Zweiter Haupttag

Beim Maifeld Derby geht es nicht nur heiß her, sondern auch hart

Von 
Jörg-Peter Klotz , Markus Mertens und Alexander Müller
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Tänzerisch, stark, eindrucksvoll: Sampa The Great bei ihrem Mannheimer Auftritt. © Markus Mertens

Mannheim. Der Freitag stand beim 11. Maifeld Derby auf dem Mannheimer Maimarktgelände im Zeichen sonniger, entspannter oder tanzbarer Töne von Easy Life, Caribou, Arlo Parks, Bonobo oder MYD.  Zumindest auf den großen Bühnen. Am Samstag wird auch dort die Gangart des bundesweit renommierten Indie-Pop-Festivals härter, phasenweise auch politischer. Das spiegelt sich im Blick auf das Publikum, das sich noch etwas diverser darstellt als gewohnt. Was natürlich ein weiterer Pluspunkt im ohnehin mit viel Liebe zum Detail ausgeschmückten Festival-Ambiente ist. Das lohnt sich: Veranstalter Timo Kumpf berichtet auf Nachfrage, dass am Samstag mehr als 4500 Menschen zwischen den 25 Shows auf vier Bühnen mäandern. An den beiden anderen Tagen sind es 4000. Ein Erfolg. Bei wesentlich mehr als 5000 Besucherinnen pro Tag wird es erfahrungsgemäß irgendwann eng auf dem begrenzten Gelände.

Hauptattraktion am Samstag sind  King Gizzard & The Lizard Wizard. Wie der Name es andeutet: Das australische Sextett ist so eine Art Grateful Dead für das 21. Jahrhundert. Mit leicht freakiger Hippe-Attitüde, Spaß an ausgedehnten Jams und psychedelischer Bühnenshow. „Head On Pill“, die erste Nummer ihrer 90-minütigen Headliner-Show im Palastzelt dauert gefühlt 20 Minuten und tippt vier weitere Songs kurz an. Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen kann bei dieser virtuosen Band musikalisch so ziemlich alles passieren. Getragen vom furiosen Schlagzeuger Michael Cavanagh, erlebt man in der zweiten Hälfte ihres Auftritts einen wilden Ritt durch die Rockgeschichte.

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Die Ausschläge gehen Richtung Punk und Hardcore, man hört ein langes Drum-Solo wie in den 1980ern, ein düsteres Black-Sabbath-Riff trägt einen munteren Popsong, dann erklingt eine Jon-Lord-Gedächtnisorgel vom Keyboard – es wird wunderbar wild gerockt, manchmal mit indischen oder australischen Klängen, dann wieder mit Anflügen von Jazz oder Funk. Wenn der sehr effektvolle Sänger Stu Mackenzie nicht manchmal wie eine leicht quäkige Ausgabe von Placebo-Frontmann Brian Molko klänge, wäre diese Band vermutlich noch viel größer.   Wer die Melbourner verfolgt, weiß, dass keine Setlist der anderen gleicht. Auch das erinnert an The Grateful Dead. Aber bis jetzt haben King Gizzard & The Lizard Wizard „erst“ 24 Alben in zwölf Jahren veröffentlicht. Da ist es noch ein weiter Weg bis zu den rund 200 von Jerry Garcia und Co.

Afrikanisches Selbstbewusstsein

Den vielleicht politischsten Auftritt hat zuvor die teilweise in Australien lebende Sambierin Sampa The Great abgeliefert. Die körperlich eher kleine Rapperin und Sängerin agiert live wesentlich härter als auf ihrem von Ethno-Jazz geprägten Erfolgsalbum „The Return“. Nach einem Intro ihrer fünfköpfigen Band, auf das alles von Progrock bis Fusion Jazz hätte folgen können, pumpt sie rauen, tiefen Raggamuffin-Rap ins Palastzelt – so macht ihr millionenfach gestreamter Hit „Energy“ seinem Titel alle Ehre. Bei „Freedom“ fliegen auf ihr Kommando schon fast alle Hände durch die Luft. Nach „Leading Us Home“ macht sie ihrem jubelnden Publikum klar, auf welcher Mission sie ist: „Wir kommen den ganzen Weg aus Sambia. Das ist mir wichtig: Wir sind erste sambische Band die beim Coachella gespielt hat, im Sydney Opera House und jetzt auf dem Maifeld Derby!“, ruft sie. Dementsprechend vermitteln ihre kämpferischen Texte feministisches und postkoloniales Selbstbewusstsein, was sie zu den spannendsten Songwriterinnen dieser Zeit zählen lässt.

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In Songs wie „Never Forget“ drückt sie auch Verbundenheit und Heimatgefühle aus. „Man darf nicht vergessen,  woher Du kommst und welche Türen Du geöffnet hast“, sagt sie und skandiert unter tosendem Jubel: „Wir mögen die erste sambische Band sein, aber nicht die letzte!“ Musikalisch ist auch ihr Stil sehr divers, mit vielen karibisch-afrikanischen Elementen („Mwana“), Soul dominiert neben Hip-Hop – alles im Dienst des afrikanischen Selbstbewusstseins wie „Black Girl Magic“, das Sampa Tembo für ihre kleine Schwester geschrieben hat.

