Interview

Finanzierung der Ludwigshafener Hochstraßen: Wissing schließt Scheitern aus

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) spricht im Interview über Finanzierungszusagen, die unpünktlichste S-Bahn Deutschlands und die Sperrung der Riedbahn 2024. Per SMS kommuniziert er mit Ludwigshafens Oberbürgermeisterin

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Stephan Alfter
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Spricht von den größten Infrastrukturreformen der Geschichte: Bundesverkehrsminister Volker Wissing im Gespräch mit „MM“-Redakteur Stephan Alfter. © K. Venus

Rhein-Neckar. Die Hochstraßenfinanzierung eine Hängepartie. Die S-Bahn Rhein-Neckar oft unpünktlich. Die Riedbahn heruntergewirtschaftet. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) über alte Strukturen und neue Tickets

Herr Wissing, wie eng ist denn Ihr Whatsapp-Austausch mit der Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck?

Volker Wissing: Wir schreiben uns per SMS, und sie weiß auch, dass sie mich jederzeit kontaktieren kann.

Jutta Steinruck sagte kürzlich im Stadtrat, dass Sie derzeit nicht mehr antworten würden.

Volker Wissing: Warum sollte ich denn nicht antworten? Wir sind im regelmäßigen Austausch und unsere Büros stimmen gerade einen persönlichen Besprechungstermin ab. Das ist gut, denn nicht alles kann man per Kurznachricht klären.

Die Hochstraßen sind neuralgische Punkte für die Region. 1,5 Milliarden kostet die Sanierung mindestens. Und allein mit einer Kostenbeteiligung von vereinbarten 15 Prozent droht die Stadt, sich deutlich zu überheben. Was ist, wenn alles doch noch kippt?

Volker Wissing: Es gibt verschiedene Kosten-Szenarien. Die Stadt Ludwigshafen geht in ihrem Antrag von 589 Millionen bis zu rund 1 Milliarde Euro aus. Wir stehen hinter dem Projekt. Dass es kippt, halte ich für ausgeschlossen. Der Bund weiß um die große Bedeutung und wir haben immer signalisiert, dass wir das unterstützen. Dafür habe ich schon als Landesminister in Rheinland-Pfalz gekämpft. Wir tun alles, was möglich ist. Eine dynamische Kostenübernahme kann es aber nicht geben. Das lassen die gesetzlichen Förderregelungen nicht zu.

Sondern? Wie ist der Weg?

Wissing: Die Stadt Ludwigshafen wollte seinerzeit die Baulast tragen. Daher kann ich der Stadt nicht die Verantwortung abnehmen. Wenn sich eine Kostensteigerung ergeben sollte, müsste ein neuer Antrag gestellt werden. Es wird durch das Bundesministerium auf jeden Fall keine Verzögerung geben.

Wir diskutieren ja nicht im luftleeren Raum. Sie kennen den BASF-Chef Martin Brudermüller gut genug. Das ist doch einer, der Ihnen auf den Füßen stehen wird. Für seinen Standort in Ludwigshafen sind die Straßen essenziell.

Wissing: Herr Brudermüller weiß, dass ich alles tue, um den Wirtschaftsstandort Ludwigshafen zu stärken. Allerdings kann ich im Augenblick nichts beschleunigen. Aktuell ist das Land am Zug und prüft die Antragsunterlagen. Erst danach können wir vereinbaren, mit welcher konkreten Summe Bund und Land gemeinsam die Stadt unterstützen.

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Die Hochstraßen funktionieren nicht, die S-Bahn Rhein-Neckar ist die unpünktlichste in ganz Deutschland, die Riedbahnstrecke zwischen Frankfurt und Mannheim wird im kommenden Jahr mehr als fünf Monate dicht sein. Am Walldorfer Kreuz kommen die Planungen für den Umbau nicht schnell voran. Wir leben in einem der bedeutendsten Wirtschaftsräume Europas. Wie lange können Sie die Zustände verantworten?

Wissing: Man muss die Dinge einzeln durchgehen. Die Organisation des Schienenpersonennahverkehrs und damit die Pünktlichkeit der S-Bahn Rhein-Neckar fällt in die Zuständigkeit der Länder. Der Bund unterstützt die Länder mit elf Milliarden Euro Regionalisierungsmitteln pro Jahr.

Sie waren doch als Minister in Rheinland-Pfalz verantwortlich.

Wissing: Ich habe dort ein neues Nahverkehrsgesetz auf den Weg gebracht, weil die Struktur des ÖPNV nicht zufriedenstellend war. Jetzt steht die Umsetzung an und ich habe die Weichen gestellt, damit die Dinge sich weiter verbessern. AlsBundesminister habe ich dafür gesorgt, dass sich die Regionalisierungsmittel dynamisiert erhöhen, um Planungssicherheit zu schaffen für die Länder. Zusätzlich haben wir mit dem 9-Euro-Ticket ein sehr erfolgreiches Angebot gemacht, um den ÖPNV attraktiver zumachen. Jetzt führen wir ein Deutschland-Ticket ein, das den ÖPNV einfacher nutzbar macht und digitalisiert.

