Festivalkritik

Erster Haupttag des Mannheimer Maifeld Derbys: Sommer, Sonne, Supermusik

Von 
Jörg-Peter Klotz , Markus Mertens und Alexander Müller
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Wie eine moderne Sade: Die britische Sängerin Arlo Parks gehört zu den großen Stars beim Maifeld Derby 2022. © Markus Mertens

Mannheim. Viel bessere Bedingungen sind für ein Open-Air-Festival schwer vorstellbar: Sonne satt, aber angenehm temperiert und – typisch Maifeld Derby – extrem vielfältige, hochkarätige Musik für fast alle Geschmäcker. Wobei es in der prallen Sonne, zum Beispiel auf der großen Freiluftbühne auch zu heiß hergehen kann: „Wir werden gegrillt“, scherzt der englische Sänger Murray Cameron Matravers, dessen Band so heißt und klingt, wie sich der Tag am Reitstadion anfühlt: Easy Life (Leichtes Leben). So schlimm kann’s nicht gewesen sein: Die offensichtlich obligatorischen Jeansjacken behalten er und seine Mitstreiter überwiegend an. Modisch sieht man auf und vor der Bühne generell viel 80er-Jahre-Schick – als ob die Kostümdesignerin der Serie „Stranger Things“ den Katalog für den Festivalsommer 2022 zusammengestellt hätte.

Während in Bayern das Puls Festival im laufenden Betrieb abbrechen musste, weil nicht ausreichend Security-Kräfte erschienen sind, funktioniert die elfte Auflage der Mannheimer Indie-Pop-Sause wie geölt. Lange Schlangen am Einlass oder an den Wechselschaltern für die Derby-Währung nehmen die Besucherinnen und Besucher ganz gelassen. Dass in diesen Zeiten 4000 Fans kommen, ist ein Zeichen, wie sehr die Arbeit von Festivalmacher Timo Kumpf und seines Teams geschätzt wird. Der hat in diesem Jahr beim Programm wieder besonders hingelangt, allein die Headliner des ersten Haupttages am Freitagabend sind absolut erlesen.

Arlo Parks wie eine moderne Sade

Da ist zum Beispiel die britische Sängerin Arlo Parks, die Kumpf schon im Vorjahr als Derby-typischen Geheimtipp präsentieren wollte. Inzwischen hat die 21-jährige Londonerin für ihr gefeiertes Albumdebüt „Collapsed In Sunbeams“ den Mercury Prize, einen BritAward und eine Grammy-Nominierung eingeheimst. Dementsprechend selbstbewusst tritt sie auf, ein stimmstarker, angehender Superstar des Indie-Pop. Mit Texten, die Empowerment und starke Emotionalität gleichzeitig transportieren. Dabei klingt sie eher so entspannt, aber kraftvoll wie eine moderne jüngere Schwester von Sade, mit fließenden Grooves und Melodien, die absolut massentauglich sind. Das sieht man allein daran, wie euphorisch Songs wie „Caroline“, „Black Dog“, das funky beschwingte „Hurt“ oder der aktuelle Hit „Softly“ von den Fans bei den ersten Takten begrüßt werden. Letzter ist schon ein Vorgeschmack auf das nächste Arlo-Parks-Album, das demzufolge deutlich poppiger ausfällt.  

Massenkompativel sind  auch die vor Einflüssen und Zitaten nur so strotzenden strotzenden Electro-Klänge von Simon Green alias Bonobo. Kein Wunder, dass sein aktuelles Erfolgsalbum (Platz drei der deutschen Charts)  „Fragments“ heißt. Der DJ und Produzent, der live Bass sowie Synthesizer bedient,  ist zum Derby mit Band und Teilzeitsängerin Nicole Miglis angereist. Der Wall-of-Sound ist gigantisch, fesselnd, aufpeitschend und sehr laut. Vor allem, wenn tefdröhnende verzerrte Bässe auf die Blasinstrumente von Mike Lesirge treffen. Faszination tut manchmal etwa weh.   Das Soundspektakel wird fast noch übertroffen von der gigantischen Bühnenshow, bei der man sich phasenweise wie im Imax-Kino fühlt.