Zuvor beginnt auch der zweite volle Tag beim Maifeld Derby wie ein heißer Tag am Strand zwischen Lethargie und Aufbruchsstimmung. Denn während die einen im Schatten ausharren, bis die brennende Sommersonne ein klein wenig von ihrer Kraft eingebüßt hat, tanzt sich der Rest mit Beach Towel schon einmal in den Nachmittag hinein. Der Surf-Pop des Quartetts gehört beim Maifeld Derby quasi schon zum Inventar und ist im Verlauf der Jahre dennoch nie beliebig geworden.
Die gute Stimmung hält sich - und wird schon früh im Palastzelt auf die Spitze getrieben. Wem es etwa draußen schon zu warm war, der muss sein T-Shirt nach den 40 brütend heißen Minuten Auf-die-Mütze-Rock von Schroff wohl oder übel einmal an der Frischwasserstation mit der Hand auswringen. Doch der Kult hat seine Gründe - und liegt nicht allein an den deutschen Texten, die weitgehend ins Tiefschwarze treffen, sondern auch an den melodisch vor allem gitarristisch dramatisch verbesserten Sounds, die mit wild geschwenkten Fahnen und schier epischem Jubel bedacht werden. Zu dieser Uhrzeit herrscht sonst selten Headliner-Stimmung. Ein für die Band ohne Zweifel prägender Auftritt!

Doch wie zumeist sind es die Kontraste, die im Verlauf des Tages imponieren - und ihre Spuren auf den Pfaden ihrer Fans hinterlassen. Auf der Bühne des Parcours d'Amour etwa macht die junge Britin Kathleen Francis im Reitstadion mit ihrer fragil-flirrenden Stimme auf sich aufmerksam, die Schweizerin Emilie Zoé zeigt, wie gediegen elektrisch angehauchter Grunge durchaus auch klingen kann. Während Lokalmatador David Julian Kirchner mit seinem sperrigen Sprachpop immerhin ein halbes Hüttenzelt vollmacht, sind tatsächlich jedoch viele mit ihren Sinnen bereits bei Rikas im Open-Air-Bereich. Zum ersten Mal in diesen zwei Tagen wird es so funky, wie sonst selten auf dem Maifeld Derby. Denn die gute Laune-Rocker aus Stuttgart haben nicht nur einen Stil wie der frühe Pete Doherty, sondern auch jede Menge melodischen Enthusiasmus im Gepäck, der tanzbar, feierbar - und kurz - einfach wunderbar daherkommt.

Bilderbuch bombastisch

Inhaltlich kommt hier eigentlich nur noch das atmosphärisch durchaus bombastische Set von Bilderbuch über den Tagessieg von Rikas hinüber. Denn die Österreicher um Maurice Ernst haben zwischen Sound Of The Forest und dem Maifeld Derby nicht nur zahllose Male bewiesen, weshalb sie als Headliner taugen - auch an diesem Abend wird offenbar, wie verdient diese 70  Minuten tatsächlich sind. Mit einem knallgrünen Hintergrund, schriller Klamotte im 80er Jahre-Stil und Matrix-artiger Tanzakrobatik zu Klassikern wie "Spliff" spannt sich ein Netz, in dem nach und nach alle Zuhörer hängen bleiben - und eine fast schon diebische Freude dabei verspüren, von der Musik erobert zu werden.

Für etwas Entspannung kann da so kurz vor Mitternacht eigentlich nur die Lesung von Johannes Elster sorgen, der literarisch in eine Männersaune samt entsprechender Stöhngeräusche alter Männer entführt. Auf der Tribünen-Bühne im Reitstadion verblüfft auch Jonathan Bree. Nicht nur dass die Stimme des Neuseeländers frappierend (und kompetent) an den Mannheimer Get-Well-Soon-Kopf Konstantin Gropper erinnert. Bei seinen Tänzerinnen weiß man die ganze Zeit nicht, wie ernst ihr immenser Einsatz eigentlich gemeint ist. Auch mal schön. 

In keine der gängigen Schubladen einsortieren lassen sich die Londoner Rock-Innovatoren Black Midi. Ihr einstündiger Parforceritt durch die Genres, irgendwo zwischen Indie, Post-Punk, Math-Rock und sogar Jazz, lässt aber etliche offene Münder zurück. Das liegt auch an dem unglaublichen Morgan Simpson, der sich zum ungekrönten König der Schlagzeuger auf dem Maifeld 2022 krönt. In den drängenderen Momenten weckt das wohlige Erinnerungen an die Freigeister von And You Will Know Us By The Trail Of Dead, auch vermeintlich ruhigere Nummern wie „Marlene Dietrich“ haben immer Biss und unvorhergesehene Wendungen zu bieten. Auch die Derby-Wiederholungstäter Odd Couple knüpfen an die großartigen Rock-Breitseiten an, die schon am Freitag im Club-Zelt von Kracher-Bands wie Lightning Bolt abgerissen wurden.

Deutlich direkter geht es kurz vor Mitternacht im Hüttenzelt zu, wo das britisch-österreichische Kollektiv Petrol Girls seinen explosiven Post-Hardcore auftischt. Sängerin  Ren Aldridge berichtet davon, dass ihr Auftritt auf der Kippe gestanden habe, weil der Band-Sound „zu laut“ für die Maifeld-Produktion sei. Gut, dass es letztlich doch geklappt hat: Sonst wäre Mannheim der textlich und musikalisch kompromisslose feministische Punkrock entgangen.
In Deutschpunk-Kreisen hoch gehandelt werden die Newcomer Team Scheiße, die nicht nur durch ihren Namen zuletzt viel Aufmerksamkeit in Szenekreisen generiert haben. Ihre Debütplatte „Ich habe dir Blumen von der Tanke mitgebracht (jetzt wird geküsst)“ trägt den Hype live aber nur bedingt. Das hat man anderswo schon besser und zwingender gehört.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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Redaktion Fußball-Reporter: Nationalmannschaft, SV Waldhof, Eintracht Frankfurt, DFB

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