Die Bahn-Performance ist suboptimal. Die Riedbahnsperrung 2024 zwischen Mannheim und Frankfurt stellt viele Pendler vor riesige Probleme.

Wissing: Absolut. Aber meine Vorgänger haben in den vergangenen Jahrzehnten die Eisenbahninfrastruktur nicht etwa ausgebaut, sondern leider um etwa 30 Prozent zurückgebaut. Dann darf man sich nicht wundern, dass man Knappheiten auf der Schiene hat.

Scheuer, Dobrindt, Ramsauer. Wie groß ist Ihr Kopfschütteln über das, was die CSU-Kollegen hinterlassen haben?

Wissing: Mein Kopfschütteln war groß, weil ich mich wunderte, dass man in diesem Maße die Struktur zurückgebaut hat. Ich bin immer davon ausgegangen, dass man diese Struktur weiterentwickeln muss. Ich habe diese Politik grundlegend verändert und die Weichen nun völlig neu gestellt. Deshalb müssen wir beispielsweise die Riedbahn sperren. Sie ist quasi eine Hauptschlagader und ständig müssen Notbaustellen eingerichtet werden müssen. Das führt zu Störungen in ganz Deutschland. Jetzt müssen zunächst die Nebenstrecken ertüchtigt und Ersatzverkehre organisiert werden. Wir können ja nicht die Riedbahn sperren, wenn die Ausweichverkehre nicht funktionieren.

Stichwort „gut vorbereitet sein“: Wir sind beim 49-Euro-Ticket. Ist es nicht klüger, die Infrastruktur komplett zu erneuern und dann erst ein Ticket dieser Art anzubieten? So locken Sie Leute zur Bahn, die dann feststellen zu lassen, dass da vieles im Argen liegt.

Wissing: Wir machen beides. Wir haben die größte ÖPNV-Tarifreform in Deutschland gestartet. Noch nie war es für die Menschen in unserem Land so einfach, Bus und Bahn zu nutzen. Gerade hier in der Großregion Rhein-Neckar haben Sie einige unterschiedliche Tarifsysteme. Mit dem Deutschlandticket ist es möglich, nicht drei verschiedene Fahrkarten kaufen zu müssen.

Eine Umfrage des Verkehrsverbunds Rhein-Neckar hat gezeigt, dass das 9-Euro-Ticket keine neuen Kunden gebracht hat und stattdessen Verkehre ausgelöst wurden. Plötzlich seien Leute von Schifferstadt nach Worms gefahren, die ohne das Ticket nie losgefahren wären.

Wissing: Mich überzeugt die Zufriedenheit mancher Verbünde mit ihrem Ticketsystem nicht. Wir haben 52 Millionen neue Tickets verkauft - wohlgemerkt ohne eine Angebotsausweitung zu machen. Damit dürften die Verkehrsverbünde, die seit Jahren erzählen, nur durch eine Angebotsausweitung könne man zusätzliche Fahrgäste gewinnen, widerlegt sein. Manche haben sogar erzählt, die Leute seien mit dem Ticket einfach nur durch die Gegend gefahren. Ich halte es nicht für sinnlos, wenn Menschen in ihrer Freizeit mit dem Zug nach Worms fahren, um Verwandte zu besuchen, einen Kaffee zu trinken oder einzukaufen und damit die Innenstädte beleben. Dass man das jetzt plötzlich kritisch sieht, finde ich irritierend.

Zur Person

 

  • Der 52-jährige Jurist stammt aus der südpfälzischen Stadt Landau, wo er gemeinsam mit Partnern eine Kanzlei betreibt. Seine eigenen Tätigkeiten dort müssen ruhen, während er in Berlin als Minister arbeitet.
  • Wissing ist seit 1998 FDP-Mitglied. Von 2000 bis 2004 war er abgeordnet als Persönlicher Referent des Justizministers von Rheinland-Pfalz, Herbert Mertin (FDP). 2001 wurde er zum Richter am Landgericht ernannt. Bevor er nach Berlin ging, war Wissing seit 2016 Minister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau in einer Ampel-Koalition unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer.
  • Schon aus familiären Gründen begeistert sich Wissing für den Weinbau. Seine Frau und seine Tochter seien seine größten Kritikerinnen sagt er. In seiner Freizeit backt und kocht er gerne. Im Gottesdienst spielte er früher Orgel.

Ihre Konsequenz daraus? Verkehrsverbünde abschaffen?

Wissing: Den ÖPNV stärker von den Bürgern her denken und sich freuen, wenn die Menschen mit einem solchen Angebot Teilhabe erleben und dabei auch noch einen klimafreundlichen Verkehrsträger nutzen.

Sie haben schon ein wenig einen Hals auf die Verkehrsverbünde. Das hört man heraus.

Wissing: Nein, gar nicht. Wenn es in der Struktur ein Problem gibt, dann muss man die Struktur überarbeiten. Es geht um die Bürger. Die Zufriedenheit mit dem ÖPNV ist stark steigerungsbedürftig. Dazu müssen sich vor allem auch die Verkehrsverbünde bewegen.