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Man kann und darf diesen ersten vollen Festivaltag auf dem 11. Maifeld Derby in Mannheim als Erlösung lesen. Denn ein Jahr, nachdem das Corona-konforme Jubiläum auf dem Maimarktgelände doch mit einigen Abstrichen leben musste, entfesselt sich zwischen den Bühnen endlich wieder diese einzigartige Form der Leichtigkeit, die Tausende zu schätzen wissen, die längst ahnen: Dieses Wochenende wird wieder zum lustvollen Sprung in ein akustisches Bad des Unerhörten - und das ganz im Sinne des Wortes.
Denn als die junge Singer-Songwriterin Emma mit ihrem ambitionierten Deutschpop auf die kleine Bühne im Parcours d’Amour steigt, ist das für die Newcomerin aus Mannheim nicht nur eine riesige Chance, sondern auch für das Publikum eine Konfrontation mit akustischem Stoff, den man selbst in Zeiten schier grenzenloser Streaming-Vielfalt noch als Neuland bezeichnen darf. Dem längst zur Tradition gewordenen, selbstgestellten Auftrag, der lokalen Szene als Sprungbrett zu dienen, kommt das Boutique-Festival auch an diesem Tag nach - und zeigt mit dem wuchtigen Set von Hip Hopper Chaoze One, dass gut gereimter Rap nicht erst seit OG Keemo in Mannheim zu Hause ist.

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Doch bald schon breitet das Programm dieses an Vielfalt überreichen Tages seine Schwingen aus : und macht sich auf, Zeichen zu setzen. Denn ob nun die Niederländer von Weval die Bassboxen im Palastzelt ein erstes Mal erzittern lassen, oder die amerikanische Formation mit dem klangvollen Namen Arooj Aftab mit Harfe, Kontrabass und der hypnotisierend schönen Stimme der pakistanischen Sängerin aufwartet: Diese Auftritte rangieren allesamt jenseits des gewöhnlich Erwartbaren - und bleiben damit im Gedächtnis.
Ein Faktor, der in einer Zeit von Überhitzung und Beschleunigung zum Innehalten animiert und genau deshalb derart inspirativ daherkommt. Gäste wie Elisa und Viktor, die zum ersten Mal beim Maifeld Derby zu Gast sind, nehmen dafür den weiten Weg aus Leipzig in Kauf, wohlwissend, dass der Kult dieses besonderen Festivals längst international wahrgenommen wird.
Entscheidend ist dabei, dass das investierte Vertrauen von Maifeld-Neulingen oder Überzeugungstätern in dem mittlerweile guten Jahrzehnt Festivalgeschichte nie ernsthaft enttäuscht wurde - und auch dieser Tag mit dieser Zuverlässigkeit nicht bricht.

Cineastische Show von Bonobo

Dafür verantwortlich sind unter anderem clevere Buchungen wie die der britischen Spaß-Rocker namens Easy Life, die unter freiem Himmel für herausragende Stimmung sorgen, oder die sphärisch-gigantischen Electro-Arrangements von Caribou im großen Zelt. Die werden später noch getoppt von Bonobo. Und weit nach Mitternacht nimmt Quentin Lepoutre alias  Myd im Palastzelt den beatlastigen Faden auf, leichtgängiger und noch tanzbarer. Dabei wirkt das ironisch designte Bühnenbild wie eine Parodie moderner Theaterinszenierungen: Das Keyboard Roland Juno-80 ist in ein Aktenregal eingebettet, genau wie ein Moog. Neben der Batterie Saiteninstrumente steht ein Wasserspender alter Schule. Das versprüht optisch den Charme einer frühen Folge von „The Office“ (oder „Stromberg“). Zumal auch Lepoutres Tastenfrau und sein Bass- und Gitarrenbediener in tristester Klischee-Bürokleidung. Dann springt der Hauptdarsteller in Malermontur wie Kai aus der Kiste – und plötzlich wird die Welt bunt dank ihrer treibenden Beats. Die kommen mit der Wucht daher, die typisch ist für das Ed-Banger-Label um die ebenfalls aus Frankreich  stammenden Justice. Alles nach dem expliziten Motto: „We Dance where we go“ - sogar im Büro!

