Heidelberg. Der Traum von den eigenen vier Wänden - für immer mehr Menschen ist das nicht gleichbedeutend mit einem schmucken Einfamilienhaus mit Garten, sondern sie wollen in einem Gemeinschaftsprojekt leben. Ein bisschen wie in der Wohngemeinschaft zu Studienzeiten - nur eben generationenübergreifend und am besten bis ans Lebensende.
Gemeinschaftliches Wohnen in Heidelberg: Wie funktioniert die "Groß-WG"?
Elf solcher Gemeinschaftsprojekte gibt es mittlerweile in Heidelberg. Doch wie funktioniert so eine Groß-WG und wie schwierig ist es, sich diesen Wohntraum zu erfüllen? Wir sprachen mit drei Menschen, die am Heidelberger Paradeplatz ein denkmalgeschütztes Haus kaufen möchten, um darin zu wohnen und gemeinwohlorientiertes Gewerbe zu ermöglichen. „Parasol“ heißt das Wohnprojekt.
Der Name „Parasol“ leitet sich nicht etwa vom englischen Wort für Sonnenschirm ab - und soll auch nicht für den essbaren Pilz stehen. „Wir haben den Namen aus ,Paradeplatz’ und ,Solidarität’ gebildet“, erzählen Christine Prinz, Sebastian Erhard und Joachim Lyschik. Zusammengefunden haben sie und die weiteren Interessierten schon vor Jahren bei einem Stammtisch, den es für gemeinschaftliche Wohnprojekte gibt. Die Suche nach einem passenden Gebäude schweißte die Gruppe schon zusammen.
Im April 2022 war mit dem „Haus 13“ auf der Konversionsfläche Campbell Barracks in der Heidelberger Südstadt endlich das Objekt gefunden. Mit ihrem Konzept, das neben dem Zusammen-Wohnen auch gemeinwohlorientierte Gewerbeflächen wie ein öffentliches Café und eine Radwerkstatt beinhaltet, überzeugte der Verein Parasol die Stadt und bekam den Zuschlag.
"Parasol" in Heidelberg: Noch Direktkredite nötig
7,5 Millionen Euro soll das Gebäude kosten. 25 Prozent der Investition - etwa 1,87 Millionen Euro - müssen die „Parasol“-Gründer selbst aufbringen. Das geschieht unter anderem mit Direktkrediten. Rund 500 000 Euro fehlen noch. Seit die Zinsen wieder steigen, sei es schwieriger geworden, Menschen zu überzeugen, ihnen Geld anzuvertrauen, bestätigen die Drei. Sie selbst werden dabei keine Eigentümer sein.
Denn damit der Wohnraum dauerhaft vor Spekulation geschützt wird, arbeitet „Parasol“ wie mehrere andere Gemeinschaftswohnprojekte in der Stadt mit dem Mietshäuser-Syndikat zusammen. Die Vergesellschaftung von Wohnraum ist das Schlagwort. Die Bewohner verwalten ihr Zuhause in der Regel selbst und treffen weitreichende Entscheidungen stets im Konsens. Das Fernziel: 20 Prozent unter der örtlichen Vergleichsmiete bleiben.
Bei "Parasol" in Heidelberg heißen AGs "Knoten"
Der Prozess des Gemeinsam-Entscheidens hat längst begonnen, erzählt Erhard. „Fast jeden Abend treffen sich ein bis zwei Gruppen.“ Die AGs heißen hier liebevoll „Knoten“. Und so hat nicht nur der „Bau-Knoten“ gerade ganz schön viele Fragen zu klären.
Man trifft sich in der großen Küche, bespricht sich, was zu tun ist, und bereitet das gemeinsam Mittagessen zu
30 Erwachsene und zehn Kinder gehören aktuell zum Projekt. „Das jüngste Mitglied ist zwei Jahre alt, das älteste über 70“, gibt Erhard einen Überblick. Einen Schwerpunkt machten die 35- bis 45-Jährigen aus. Es gebe noch Plätze, weil man vor dem Baustart noch nicht alle Kapazitäten vergeben wollte.
Was fasziniert an der Idee, mit so vielen Menschen nicht nur rein nachbarschaftlich zusammenzuleben, wie soll das tägliche Leben aussehen? "Man trifft sich in der großen Küche, bespricht sich, was zu tun ist, und bereitet das gemeinsam Mittagessen zu“, gibt Prinz ihre Vorstellung von einem ganz normalen Tagesablauf wieder. Im Café unten werde es ebenfalls einen Mittagstisch geben, abends dann Treffen in den „Knoten“ oder mit anderen Menschen, denn das Haus, das laut Bebauungsplan zur Hälfte mit Gewerbe gefüllt wird, soll sich auch Gruppen wie „Frauen helfen Frauen“, dem Frauennotruf und anderen öffnen beziehungsweise ihnen Raum anbieten, um zusammenzukommen.
Anfang bis Mitte 2026 sollen bei "Parasol" in Heidelberg Mieter einziehen
Große Spielflächen und ein Garten, in dem zusammen Gemüse oder anderes angebaut wird, sind ebenfalls Teil des Konzepts. Anfang bis Mitte 2026 wollen die „Parasol“-Mieterinnen und Mieter einziehen. Das ist ein sportliches Ziel, räumen Erhard, Prinz und Lyschik ein. Selbst zur Maurerkelle oder dem Betonmischer greifen wollen sie indes nicht: „Das würde viel länger dauern und wäre letztlich teurer, weil in dieser Zeit die Miete ausfiele“, überlassen sie die Sanierung lieber Profis vom Bau.
Sich gemeinsam mit mehr als zwei Dutzend Mitstreiterinnen einen Wohntraum zu erfüllen, sei ein „sehr kommunikationsintensiver Prozess“, bestätigt Lyschik. Neben den so häufig tagenden Arbeitsgruppen „laufen die Messenger-Dienste heiß“. Der Gesprächsfluss soll auch nicht abreißen, wenn die Umzugskartons ausgepackt sind: „Ich gehe davon aus, dass in unserem Haus sehr viel miteinander gesprochen wird“, freut sich Erhard.
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Wie das Gemeinschaftsleben in der Praxis funktioniert, können die „Parasols“ in Natura studieren: Die Kontakte zu den bereits realisierten Wohnprojekten sind sehr eng. „Wir dürfen uns einmal in der Woche in Räumen von ,Hagebutze’ treffen“, sind die „Neuen“ dankbar für die Unterstützung der „alten Hasen“. Das gehört zum Kodex des Mietshäuser-Syndikats. „Auch wir werden unsere Erfahrungen und Tipps an künftige Wohnprojektler weitergeben und ihnen Räume anbieten.“
Werbung auf dem „Willi“: Wohnprojekt auf Wochenmarkt in Weststadt vertreten
Dass „Parasol“ auf die Erfahrung von gleich mehreren Wohnprojekten in der Nähe zurückgreifen kann, hat aber auch eine zarte Schattenseite: Es sei nicht mehr so einfach, an die so dringend benötigten Direktkredite von Privatpersonen zu kommen, weil das Feld quasi schon gut „abgegrast“ sei.
Wer das „Parasol“-Team oder die Möglichkeit von Direktkrediten kennenlernen möchte, kann das ganz unkompliziert jeden Samstag auf dem Wochenmarkt in der Weststadt, auf dem Wilhelmsplatz („Willi“): Von 11 bis 14 Uhr stellt sich „Parasol“ dort mit einem Infostand vor.
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[2] https://parasol-heidelberg.de/
[3] https://www.syndikat.org/
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