Aber bei 35 Grad ohne Klimaanlage in der Bahn spazieren zu fahren, das ist kein Spaß. So war das aber im Sommer, als die Züge aufgrund des 9-Euro-Tickets voll waren.

Wissing: Das 9-Euro-Ticket hat viele Defizite transparent gemacht. Als ich das Ticket vorgeschlagen habe, hat man mir gesagt, es gebe keinen strukturellen Verbesserungsbedarf im ÖPNV. Man brauche einfach mehr Geld. Jetzt wissen wir, mit Geld allein ist es nicht getan, wir müssen an die Strukturen ran. Wir leisten uns einen Dschungel unzähliger Tickets. Das wollte ich überwinden.

Deshalb nun das 49-Euro-Ticket, das Sie jetzt immer Deutschlandticket nennen. Warum? Weil es nächstes Jahr mehr kostet als 49 Euro?

Wissing: Das Entscheidende ist, dass es in ganz Deutschland gilt und dass es ein Abo-Ticket ist.

Wird es teurer nächstes Jahr?

Wissing: Das weiß ich nicht. Das hängt auch davon ab, wie viele Nutzer es geben wird. Wir werden die verkehrlichen und finanziellen Wirkungen des Deutschlandtickets evaluieren.

Warum ist es wichtig, dass dieses Ticket erfolgreich ist?

Wissing: Wir haben ein Interesse daran, dass wir so viel Verkehr wie möglich klimaneutral gestalten. Dabei soll das Ticket auch den multimodalen Verkehr einfach machen. Das heißt: Wenn man auf dem Dorf ein Auto braucht, weil es seit Jahrzehnten keine ausreichende Busverbindung gibt, dann heißt das nicht, dass man die nächsten 100 Kilometer komplett mit dem Auto zurücklegen muss. Man kann etwa nur bis zum nächsten Knotenbahnhof fahren, wo eine gute Verbindung existiert, und dann umsteigen. Wenn sie ein Deutschlandticket im Abo haben, wird es billiger, als einen Einzelfahrschein zu kaufen. Das Deutschlandticket ist eine der größten Verkehrsreformen unseres Landes. Trotzdem brauchen wir Straßenbau.

Wegen des Güterverkehrs auf der Straße?

Wissing: Ja, weil der Güterverkehr massiv zunehmen wird. Das hat mit dem Konsumverhalten der Menschen und dem Internethandel zu tun. Die Straße wird die entscheidende Rolle spielen.

Wir bauen also neue Autobahnen?

Wissing: In Deutschland ist nicht nur die Zahl der Autos, sondern auch der Güterverkehr über die Jahre konstant gestiegen. Das wurde aber weder bei der Schiene noch bei der Straße entsprechend nachgehalten. Wir brauchen eine Engpassbeseitigung,wie in Walldorf beispielsweise. Die Verkehre verändern sich.

Wie schaffen wir es denn, klimafreundlich zu werden, wenn da noch mehr Güterverkehr rollt.

Wissing: Wir wollen 2045 klimaneutral sein. Das werden wir im Güterverkehr gut hinbekommen, weil wir dort schnellere Erneuerungszyklen haben. Dafür müssen wir aber die entsprechende Infrastruktur haben. Wenn wir das nicht schaffen, werden wir unseren Industriestandort zurückbauen und mit weniger Wohlstand zurechtkommen müssen.

Was ist mit den Wasserstraßen? Die BASF ruft doch danach.

Wissing: Unternehmen sind davon abhängig, dass der Rhein schiffbar ist, deshalb kämpfe ich für die Vertiefung der Fahrrinne.

Aber wann beginnt die denn?

Wissing: Wir arbeiten daran. Ich habe das Personal aufgestockt. Es darf keine Verzögerungen mehr geben, aber die rechtlichen Rahmenbedingungen dauern zu lange. Deshalb habe ich ein Planungsbeschleunigungsgesetz vorgelegt. Darauf hat man sich in der Koalition aber noch nicht geeinigt.

Brauchen Sie nicht auch ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro?

Wissing: Wir könnten das gar nicht so schnell ausgeben, weil uns die Kapazitäten in der Bauwirtschaft fehlen. Die kann man nur erhöhen, wenn man ein längerfristiges Investitionsprogramm auflegt. Dann bauen sich auch die Kapazitäten auf. Wir haben aktuell einen Etat von 36 Milliarden Euro und es ist fast schon eine Leistung, das Geld auszugeben. Wir brauchen schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren und eine verlässliche Finanzierung, um ein Signal an die Branche zu senden, die Kapazitäten zu erhöhen.

Sie werden in Rankings als einer der unbeliebtesten Minister dargestellt. Was macht das mit Ihnen?

Wissing: Es ist nicht meine Aufgabe, an der eigenen Darstellung zu arbeiten. Ich will eine gute Verkehrspolitik machen. Dazu muss man Widerstände überwinden.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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