus

Dann spielt der Ermittler den Notruf des Mannes ab, der nach Hilfe schreit, weil einer der beiden Männer zu verbluten droht. Stakkatoartig spricht er weiter: „Ich habe versucht, die Blutung zu stoppen, aber ich glaube, er ist gestorben.“ Der Ermittler drückt mehrere Male auf „Play“ und die Stimmen verzweifelter Zeugen hallen durch den Raum. Danach zeigt er Bilder, die kaum zu ertragen sind. Sascha - auf der Straße liegend, in seinem eigenen Blut. Und der Arm von Jonas Sprengart, inmitten von abgewetzten Kissen und Balkonmöbeln.

Kopfschütteln über Spendenkonto

Liban M. soll den Unterarm des Handwerkers abgetrennt haben, um ihn „als Geschenk“ auf den Balkon seiner Ex-Partnerin zu werfen. Kurt Sprengart wendet den Blick ab, schaut nicht auf den Bildschirm, auf dem der Arm seines Sohnes zu sehen ist. Und schaut auch nicht hin, als der Leichnam seines guten Freundes gezeigt wird. Angespannt wartet Sprengart ab, bis der Ermittler weitermacht. Es ist hart für ihn. Und er ist wütend. Am Donnerstag hat er die nächste schlechte Nachricht bekommen, sagt er am Rande der Verhandlung. Es geht um das Spendenkonto, das die Stadt Ludwigshafen für die Opfer der Messerattacke eingerichtet hat. 22 500 Euro sind darauf eingegangen. „Und nicht nur wir, auch die Ex-Partnerin des Täters hat einen Anteil der Spende bekommen.“ Er schüttelt den Kopf. Die Stadtverwaltung bestätigt dies auf Anfrage dieser Redaktion. Diese Entscheidung habe man bereits ganz zu Beginn getroffen - und auch so kommuniziert, heißt es in einer Stellungnahme. Dahinter stehe die Absicht, die „unmittelbar von materieller Not betroffenen Angehörigen zu bedenken“, zu denen auch die Ex-Lebensgefährtin mit ihren Kindern gehöre.

Lebensgefährliche Verletzungen

Es ist ein zehrender Prozess. Einer, der wehtut. Wie sehr, das merkt man auch, als der einzige Überlebende des Messerangriffs in der Mitte des Raums Platz nimmt. Nach dem Angriff auf die beiden Handwerker soll Liban M. in einem Drogeriemarkt erneut zugestochen habe. Auch diese Tat hat er gestanden. Er hat eingeräumt, den 27-Jährigen unvermittelt an der Kasse angegriffen zu haben. „Er fragte: Bist du deutsch, türkisch oder englisch? Und als ich ,deutsch’ antwortete, war schon das Messer in der Brust“, erinnert sich der Mann am Freitag. Bei der Attacke wurde er lebensgefährlich an der Lunge verletzt, Teile seines Schlüsselbeins waren herausgetrennt worden. Eine Not-Operation rettete sein Leben. Und doch sei heute vieles anders, sagt er. „Mein Körper ist immer in Alarmbereitschaft.“ Er könne schlecht schlafen, nicht arbeiten, sei umgezogen, um nicht mehr in der Nähe der Drogerie zu wohnen. Sein Körper heile langsam. Und er arbeite daran, „dass alles wieder so wird wie vorher“.

Redaktion

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