Neues Album

Das neue Kendrick Lamar Album "Mr. Morale & The Big Steppers": Alles für die Familie

Von 
Anna Suckow
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Kampf den Dämonen: Das Cover des Albums «Mr. Morale & The Big Steppers» von Kendrick Lamar zeigt ihn mit (s)einer Kernfamilie. Das neue Album des US-Rappers erschien am 13.05.2022 bei Universal. © Universal Music


Es gibt im populärmusikalischen Universum wahrscheinlich kein Album, dass mehr herbeigesehnt wurde als das neue Werk von Kendrick Lamar. Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Eine lange Zeit, in der die Stimme einer ganzen Generation schwieg. Eine Zeit, in der die Welt nicht zu einer besseren wurde.
Und es gibt wohl auch keine Platte, an die höhere Anforderungen geknüpft sind. Mit seinem letzten Werk "Damn." wurde Lamar zum Pulitzer-Preisträger, gewann fünf Grammy-Auszeichnungen. Jedes Album ein Meilenstein des Raps - wie schwer ist diese Last zu tragen?
In der Nacht auf Freitag wurde das Schweigen gebrochen. "Mr. Morale & The Big Steppers" erschien am 13. Mai in digitaler Form. Als Doppelalbum mit 18 Tracks. 
Das Album-Cover allein ist allegorisch und ergreifend zugleich. Es zeigt den 34-Jährigen mit dem Rücken zu den Betrachtenden stehend, eine Handfeuerwaffe im Bund, ein Dreijähriges auf dem Arm. Das einzig funkelnde sind die Steine seiner Dornenkrone. Im Hintergrund stillt eine Frau ein Baby. Aller Wahrscheinlichkeit nach zeigt das Bild Lamars Familie - die Sozialen Netzwerke drehen ob dieser Offenheit des ansonsten sein Privatleben sehr schützenden Musikers entsprechend durch.

1855 Tage Stress

Das neue Werk, es ist nicht sein zugänglichstes. „United in Grief“ eröffnet direkt mit der vollen Bandbreite an völlig unerwarteten Wendungen. Harte Percussions, die in ein zartes Piano übergehen, während der Rapper seinen Text über jegliche Rhythmen fließen lässt, als gelten Syntaxregeln nicht für seine Sätze. Dazu erklärt er, dass er die letzten 1855 Tage viel erlebt hat - die Zeit seit der Veröffentlichung seines Vorgängerwerks "Damn.". 
„Worlwide Steppers“ ist mit seiner Spoken Word-Anmutung schlicht ergreifend.

Der Vater, der Sohn und der unheilige Geist

Das Album beim ersten Hören zu begreifen ist schlichtweg unmöglich. Doch was sofort klar wird: Lamar setzt sich mit seinen Dämonen auseinander. Und tut das für seine Familie. Bei „Father Time“ reflektiert der Erzähler über das Vatersein, toxische Männlichkeit oder "Daddy Issues", während sich die Stimme des britischen Sängers Sampha perfekt an den Refrain schmiegt. 

Überhaupt spart dieses Album für Kendrick-Verhätlnisse nicht an Gastauftritten. Waren es bei dem Vorgänger noch Null, bereichern hier unter anderem Ghostface Killa, Baby Keem, Kodak Black oder Taylour Paige mit ihren wohlgesetzten Parts die Lieder. Letztere edelt den an Schimpfwörterdichte schwer zu überbietenden Song "We Cry Together" zu einem Hörspiel über eine toxische Beziehung - inklusive Sample eines "Florence & The Machine"-Songs. Das ist phasenweise so rauh, dass man fast weghören möchte, jedoch tief in den Bann dieses sich zerfleischenden Paares gesogen wird. Nach zwei Jahren Pandemie und Isolation fühlen sich manche Kommentatoren auf Youtube regelrecht abgeholt. 

Sicher, nicht jeder der Stücke ist ein Meilenstein, doch wahre Flauten lässt King Kenny nicht zu. Er beweist auch hier, warum er als Meister des modernene Storytellings gilt.

Und dann ist da "Auntie Diaries", in dem sich Lamar mit seinem eigenen, früher kommunizierten Hass auf Transmenschen auseinandersetzt. Der Poet der Stunde setzt ein Zeichen für Toleranz. Und den ersten wirklich großen Pro-Trans-Track eines amerikanischen Rappers.


Der Fluch einer Generation

Das Album ist es zwar, doch die textliche Therapie ist noch lange nicht am Ende. 

Denn wie dem Vater, so wird auch der Mutter ein Track gewimdet. "Mother I Sober" ist das  eindringlichste Stücke. Über ein stetes Pochen und einzelne Klavierakkorde erzählt Kendrick Lamar von Kindheitstraumata, von Missbrauch und Missbrauchsverdacht in seiner Familie. Spätestens der warme wie düstere Gesang von Beth Gibbons (Portishead) gibt Zuhörenden den Rest. Diese knapp sieben Minuten sind nicht leicht aber absolut hörenswert. Der Track endet mit einer Frauenstimme, die einem kleinen Kind sagt: "Du hast es geschafft, ich bin stolz auf dich. Du hast den Fluch einer Generation gebrochen", bevor derselbe Chor, mit dem das Album begann, den Schlusspunkt setzt.

Redaktion

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