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Aber so reizvoll der Kontrast immer wieder ist, in die ganz eigene Welt der beiden dunklen Festivalzelte zu treten, bei denen Konzerte auch am hellichten Tag wie richtige Shows wirken können. Trotzdem blieben Sonne und warmes Sommerwetter die Co-Stars.  Was würde da besser passen, um entspannt ins Festival hineinzugleiten, als gechillter Folk mit lateinamerikanischem Einschlag? Helado Negro liefern in 45 atmosphärisch dichten Minuten am frühen Freitagabend auf der Open-Air-Bühne genau das. Der Sound von Roberto Carlos Lange, in New York lebender Amerikaner mit ecuadorianischen Wurzeln, erinnert manchmal an seinen Genreverwandten Jose Gonzalez – und das ist als Kompliment zu werten.

Viel Hochkarätiges von der Insel

2022 ist auch das Jahr, in dem die Welle famoser Post-Brexit-Bands von den Inseln das Maifeld Derby Derby erreicht. Die Jungspunde von Enola Gay werden nicht zu Unrecht mit Fontaines D.C. oder den Idles vergleichen – Bands, die zurzeit als Maßstab auf dem Gebiet hochkarätigen Indie-Rocks gelten. Die rohe Energie von Enola Gay überträgt sich ab Lied 1 direkt auf das Publikum, die positive Resonanz treibt die nordirischen Newcomer zu einem spektakulären Auftritt, der einen in seinen besten Momenten fast sprachlos zurücklässt.

Die Rostocker Waving The Guns loben das Maifeld zunächst für sein divers aufgestelltes Programm – um dann den Beweis anzutreten, dass auch Hip Hop mit Hirn glänzend auf das Mannheimer Festival passt. Politischer Rap mit klar linker Grundeinstellung aus Rostock – da ist der Weg zu den Deutsch-Punkern Feine Sahne Fischfilet nur sehr kurz. Beide Bands haben auch schon live zusammengespielt und mit „Wut“ eine gemeinsame Single herausgebracht. Im Hüttenzelt überzeugen Waving The Guns auf ganzer Linie. Wer Höhepunkte wie „Gran Canaria“ oder „Das muss eine Demokratie aushalten können“ im Repertoire hat, muss sich um seine Karriere keine Sorgen machen.

Aber auch starke Frauen gibt es hier neben Arlo Parks reihenweise zu erleben. Die poetischen Balladen von Sängerin Tamzene gilt es ganz reduziert und nur am Klavier begleitet zu durchträumen, die Italienerin Marta del Grandi spinnt ihren feinen Diskant dann mit kleiner Besetzung rund um Violinen und Synthesizer-Klänge herum.

All das geschieht mit zunehmender Stunde in einer Atmosphäre zwischen Begeisterung und Entfesselung - und das nicht allein, weil für die Liebhaber des willenlosen Punk mit den Jungs von Ligthning Bolt ebenso starker Stoff bereitsteht wie für vertrackten Rock à la The Mars Volta mit dem amerikanischen Duo Battles - sondern, weil jeder dieser Entdeckungsräume eine Fortsetzung eines Klangreiches verspricht, das in seiner Einzigartigkeit völlig zu Recht bis in den frühen Morgen hinein gefeiert wird. Das Vergnügen endet um 3 Uhr mit der belgischen Band Whispering Sons im Club-Zelt. Am Samstag erwartet der Veranstalter mehr als 4500 Fans unter anderem zu Bilderbuch und Sampa The Great. Am Sonntag endet das Derby um 22 Uhr mit dem Auftritt des Headliners Kings Of Convenience. Für beide Termine gibt es für 70 Euro noch Karten an der Tageskasse,

 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

Freier Autor

Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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