Ludwigshafen. Wie politisch ist ein Straßenrap-Album, von jungen Männern, die eigentlich schon mit der deutschen Politik abgeschlossen haben? Haragá von HoodBlaq beantwortet diese Frage indirekt - man muss nur gut zuhören.
Das fängt an mit dem Titel an. „Harragas“ stammt aus dem Arabischen und bezeichnet wörtlich "diejenigen, die (ihre Einwanderungspapiere) verbrennen". Es ist eine von vielen Vokabeln, die Zuhörende, die nicht aus der Zielgruppe stammen, zu lernen haben. Das dritte Studioalbum drängt dennoch mehr als seine Vorgänger in Richtung (Streaming-)Charts.
HoodBlaq sind sechs maskierte Jungs, von denen nur die Vornamen bekannt sind: Mali, Veysel, Safraoui, Moussa, Alim und Jamal. Sie kommen aus Ludwigshafen, genauer aus dem Hemshof. Zuletzt war der stark migrantisch geprägte Stadtteil in den Schlagzeilen, weil 40 Gründschülerinnen und Grundschüler die erste Klasse wiederholen müssen. Die Herkunftsfamilien von HoodBlaq stammen laut Plattenfirma aus Marokko, Togo, Kamerun, Somalia oder Jamaika. In Erscheinung traten zunächst sie mit durchnummerierten Snippets auf Instagram - angefangen bei #1. Direkt ein Banger.
Der Drillsound, den sie zu dieser Zeit knallhart abfeiern, war in dieser Authentizität in Deutschland bislang nicht zu hören. Es folgte noch vor einem offiziellen Album der Plattendeal bei Sony, ein Feature mit RAF Camora und eine Menge netter Schlagzeilen über Drogenrazzien und Polizeieinsätze.
Promo mithilfe der Polizei
Da war etwa die Single Barrio (die Hood, also die Nachbarschaft). Video, Hausdurchsuchung, ein Schlagabtausch in den Kommentarspalten auf Instagram mit dem rheinland-pfälzischen Polizeiaccount - wie perfekt kann eine Promo laufen? Produziert werden die Songs von Shokii. Dessen Gesicht ist üblicherweise nicht hinter Sturmhauben oder einem Gucci-Bandana versteckt. Die Ästhetik ist klar: Aggressiv erzählte Szenen zwischen Drogendeals und Messerstechereien, dazu roh produzierte Clips mit einer Horde junger Männer, die mit Macheten herumfuchteln und vor Hochhäusern posen. Eine Welt, in der Geld zwar viel zählt, aber Trainingsklamotten von Olympique Marseille denselben Wert haben wie Louis Vuitton.
Die Texte sind geprägt von Elementen anderer Sprachen. Türkisch, Französisch, Spanisch, Arabisch. Wer die Lyrics verstehen will, kommt mit bloßem Zuhören nicht weit. Zu gedehnt die Vokale, zu gestaucht die Reime. Zu fremd die Wörter, der Klang, die Codes. Wer Rap verstehen will, dem hilft kein Wörterbuch - das ist nichts Neues. Wer etwa Rapper rund um Asap Rocky nachvollziehen will, braucht zumindest ein grundlegendes Verständnis von Rauschzuständen. Wer Kendrick Lamar verstehen will, schon ein halbes Kulturwissenschaftsstudium. Ja, die Jugend will eigentlich nicht verstanden werden. Im Fall von HoodBlaq hat diese Jugend aber auch kapiert, dass ihr Recht verstanden zu werden, mit ihrer Geburt schon verwirkt wurde. Falsche Herkunft, falsches Viertel, falsche Zukunft.
Daraus entsteht ein Sound, der gar nicht dafür gemacht ist, den Kulturredakteurinnen zu gefallen. Anders als der liebevoll vom Feuilleton getaufte „Ghetto-Goethe“ Haftbefehl werden hier keine bildreichen Kurzgeschichten verkauft. HoodBlaq erneuern nicht, sie reißen einfach ein.
Endstation 063 Hemshof
Ein Feature mit Kurdo, dem Rapper aus dem Emmertsgrund, schlägt nicht nur regionale Brücken. Alles ist gut ausproduziert, es fehlt aber der frühere Drillsound. Stattdessen gibt es Autotune. Bösartig könnte man bei „Kriminal“ meinen, es klingt, als hätten Apache und Haftbefehl eine gemeinsame Nummer gemacht. Das Album endet nicht mit einem Feuerwerk, aber dennoch mit einem Knall. Das melancholische „I Have A Dream“ mit entsprechendem Martin-Luther-King-Sample kommt inhaltlich nachdenklich auf einem schleppenden Beat daher: soziale Ungerechtigkeit, Drogen, Geschäfte, Endstation 063 Hemshof.
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