Hirschberger Liedfest - Rauschender Erfolg für Mörike-Abend von Thomas Quasthoff, Nikola Hillebrand und Alexander Fleischer

Thomas Quasthoff begeistert Publikum beim Hirschberger Liedfest

Von 
Stefan M. Dettlinger
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Trio für den Erfolg: Nikola Hillebrand mit Thomas Quasthoff und Alexander Fleischer in der Synagoge. © Manfred Rinderspacher

Am Ende bleibt der Weltstar allein zurück. Er setzt sich noch mal auf den Stuhl, und ganz plötzlich richtet er das Wort ans Auditorium in der kleinen ehemaligen Synagoge, die mit rund 150 Gästen fast überbesetzt ist. Natürlich macht Thomas Quasthoff, der Kammersänger und Meister des Kunstlieds, der durch den Tod seines Bruders 2010 seine Stimme verlor und seitdem kein Kunstlied mehr öffentlich singt, Werbung fürs Hirschberger Liedfest. Er bekomme sehr viele Anfragen für Schirmherrschaften, sagt er, und nicht alle nehme er an. Er spricht von einer Stiftung für die Opfer des Reaktorunfalls in Tschernobyl, die er unterstützt, was gerade heute sehr wichtig sei. Und über Hirschberg. Natürlich. Denn als Alexander Fleischer, sein Pianisten-Assistent in der Berliner Liedklasse, ihn fürs Liedfest an der Bergstraße angefragt habe, habe er „nicht lange überlegen müssen“.

Quasthoff redet übers immer wieder totgesagte Kunstlied und zeigt sich zuversichtlich: Wenn er sich das so ansehe, hier in der ehemaligen Synagoge, dann brauche er sich wohl keine Sorgen um die Gattung machen. Denn sie lebt.

Das Hirschberger Liedfest

  • Das Hirschberger Liedfest wurde von Pianist Alexander Fleischer gegründet und findet zum sechsten Mal in der Alten Synagoge in Hirschberg (Bergstraße) statt (hirschberger-liedfest.de). Fleischer sitzt an allen drei Abenden am Klavier Er ist auch Assistent in der Gesangsklasse von Thomas Quasthoff an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin.
  • Das Hirschberger Liedfest, dessen Schirmherr Quasthoff ist, findet seit 2017 in der ehemaligen Synagoge in Hirschberg-Leutershausen statt. Das Gebäude in der Hauptstraße 27 wurde 1867/68 errichtet und ab 2000 restauriert. Es steht seit 1972 unter Denkmalschutz. In der Pogromnacht wurde es nicht zerstört, weil die politische Gemeinde es vorher gekauft hatte.

Und begeistert. Als letzten Dank für den rauschenden Applaus für einen dynamischen, abwechslungsreichen und emotionalen Mörike-Abend kommt noch Schubert. Kein Kunstlied. Natürlich nicht. Sondern ein Melodram, also Musik mit rezitiertem Text. Adolf von Pratobevera ist der Dichter, selbst Quasthoff kennt ihn kaum, wie er bekennt. Es geht, über friedlich vor sich hin präludierenden Akkordbrechungen, ums Sterben in Ruhe und Glückseligkeit, und es ist schon erstaunlich, wie dieser „Abschied von der Erde“ sich zu einem kleinen Kunstwerk formiert. Nach und nach gewöhnt man sich an das Format, das dann auch schnell am Ende ist. Die Verschiebung des Akzents von der Musik zur Sprache macht durchaus Lust auf mehr.

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Worte wie rhythmische Blitze

Dabei ist bis hierhin ja auch schon viel Gesprochenes dabei, heißt: Quasthoff rezitiert zwischen den von Nikola Hillebrand gesungenen Liedern von Hugo Wolff, Othmar Schoeck und Wilhelm Killmayer immer wieder Texte des schwäbischen Dichters Eduard Mörike, dem dieser Abend mit dem Motto „Feuerreiter“ gewidmet ist, wobei - leider - nicht das Lied von Hugo Wolf erklingt, sondern „nur“ das wohl berühmteste Mörike-Gedicht. Quasthoff rezitiert es höchst expressiv und fern jeder Biedermeierlichkeit. Seine „hinter’m Berg, hinter’m Berg“ schießen wie rhythmische Blitze durch den ehemaligen Gebetsraum, den der immer noch mächtige Bassbariton mühelos füllt, mal diabolisch, mal magisch, mal psychologisierend.

Wie ausdrucksstark Quasthoff spricht, fast ein wenig den hehren Brustton großer Schauspielkunst längst vergangener Tage annehmend, merkt man allein daran, dass sein Vortrag mühelos neben den Liedern bestehen kann, die Hillebrand, Preisträgerin des von Quasthoff initiierten Wettbewerbs „Das Lied“, exzellent interpretiert. Hillebrands Sopran hat sich trotz ihres langjährigen Opernengagements am Nationaltheater Mannheim und aktuell der Dresdner Semperoper große Wandlungsfähigkeit bewahrt. So ist sie zu Charakterisierungen in der Lage, die gerade bei Sopranstimmen selten sind - etwa im anfangs chromatisch dahin wehenden „Lied vom Winde“, das Fleischer am Klavier geradezu plastisch stürmen lässt. Hillebrand hat den Nachdruck für die Dramatik, sie hat das anpassungsfähige Timbre und auch die Möglichkeit, sich in sachliche Regionen zurückzuziehen, indem sie etwa einen Vers wie „Die wissen es nie“ ins Vibratolos-Fahle zurücknimmt, um dadurch einen emotionalen Kontrapunkt zur bisweilen fast giftig-keifend wirkenden Gefühlsausschüttung zu setzen. Das ist nicht weniger als großartig.

Die Zusammensetzung des Abends mit lautmalerischer Naturlyrik („Er ist’s“, Hillebrand), fast magischem Realismus („Vom Sieben-Nixen-Chor“, Quasthoff) bis hin zur etwas biedermeierlichen Gediegenheit („Die Storchenbotschaft“, die Hillebrand mit einem unfassbar strahlenden „b’“ abschließt) zünden in der Synagoge bestens. Das überwiegend bürgerliche Publikum ist mit Ahs, Ohs und gelegentlichem Raunen voll bei der Sache. Ein Riesenerfolg.

Suche nach weiterer Unterstützung

Alle drei Konzerte des Liedfests sind ja auch ausverkauft. Dennoch, so Fleischer und Quasthoff einstimmig, brauche man für die Hirschberger-Liedfest-Qualität mehr Geld und Unterstützer. Ein Mittel wäre da natürlich, vor mehr Menschen zu spielen. Doch die intime Atmosphäre der Synagoge ist im Grunde unersetzlich, eine Vergrößerung kaum denkbar. Ist das einmal mehr wieder der Beweis dafür, dass man im Leben nicht alles haben kann: Qualität, Intimität und Bezahlbarkeit?

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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