Mannheim. Dieser Sonntag beim Maifeld Derby startet wie ein Donnerblitz der Emotionen. Denn wo die Frühentschlossenen zunächst die sanften harmonischen Stimmungsaufheller von Roy Bianco und seinen Abbrunzati Boys erwartet hatten, steht plötzlich ein Gringo Mayer auf der Bühne, der mit seinem derben Dialekt und den bittersüß-ironischen Texten direkt in die Kerbe trifft. "Viel zu arg, mei Mutter hot mei Droge versteckt" lässt Mannheims Musiker der Stunde seine Fans wissen, lächelt einmal diebisch über mit Blick auf die für Festival-Verhältnisse unchristliche Uhrzeit 13 Uhr erstaunlich volle Fläche vor der Open Air-Bühne und schmettert 45 Minuten Mundart-Indie-Blues vom Feinsten. "Gibt's do Net", "Viel zu arg" und natürlich "Ahjoo" - der kurpfälzische Voodoo Jürgens macht einfach nur ganz viel Spaß. Trotzdem bemerkenswert, dass um diese Uhrzeit mit "Ru' do driwwe" die erste Zugabe des Tages erjubelt wird. Viel großartiger kann ein solcher Tag eigentlich nicht starten
Angewandte Nachwuchsförderung
Daran ändert auch das relativ zurückhaltende Set des Mannheimer Pop-Duos Luva auf dem Parcours d'Amour nichts. Fast möchte man den beiden Musikern ein bisschen von dem Mut zusprechen, mit dem später der funkelnde Pop Folk der Britin Eve Owen an Mundharmonika und Mikrofon von sich reden macht - aber Entwicklungspotenzial gibt es hier ohne Zweifel. Ohnehin entwickelt sich auf der kleinen Bühne hinten am Reitstation in diesen Stunden so einiges. Lokalmatador Niklas Blumenthaler findet am Klavier demonstriert Ähnlichkeiten zu Nils Frahm, die junge Pianistin Büşra Kayıkçı zeigt sich mit eigener, ganz reduzierter Tastenkunst im Sinne eines Steve Reich - beides Neoklassik-Perlen, von denen man ganz sicher nicht zum letzten Mal gehört hat.
Währenddessen geschieht außerhalb dieses kleinen Kosmos am Rande des Maimarktgeländes auch Berückendes. Die Jungs von Rolling Blackouts Coastal Fever etwa verstärken die ohnehin starke australische Abordnung im Lineup des Festivals um noch einen qualitativen Hammer des Rockpop. Auf Tour sind die Jungs aus Melbourne eher in kleineren Clubs unterwegs, doch hier zeigt sich, dass launige, zeitweise auch Weltklasse gespielte Gitarren-Arrangements zwischen Porcupine Tree und Billy Talent durchaus etwas für sich haben können. Die Menge jedenfalls tanzt - und kann nur in Teilen ins Palastzelt gelockt werden, als die Amerikaner von Kennyhoopla ihren melodischen Trank aus Soul, Reggae, Rap und World Music über die hitzebeständigen Besucher ausschütten.
Kettcar geflasht
Dass die Hamburger Indie-Institution Kettcar bei der elften Auflage ihre Maifeld-Premiere feiert, freut Sänger Marcus Wiebusch außerordentlich. „Wir waren geflasht über die Einladung. Ihr habt hier das beste Festival, das man haben kann“, sagt er. Ansonsten sind der Zuschauerandrang und auch die Resonanz des Publikums am frühen Sonntagabend erstaunlich zurückhaltend – das hat man bei Kettcar-Konzerten in der Region schon euphorischer gesehen. Die Hamburger spielen sich dennoch souverän durch ein Best-of-Set, das ein neues Lied („Notiz an mich selbst“) sowie Höhepunkte wie die Anti-Homophobie-Hymne „Der Tag wird kommen“ und das großartige „Sommer 89“ bereithält. Letzteren Song kündigt Wiebusch mit einem Satz an, der auch ein hübsches Maifeld-Motto sein könnten: „Humanismus ist nicht verhandelbar“.
Bei Temperaturen auf Outback-Niveau hat die australische Punkrock-Hoffnung Amyl And The Sniffers davor einen soliden Auftritt abgeliefert. Den dreckig-durchgeprügelten Rock ‚n‘ Roll der Melbourner hat man so oder so ähnlich von Artverwandten wie den Hellacopters oder den Supersuckers schon besser gehört, aber die Energie stimmt. Musikalisch differenzierter geht es danach im Hüttenzelt zu, wo Die Nerven den Beweis antreten, warum sie als große Hoffnungsträger in der Kategorie kluger deutscher Indie-Rock gelten. „Stuttgart’s Finest“ werden zurecht heftig gefeiert – ein starker Auftritt.
Stella Donnelly belustigt
Regelrecht lustig wurde es dann noch einmal bei der Singer-Songwriterin Stella Donnelly. Denn so klar und aufmerksam schon Stimme und Geist, so tief und augenzwinkernd sind auch die Texte. In ihren definitiv Pub-tauglichen Songs jedenfalls verarbeitet die junge Klangpoetin schräge Anekdoten wie die einer Liebhaberin, die nur zu gerne Kuchen als Geschenk mitbringt, dann aber einen Empfänger trösten muss, der die feine Speise seiner Allergie wegen gar nicht kosten darf.
Headliner entflammt
Donnelly verpackt diese kleinen Wendungen des Lebens so elegant und adrett, dass man ihr stundenlang lauschen könnte _ riefen da nicht schon die Kings Of Convenience zu ihrem finalen Ritt. Und hier schließt sich endlich auch wieder der Kreis zwischen Aufgalopp und Endspurt. Denn was mutig mit dem Ethno-Soul-Rap von Genesis Owusu begann, schließt sich am Ende wieder mit den Songs von Erik Glambek Bøe und Erlend Øye aus Norwegen. Dass ein Headliner zum Abschluss eines Festivals keineswegs grell, bunt und laut daherkommen muss, sondern schlicht und ergreifend auch mit flammend komponiertem, aber oft sehr ruhigem Indie-Folk die Massen 90 Minuten lang euphorisieren kann, ist bemerkenswert. Die Ansetzung darf man als mutig bezeichnen kann – es ist jedoch genau dieser Mut zur Entschlossenheit, der auf dem Derby Erfolgsgeschichte schreibt. So darf es weitergehen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Festivalbranche: Weiterhin nah am Abgrund