Heidelberg. Anfang des Jahres machte sich Eelkje Blom immer öfter Sorgen um ihren Sohn Nino. Seit drei Monaten lebte der 27-Jährige da in Heidelberg, im Faulen Pelz, in einer Einrichtung für suchtkranke Straftäter - rund 500 Kilometer von seiner niederländischen Heimatstadt Huizen bei Amsterdam entfernt.
Im Oktober war er von der Justizvollzugsanstalt in Mannheim in die Therapieeinrichtung nach Heidelberg verlegt worden. Zuvor hatte ihn ein Gericht wegen Drogenhandels zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er als Kurier Drogen nach Deutschland schmuggelte. „Nino brauchte dringend Hilfe, um von den Drogen loszubekommen - so dringend“, sagt die Mutter am Telefon. „Aber Nino bekam im Faulen Pelz noch nicht einmal Hilfe, als er dringend einen Arzt benötigte.“
Brandbrief kritisiert "unwürdige Zustände" im Faulen Pelz
Am 14. Februar starb der 27-Jährige in dem Heidelberger Therapiegebäude. Die Ursache und die Umstände seines Todes blieben wochenlang unklar. Trotz Obduktion konnte die Todesursache zunächst nicht festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ordnete deshalb weitere rechtsmedizinische Untersuchungen an. Das Ergebnis machte die Justizbehörde Anfang April öffentlich. Der Mann starb laut Staatsanwaltschaft nach dem Konsum synthetischer Cannabinoide. Das sind künstlich hergestellte Substanzen, die eine ähnliche Wirkung haben wie pflanzlicher Cannabis.
Nach dem Tod des 27-Jährigen hatte ein Brandbrief von mehreren Juristinnen und Juristen Schlagzeilen gemacht, in dem die Anwältinnen und Anwälte die „unwürdigen Zustände“ im „Faulen Pelz“ scharf angingen. Darin kritisierten sie etwa, dass manche Sicherheitskräfte „den Patienten gegen Gegenleistung anbieten, Betäubungsmittel in die Einrichtung zu bringen“. Sie stünden bisweilen selbst unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln, hieß es in dem Beschwerdeschreiben weiter.
Auch beschrieben die Anwältinnen und Anwälte darin den Fall eines Patienten, der über starke Bauchschmerzen geklagt und erst Stunden später untersucht worden sein soll. Nach der Untersuchung habe er wegen eines Blinddarmdurchbruchs notoperiert werden müssen.
Mutter der Verstorbenen: „Er fragte wieder und wieder nach einem Arzt“
Bei einem Presserundgang mit Journalistinnen und Journalisten Mitte April im „Faulen Pelz“ sagte die Ministerialdirektorin und Amtschefin im Sozialministerium Leonie Dirks auf Anfrage dieser Redaktion, der Patient habe sich nicht ausfindig machen lassen, für Mängel in der medizinischen Versorgung gebe es keine Anhaltspunkte.
„Nino hatte sich vor einiger Zeit am Knöchel verletzt, er hatte starke Schmerzen, er fragte wieder und wieder nach einem Arzt, vielleicht zwanzig, vielleicht dreißig Mal, erzählte er mir“, sagt Eelkje Blom im Gespräch mit dieser Redaktion. Sie selbst habe in der Einrichtung angerufen und mit einem leitenden Mitarbeiter gesprochen, sagt Blom. Schließlich habe die deutsche Anwältin ihres Sohnes ein Schreiben aufgesetzt - doch bevor der Brief beantwortet worden sei, starb Nino, so die Mutter. Die Rechtsanwältin äußerte sich auf Anfrage nicht und berief sich auf ihre Verschwiegenheitsverpflichtung.
Bereits Anfang des Jahres erlitt Nino laut seiner Mutter einen epileptischen Anfall und musste in eine Klinik eingeliefert werden. Danach sei er nicht häufiger als zuvor medizinisch überwacht und begleitet worden, sagt Eelkje Blom.
Am 14. Februar erfuhr sie durch einen Anruf der Partnerin ihres Sohnes, die in Deutschland lebt, davon, dass ihr Sohn leblos aufgefunden wurde. „Die Freundin meines Sohnes wurde von einem anderen Patienten angerufen, der ihr berichtete, dass Nino reanimiert worden sei.“ Sie habe sich sofort auf den Weg nach Heidelberg gemacht.
Noch am Vorabend habe sie mit ihrem Sohn telefoniert, es sei ihm schlecht gegangen, er habe sich mehrmals erbrochen, sagt Eelkje Blom. Fiel das im Faulen Pelz niemanden auf?
Auch soll der leblose Körper erst am späten Vormittag aufgefunden worden sein. Wurde an diesem Tag kein morgendlicher Rundgang durchgeführt? Bemerkte beim Frühstück niemand, dass es Nino nicht gut ging oder, dass er eben keine Mahlzeit zu sich nahm?
Todesfall im Faulen Pelz - das sagt das Sozialministerium
Auf Anfrage dieser Redaktion heißt es in einer Stellungnahme des Sozialministeriums, dass man sich im Rahmen des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht äußere. Nach Angaben einer Sprecherin des Ministeriums gelte ganz allgemein, dass sich Patienten in der Klinik tagsüber frei bewegen oder sich in ihre Zimmer zurückziehen könnten. „Patienten in Forensischen Kliniken werden ohne gegenwärtigen konkreten Anlass nicht dauernd überwacht, das wäre rechtlich auch gar nicht zulässig“, so die Sprecherin.
Die Frage danach, ob es tägliche Rundgänge in der Einrichtung gebe, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, ob Nino erst am späten Vormittag gefunden wurde und falls ja, warum vorher niemandem auffiel, dass sich sein gesundheitlicher Zustand bereits Stunden zuvor verschlechtert haben könnte.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen unbekannt
Und was ist dran, an den Vorwürfen, dass der 27-Jährige bereits Wochen zuvor zigfach versucht haben soll, einen Arzt zu kontaktieren? Auch hierzu äußert sich die Sprecherin nicht, grundsätzlich könne gesagt werden, dass jeder Patient in der Klinik die Möglichkeit habe, morgens den Bedarf nach einem Arztkontakt beim zuständigen medizinischen Personal anzumelden. Es erfolge eine Überprüfung der Dringlichkeit des Anliegens und je nachdem erfolgen dann Termine beim hausinternen ärztlichen Dienst, bei externen Fachärzten oder bei externen Kliniken, so die Sprecherin. Bei Notfällen werde außerdem der externe Notarzt hinzugezogen.
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Ein Sprecher der Heidelberger Staatsanwaltschaft bat auf Anfrage dieser Redaktion um Verständnis dafür, dass zu einzelnen Ermittlungsmaßnahmen und -ergebnissen keine Angaben gemacht werden könnten. Die Ermittlungen dauerten aktuell weiter an. Das Verfahren richte sich derzeit gegen unbekannt und nicht gegen eine konkrete Person, so der Sprecher weiter.
Bereits Mitte April kündigte der Sprecher an, dass die Ermittlungen sich vor allem darum drehen, wie der 27-Jährige im Maßregelvollzug an die Drogen gelangen konnte.
Eelkje Blom hat sich wieder und wieder gefragt, ob ihr Sohn noch leben würde, wenn er früher medizinisch versorgt worden wäre. Ihre Gedanken kreisen um die letzten Stunden im Leben ihres Sohns, um ihr letztes Telefonat, ihren Appell, er möge unbedingt den Notfallknopf betätigen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Maßregelvollzug im Faulen Pelz von Anfang an in der Kritik