Neues Album

Was Haftbefehls "Mainpark Baby" mit Mannheim zu tun hat

Im Sommer noch musste Haftbefehl im Hafen von der Bühne gebracht werden, dann machte er notgedrungen Pause. Nun erscheint am Freitag sein neues Album "Mainpark Baby". Mit langer Feature-Liste - dabei ist auch OG Keemo

Von 
Anna Suckow
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Offenbach ist überall: Haftbefehl klingt auf seinem neuen Album "Mainpark Baby" nicht so brilliant wie sonst - aber immer noch gut © Tarek Mawad

Offenbach. In seinen letzten großen Schlagzeilen war Haftbefehl untrennbar mit der Ortsangabe Mannheim verbunden. Was war passiert? Der Offenbacher Rapper, Spracherneuerer, Feuilleton-Liebling und Proll musste bei seinem Auftritt im Hafen von der Bühne getragen werden. Tiefpunkt eines Überlebensgroßen. Das Ende einer Kette von öffentlich belächelten Totalausfällen (wir erinnern uns an schwammige Konzerte, selbst zugefügte Schussverletzungen). Dann alles auf Reset. Baba Haft zog sich zurück, pries auf Instagram weiter seine Produkte an. Tiefkühlpizza, Eistee, Tabak mit Fruchtgeschmack. Lebensrealität der Kids aber wenig ehrreich. Zwischendrin gab es Familienbilder unter Palmen. Papa gehts gut, macht euch keine Sorgen. 

Nun erscheint am Freitag sein erstes Album seit dem Breakdown. Auf Mainpark Baby sehen wir Aykut Anhan mit seinem Sohn, Blut ist dicker als Wasser. Begleitet wurde die Ankündigung mit fünf fragmentarischen Kurzfilmen, die visuell und musikalisch die Höhepunkte des ganzen Werkes bilden.

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Wer das Album ab dem ersten Song hört, wird überrascht

Hören wird zur Reise nach Offenbach. Mathildenviertel, Hochhauskomplex Mainpark. Vom 13. Stockwerk aus sehen wir auf Gastarbeiter und ihre Kinder, die nun keine Gäste mehr sind. Sehen drahtige Jungs, blutige Nasen. Drogen, Gewalt, Beton und Gitter. Wer das Album ab dem ersten Song hört, wird überrascht. Statt messerscharfen Beats und cineastischen Gewalt-Lyrics haut ein leiser Track in die Magengrube. Paula Hartmanns (Erfüllung aller Popträume der ausgelaugten Generation Z) melancholische Stimme nimmt uns in „Geruch von Koks“ für drei Minuten und 35 Sekunden mit zum Abgrund und wir schauen ein bisschen hinab. 

Die erste Hälfte des Albums erzählt von Armut und Kriminalität, Migration und Unschuld. Von weinenden Müttern aus Sorge um ihre gottlosen Kinder. „Die braune Tasche“ wird zum Synonym für die Flucht einer kurdischen Familie. Zwischen den Zeilen war Haft schon immer politisch. „Für 100.000 würdest Du Deine Mutter von der Brücke schubsen und keiner würde staunen, Kanacke.“ Vom Mainpark geht es nach Mainz-Lerchenberg, nach Mannheim-Waldhof. Die Hochhaussiedlung als Brennglas sozialer Ungerechtigkeit.

Vor genau drei Jahren hat Teilzeit-Mannheimer OG Keemo mit seinem „Geist“ der Siedlung ein Denkmal gesetzt. Mainpark Baby steht dagegen auf wackeligen Beinen, auch wenn es Hilfe von Keemo selbst bekommt. „Kein Respekt“ ist für beide Rapper kein Meilenstein aber ein solider Track, der auf drückenden Beats und schneidigen Hi-Hats seinen Sog entfaltet. Haftbefehls langjähriger Partner Bazzazian unterlegt die Storys mit einem perfekt ausproduzierten Sound. Überall ein unruhiges Flimmern, hier rauscht eine Sirene, dort rattert ein Pistolenlauf.

Jetzt weinen auch keine Mütter mehr

Dabei bleibt Mainpark Baby trotz fetter Feature-Liste erstaunlich resistent gegen Trends wie Trap, Grime oder Drill. „Dann mit der Pumpgun“ mit Azad und Kool Savas hätte gut vor zehn Jahren erscheinen können. 

Jedoch - der Meister selbst wird sich selbst nicht gerecht. Ergeht sich in Stereotypen. Mütter weinen nicht mehr, sie werden gefickt. Niemand erwartet ein wokes Album von Anhan, aber sein Zündeln mit antisemitischen Klischees ist nur ein überflüssiges Detail. Haftbefehl bellt und rasselt, aber der Atem stockt teilweise; manche Reime scheinen ihm selbst peinlich zu sein (Vibe und Weib).

Trotzdem werden die gutbürgerlichen Hörerinnen und Hörer mit ihrer Sehnsucht nach Dealer-Romantik nicht enttäuscht. Straßen-Storytelling beherrscht er immer noch wie kein Zweiter. Zum Ende hin fließt der Flow, bevor er sich im titelgebenden Track vielsagend verabschiedet - „das ist mein letzter Track.“ Als Legende will er verrecken, sagt er - aber erst mal für seine Kinder da sein. Goodbye Mainpark, Baby!

Redaktion

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