Justiz

Warum sich die Aufarbeitung des Heidelberger Burschenschaftsskandals schwierig gestaltet

Vier Burschenschaftler aus Heidelberg und Köln stehen wegen eines antisemitischen Übergriffs im "Normannia"-Verbindungshaus vor Gericht. Bislang schweigen sie zu dem Vorfall - und haben sich versierte Verteidiger gesucht

Von 
Agnes Polewka
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Das 25 Jahre alte Opfer konnte sich laut Prozessbeobachtern zu Beginn des Verfahrens an viele Details der Tat nicht mehr erinnern. © imago/suedraumfoto

Heidelberg. Ende August 2020 machte die Heidelberger Burschenschaft „Normannia“ bundesweit Schlagzeilen. Bei einer Feier im Verbindungshaus sollen mehrere Burschenschaftler einen 25-Jährigen antisemitisch beleidigt und geschlagen haben. Das öffentliche Interesse blieb groß, immer wieder hörten Medien und Nachrichtenagenturen bei der Staatsanwaltschaft nach, begleiteten die Ermittlungen medial. Umso überraschender gestaltete sich der Auftakt des Prozesses vor genau einer Woche vor dem Heidelberger Amtsgericht, der die Vorkommnisse juristisch aufarbeiten soll: Der Prozess fand öffentlich kaum ein Echo.

Angeklagte äußern sich nicht

Auch diese Redaktion wurde erst am Folgetag durch eine Mitteilung der Antifaschistischen Initiative Heidelberg auf den Beginn des Verfahrens aufmerksam. In der Ankündigung des Amtsgerichts tauchte der Prozess zwar auf - allerdings nur in der üblichen tabellarischen Übersicht, mit Aktenzeichen und unter Nennung der Straftaten, die den vier Angeklagten vorgeworfen werden: schwere Körperverletzung und tätliche Beleidigung. Ohne Hinweis auf die konkrete Tat. Das ist nicht ungewöhnlich: Was Gerichte oder Staatsanwaltschaften vor Verhandlungsbeginn in welcher Weise öffentlich machen, hängt vom jeweiligen Pressesprecher ab. „Am Amtsgericht Heidelberg veröffentlichen wir alle Termine von Prozessen in der gleichen Art und Weise“, erklärt eine Sprecherin des Amtsgerichts auf Anfrage dieser Redaktion.

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Dennoch ist ein Prozessauftakt, bei dem die meisten Medien nicht anwesend sind, in jedem Fall unglücklich. Denn die zentrale Aufgabe der Gerichtsberichterstattung ist die Information. Sie zielt aber auch auf Kritik und Kontrolle ab, will die Auswirkungen einer Gerichtsentscheidung aufzeigen, sie in gesellschafts- und rechtspolitische Entwicklungen einbetten. Und immer geht es dabei auch darum, Diskussion und Meinungsbildung zu ermöglichen und das, was verhandelt wird, in einen größeren Kontext zu stellen.

Das gilt auch und vielleicht ganz besonders für das, was sich im Verbindungshaus der Heidelberger „Normannia“ am Kurzen Buckel zugetragen haben soll, wo ein 25-Jähriger aufgrund seiner jüdischstämmigen Herkunft mit Gürteln geschlagen, antisemitisch beschimpft und mit Münzen beworfen worden sein soll. Der Mann soll bei der Polizei umfassende Aussagen gemacht haben, zu dem, was passiert ist. „Am ersten Prozesstag fiel er aber durch erhebliche Gedächtnislücken auf“, sagt Peter Gerber, Sprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, die per Zufall vom Prozessauftakt erfuhr und das Verfahren eigenen Angaben zufolge beobachtet hat. So habe der 25 Jahre alte Mann bei der Befragung durch die Vorsitzende Richterin Nicole Bargatzky nicht sagen können, wer ihn geschlagen und wer ihn beschimpft habe. Wie kommt das? Eine Anfrage an Rechtsanwältin Ayla Bayaz, die den Mann vertritt, blieb Anfang dieser Woche unbeantwortet.

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Die vier Angeklagten, die heute zwischen 22 und 28 Jahre alt sind, sollen sich nicht dazu geäußert haben, was in der Nacht zum 29. August 2020 geschehen ist. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft gegen zehn Menschen ermittelt. Im Mai erließ sie dann gegen sechs von ihnen Strafbefehle, die Ermittlungen gegen die anderen Verdächtigen wurden laut Staatsanwaltschaft eingestellt, weil ihre Beteiligung zwar möglich erscheine, aber nicht ausreichend nachweisbar sei.

Beim Strafbefehl handelt es sich um eine rechtskräftige Verurteilung ohne mündliche Hauptverhandlung. Das Strafmaß variierte bei den sechs Beschuldigten: Es erstreckte sich von Geldstrafen bis zu zehn Monaten Haft auf Bewährung. Weil fünf von ihnen Einspruch dagegen einlegt haben, kam es nun zur Hauptverhandlung. Zu Prozessbeginn zog einer der Fünf diesen wieder zurück, die vier übrigen Beschuldigten - zwei „Normannia“-Burschenschaftler und zwei Verbindungsmitglieder der „Kölner Burschenschaft Germania“, - stehen nun vor Gericht. Und haben sich mitunter Strafverteidiger gesucht, die in der Vergangenheit immer wieder Mandanten aus der rechten Szene vertreten haben.

Rechtsanwalt Matthias Brauer, der seine gleichnamige Kanzlei mit Standorten in Bonn, Frankfurt, Dresden, Hamburg und Berlin betreibt, war laut Medienberichten selbst in der AfD aktiv und als Justiziar Mitglied des Landesvorstand Rheinland-Pfalz. Nach Recherchen der „taz“ soll Brauer 2007 „in Ku-Klux-Klan-Manier unter ,Hail-White-Power’-Rufen“ ein Holzkreuz verbrannt haben. Auch soll er sich laut „taz“ als Burschenschaftler 2011 beim Dachverband Deutsche Burschenschaft für den „Arierparagraf“ ausgesprochen haben, mit dem die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft an rassistische und völkische Kriterien geknüpft werden sollte.

Rechtsanwalt Max Bartusch, der ebenfalls einen der Angeklagten verteidigt, arbeitet in Brauers Kanzlei. Und Strafverteidiger Andreas Schoemaker aus Essen machte sich einen Namen, als er den Nationalisten Andreas Kalbitz nach seinem Rauswurf aus der AfD vor Gericht vertrat.

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Nach Informationen dieser Redaktion sollte zu Prozessbeginn auch ein Mann als Zeuge befragt werden, der im August 2020 Vorsitzender der „Alten Herren“ war, also jenen Mitgliedern vorstand, die nicht mehr studierten. Studierende innerhalb der Verbindung gehörten bis 2020 zur sogenannten Aktivitas - nur wenige Tage nach dem Vorfall gab die Burschenschaft deren Auflösung bekannt und distanzierte sich öffentlich vom Antisemitismus. Der ehemalige Vorsitzende erschien allerdings nicht vor Gericht, das ein Ordnungsgeld von 300 Euro verhängte - und lud ihn für den nächsten Termin am 23. November abermals.

Redaktion

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