Mannheim. Vielleicht liegt es daran, dass es die 13. Festival-Auflage ist: Aber obwohl der Auftakt des Mannheimer Maifeld Derbys am Freitag mit ungemütlichen Witterungsbedingungen zu kämpfen hat und einige der rund 4000 Kartenkäuferinnen und -käufer spät oder gar nicht kommen, startet das Indie-Pop-Festival musikalisch stark. Und beeindruckt wie gewohnt mit enormer Stil-Vielfalt. Die schockierenden Nachrichten und Bilder vom Mannheimer Marktplatz dämpfen die Stimmung kaum. Tatsächlich tut die Atmosphäre des Maifeld Derbys gut in diesen immer wirreren Zeiten, weil hier so viel aufgeschlossene, positive Leute vor und auf der Bühne zusammentreffen.
Royel Otis und The Vaccines impfen auf der Open-Air-Bühne gegen schlechte Laune
Wem die Atmosphäre nicht gelöst genug ist, der erlebt mit den ansteckend fröhlichen Indie-Pop-Songs der australischen Band Royel Otis auf der Open-Air-Bühne einen echten Stimmungsaufheller – und nahezu eine Regenpause.
Weniger Wetterglück hatten anschließend The Vaccines – was den Zuspruch für die britischen Indie-Rocker aber nicht minderte. Vor einem roten Theatervorhang liefern Frontmann Justin Young und Co. eine durchaus mitreißende, energetische Show. Im Vergleich rocken die Londoner vielleicht etwas zu gradlinig. Trotzdem impfen auf The Vaccines erfolgreich gegen schlechte Laune.
Die Headliner Edwin Rosen und Róisín Murphy werden im Palastzelt gefeiert
Dazwischen heißt es Rosen statt Regen im Palastzelt. Der extrem angesagte Edwin Rosen zeigt ganz allein auf der Bühne, dass der Hype um ihn auf einem starken Fundament steht – nämlich Songs, die live fast hypnotisch wirken, trotz scheinbar monotoner New-Wave-Synthie-Rhythmen, lakonischem Gesang und eher düsteren Inhalten.
Der Stuttgarter wird für seine Hits wie „leichter/kälter“ und „Vertigo“, das noch unveröffentlichte „Schau dir zu“ oder die Coverversion des Wir-sind-Helden-Hits „Nur ein Wort“ bedingungslos gefeiert. Letzteres hatte er schon 2021 bei seiner Derby-Premiere als Duett mit dem Herxheimer Drangsal fulminant reduziert gespielt – woran der Vorreiter der von ihm selbst definierten Neuen Neuen Deutschen Welle in einer seiner sympathischen Ansagen erinnert.
Noch mal verbesserter Sound im Palastzelt steigert die Vorfreude auf Zeltfestival-Acts
Nicht nur sein Sound kommt im Palastzelt besser Zur Geltung als bei der damaligen Pandemie-Ausgabe des Festivals, das nur unter freiem Himmel stattfand. Eine der Ursachen: Im Palastzelt überraschen zusätzliche Bananenboxen auf Höhe des Mischpults, die den stets zumindest ordentlichen Sound zusätzlich verbessern. Das steigert auch die Vorfreude auf das Zeltfestival ab 5. Juni an gleicher Stelle mit Stars wie Giant Rooks, OG Keemo, Tom Odell, Passenger, Trettmann, Silbermond, Bruce Dickinson oder The Cardigans.
Auf Rosen folgt Róisín, Róisín Murphy. Die frühere Frontfrau des hitverwöhnten Electro-Trip-Hop Duos Moloko startet ihre Headliner-Show passend zur Witterung, aber ungewohnt in schwarzweißem Outfit. Wie immer setzt die Irin faszinierende modische Akzente. Selbst wenn sie nur Details verändert, hat Murphy als Bühnenfigur in jedem Song eine andere Anmutung – das sind nahezu chamäleonartige Wesenswechsel. Nicht nur deshalb liefert sie die bildstärkste Show des ersten Tages. Die 2023 50 gewordene Sängerin hat nach wie vor zeitlose Klasse: Ihre Performance ist stimmgewaltig, facettenreich zwischen kühlem Ausdruck und Soul-Intensität, extrem arty und im besten Sinne routiniert.
Das spiegelt sich im abwechslungsreichen Sound ihrer fünfköpfigen Live-Band, die bei Songs wie „Simulation“ eher artifiziell groovt und ab „Coocool“ immer organischer klingt. Der extrem strahlkräftige Moloko-Klassiker „The Time Is Now“ gerät so zu einem der großen Glanzlichter des ersten Derby-Tages.
Sextile und Zahn setzen absolute Highlights auf den neuen kleinen Bühnen
Die Neuerungen von Timo Kumpf bewähren sich auf Anhieb, vor allem die neue Arena: Das ist eine kleinere, kompakte Open-Air-Bühne gegenüber dem Parcours d’Amour, also der Tribüne des Reitstadions. Hier kann das Publikum dichtgedrängt mit Freiluft-Club-Feeling drei Acts verfolgen - und mit Sextile um die beeindruckende Sängerin Brady Keehn einen der absoluten Höhepunkte des ersten Tages. Das US-Electropunk-Trio aus Los Angeles kann im Extrem die atemberaubende Intensität von Rage Against The Machine mit tanzbaren, urbanen Sounds von fast britischer Prägung verbinden. Zuvor hat der experimentelle, fast krautrockige Noise-Sound des Berliner Trios Zahn die Synapsen gesprengt.
Ebenfalls ein Erfolg: Der einfach, aber liebevoll gestaltete kleine Clubraum am Platz des früheren Brückenaward-Zelts neben der großen Open-Air-Bühne. Dort gab es traditionell Raum für heftigere Rock- oder Punk-Sounds. Jetzt ist er elektronisch und clubbig ausgerichtet, mit eindrücklichen Visuals. Ein Konzept, das sehr gut ankommt, aber künftig wohl etwas mehr Platz benötigt: Bei Persian Empire oder Anahit Vardanyan gab es schon einen Einlassstopp. DJ Schinkensuppe entließ sein Publikum dann um 3 Uhr in die Nacht.
So geht es weiter: Elektronisch geprägte Headliner am Samstag, auch für den stark besetzten Sonntag gibt es noch Karten
Am Samstagabend werden nach dem furios rockigen Start mit den Mannheimer Wanda-Adepten Yara vor allem elektronisch geprägte Auftritte wie von Hania Rani, Kiasmos, Roosevelt oder Modeselektor erwartet. Der Sonntag läuft zwar „nur“ von 13 bis 22 Uhr, ist aber vollgepackt mit Qualität: Auf dem Programm stehen noch 18 Acts, allen voran Headliner Slowdive (ab 20.40 Uhr), Altin Gün (19.35 Uhr), Grace Cummings (19.40 Uhr), Chelsea Wolfe (18.35 Uhr) oder Dry Cleaning (17.40 Uhr).
An der Tageskasse kosten die Einlassbändchen 85 Euro für den Samstag und 80 Euro für den Sonntag.
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