In ornamentierter Schreibschrift steht die Botschaft auf einem hölzernen Zaun geschrieben: „Hinter dieser Tür verbirgt sich das Wichtigste, was wir haben.“ Wer die Fensterläden der selbstgebauten Konstruktion öffnet, blickt auf einen Spiegel, sieht sich selbst und: muss staunen. Viel mehr Wertschätzung als mit Gesten dieser Art kann man seinen Besuchern wohl kaum entgegenbringen. Und auch, wenn es nach einer scheinbaren Petitesse anmutet, erzählen Würdigungen wie diese, weshalb dieses Festival in Beerfelden genau jenen Kultfaktor genießt, den 5000 Gäste ein ganzes Wochenende lang zelebrierten.
Doch zuvor lohnt noch einmal ein Blick zurück. Denn es waren drei lange Jahre, die Produzent Jo Megow und die Seinen die selbsternannten Forest-People auf glühenden Kohlen sitzen lassen mussten. 2019 aufgrund von akuter Waldbrandgefahr untersagt und in den beiden Folgejahren der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen, baute sich bei den Liebhabern authentischer Festivalkultur im Rhein-Neckar-Delta eine Sehnsucht und Wiedersehensfreude auf, die selbst der voluminöse Stausee kaum zurückhalten kann. Der festivalerfahrene Pascal Häge aus Karlsruhe bringt es im Gespräch präzise auf den Punkt, wenn er sagt: „Dieses Festival hier ist eine Perle. Wenn du hier ankommst, fühlst du dich sofort zu Hause - einfach beispiellos.“
- Die 11. Ausgabe von Sound of the Forest war die erste nach drei Jahren Veranstaltungspause.
- 2019 war das Traditionsfestival am Marbach-Stausee im Odenwald wegen Waldbrandgefahr untersagt worden, in den beiden Folgejahren musste es coronabedingt entfallen.
- An insgesamt vier Veranstaltungstagen feierten 5000 Menschen im Wald auf drei Bühnen zu Headlinern wie den Giant Rooks, Faber und Bukahara, aber auch Szene-Newcomern.
- Sound of the Forest hatte mit insgesamt 150 Helfern in diesem Jahr einen Schwund von 50 Produzent zu den Vorjahren zu verkraften und sucht für die Folgejahre dringend nach weiteren Crew-Mitgliedern.
- Beim Festival von gibt es eine Markt- und Essensmeile, Yoga- und Kleinkunst-Workshops, sowie Massage- und Tätowierungsangebote.
Es sind Worte, denen man selbst bei kritischer Betrachtung nur zustimmen kann. Denn wer Sound of the Forest einmal erfahren hat, weiß, dass es hier um weit mehr geht, als die Musik allein. Tief im Wald formt sich seit mehr als zehn Jahren eine Melange aus Kleinkunst und Workshops, nachhaltiger Marktmeile und Badeerlebnis zu einem kollektiven Glück, das die Musik mit großer Ausgelassenheit und Selbstverständlichkeit trägt. Wer hier vor den Bühnen tanzt, vergisst sich im besten Sinne des Begriffes selbst. Da mochten Personalknappheiten auch bei den ehrenamtlichen Festivalhelfern voll zu Buche schlagen: 150 Ehrenamtliche lassen es hier an einem Bilderbaum mit Erinnerungsfotos ebenso wenig fehlen wie an einer selbst gezimmerten Windmühle oder dem wilden Hirschen, der wie immer thronend über alles wacht. Visuell ist das überragend, atmosphärisch einfach ein Genuss.
Saitün und Rote Mütze Raphi
Doch glücklicherweise wachen die Organisatoren auch darüber, dass das Festival seiner Philosophie als zentralem Entdeckungsort unerhörter Künstler weiterhin gerecht bleibt. Mutige Buchungen wie die von Bruckner, Saitün oder Rote Mütze Raphi, die zwischen schroffem Singer-Songwriter-Folk und elektronischen Gefilden zwischen intimer Seebühne und der Dunkelheit des Unterholz-Zelts von sich reden machen, sind dafür ein Beispiel - in ihrem Selbstverständnis fast schon überragende Sets wie die des Indie-Grunge-Duos Lostboi Lino oder der lyrischen Deutschpop-Macht Paula Hartmann markieren gleich noch ganz andere Erfolgsmomente.
Ohnehin imponieren hier im Odenwald nicht nur die Headliner, die sich den Erfolg quasi fast schon auf Bestellung in den Zeitplan geschrieben haben. Am ersten großen Abend jedenfalls punkten die mystischen Klänge von Cari Cari und das furchtlose Damen-Duo Steiner & Madlaina mindestens ebenso eindrucksvoll wie die Berliner Art Rocker der Giant Rooks. Auch der zweite Tag macht da keine Ausnahme. Denn weit, bevor der Pop-Noir-Poet Faber seine wuchtigen Zeilen in den Nachthimmel diktiert und Bukahara ihre Folk Pop-Party jenseits von Mitternacht zur Ekstase bringen, ist es ein Schweizer Kollektiv, das die Menge zum Ausrasten bringt. Wir reden von der Formation The Gardener & The Tree. Von der gnadenlos guten und sonoren Stimme des Sängers Manuel Felder angeführt, entfaltet das Quintett einen derart instinktiv-melodischen Drive, dass selbst scheinbar unbeteiligte Besucher plötzlich in den Bann dieser Klänge zwischen natürlicher Urgewalt und ausdeklinierter Leidenschaft hineingezogen werden. Bezeichnend ist daher, wie sehr das Vertrauen zwischen Festivalteam, Künstlern und Gästen zu einem ungeschriebenen Pakt der Ausgelassenheit beiträgt.
Motivation zur Jugendkultur
Wer Jo Megow dementsprechend nach einem Fazit fragt, bekommt die kurze Anekdote eines Paares zu hören, das um kurz vor fünf Uhr früh nach den allerletzten Akkorden aus den Tiefen der Unterholz-Bühne gen Campingzelt marschiert und sich gegenseitig fragt, ob man jemals gemeinsam solch einen schönen Tag erlebt habe. Es sind Worte, die Megow mit Stolz erfüllen und motivieren, die Jugend- und Veranstaltungskultur im Odenwald weiter zu stärken. Einerseits, um das Festival finanziell und personell wieder auf ganz sichere Beine zu stellen - andererseits aber vor allem deswegen, weil man auch 2023 unbedingt die 12. Ausgabe von Sound of the Forest veranstalten wolle. Mit konkreten Daten und möglichen Künstlern für eine Ausrichtung im kommenden Jahr wollen sich die Organisatoren zwar zunächst noch zurückhalten - dennoch kann und darf man behaupten, dass der schlafende Riese eines der wichtigen Boutique-Festivals in ganz Deutschland nach drei Jahren Sommerschlaf wieder gewaltig aufgewacht ist.
5000 Menschen und mehr dürfen jetzt darauf hoffen, dass es genau so kraftvoll, unerschrocken und visionär weitergehen darf. Es wäre ohne Zweifel eine Freude - für den Odenwald, die Region und so ziemlich jeden in der Region, dem das pure Leben am Herzen liegt.
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