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Das Ende der englischen Vorherrschaft in der Literatur?

Es ist bizarr: Das Englische gewinnt weltweit an Bedeutung und verliert zugleich an Maßgeblichkeit. Längst ist nicht mehr anzunehmen, dass die Weltsprache zur internationalen Verständigung genügen kann

Von 
Manfred Loimeier
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Kritisiert die Dominanz des Englischen: Autorin Tsitsi Dangarembga, im vergangenen Jahr Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels. © Jens Kalaene/dpa

Die globale Vorrangstellung des Westens schwindet, aber das ist zunächst keine neuartige Feststellung, sondern entspricht zudem einem bekannten Prinzip. Denn schon im Sinne der Dialektik werden abschwächende Kräfte spätestens dann wirksam, wenn ein Prozess gerade an Bedeutung gewinnt.

Nun wird diese These vom zunehmenden Bedeutungsrückgang des Westens vor allem in wirtschaftlichem und politischem Zusammenhang gesehen - als Verlagerung des Machtzentrums Richtung Asien. Jedoch zeichnet sich dieser Bedeutungswandel seit längerem auch auf kultureller Ebene ab, nämlich als eingeleitete Abkehr von der bisher dominanten Literatursprache Englisch, verbunden mit einer Stärkung jeweiliger Landessprachen.

Der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee schreibt auf Englisch

Ein gutes Beispiel hierfür liefert der in Australien lebende südafrikanische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee. Eigentlich afrikaanssprachig, schreibt Coetzee auf Englisch. Afrikaans galt lange abfällig als nicht-literaturfähiges Bauernidiom. Doch für seine Biografie autorisierte er mit Johann Christoffel Kannemeyer einen renommierten südafrikanischen Professor für Afrikaanse und Niederländische Literatur; diese Biografie erschien 2011 in Johannesburg unter dem Titel „JM Coetzee - ’n geskryfde lewe“, wurde aber in der erst im Jahr darauf in der englischsprachigen Übersetzung „JM Coetzee - A Life in Writing“ in der internationalen akademischen Welt bekannt.

Publikation für England und USA kommt erst weit nach der Erstveröffentlichung

Zuletzt hat Coetzee seinen bisher jüngsten Roman zuerst auf Spanisch in einem argentinischen Kleinverlag in Buenos Aires publiziert - im Jahr 2022 als „El Polaco“. Im Jahr 2023 folgten zunächst die polnische Ausgabe „Polak“, dann die niederländische „De Pool“, dann die deutschsprachige Übersetzung „Der Pole“. Erst dann erschien das englischsprachige Original „The Pole“ samt der US-amerikanischen Ausgabe.

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Coetzee wollte damit darauf aufmerksam machen, dass sich zum einen die Bedeutung von Literatur zunehmend nach dem Stellenwert ihrer Sprache richtet, wodurch nicht-englischsprachige Werke aus dem Augenmerk von Verlagen und Leserschaft gedrängt werden. Zum anderen stellt Coetzee damit die Frage, worüber und wie Menschen sich in einer momentan immer mehr anglisierten Welt austauschen können, wenn Englisch als Zweitsprache nicht die Tiefe bietet, die es Muttersprachlern bereithält. Wie über Gefühle oder Nuancen von Sachverhalten sprechen, wenn das Praxis-Englisch an der Oberfläche bleibt und allein Worte einer nicht-englischen Erstsprache zur Verfügung stehen?

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Mit der in Berlin lebenden Tsitsi Dangarembga, der Friedenspreisträgerin von 2021, kritisiert eine weitere Autorin aus dem südlichen Afrika, aus Simbabwe, die Dominanz des Englischen. Mit Sprache, sagte Dangarembga auch bei ihrem Vortrag während des Denkfests 2023 auf der Bundesgartenschau in Mannheim, verinnerliche man Sichtweisen, Werte, Haltungen. Sofern diese verschieden sind von eigenen Sichtweisen, Werten und Haltungen, erwachse daraus ein Konflikt. Sprache könne mithin auch dann, wenn sie zum internationalen Dialog auf Augenhöhe gesprochen wird, kolonisierend wirken, Perspektiven verengen und Erfahrungen ausklammern.

Afrikanische Verlage veröffentlichen verstärkt Bücher in afrikanischen Sprachen

Ein Argument mehr, warum sich der kenianische Schriftsteller Ngugi wa Thiong’o ohnehin schon längst für das Schreiben in afrikanischen Sprachen engagiert. Entsprechend haben zahlreiche Autorinnen und Autoren aus der sogenannten Peripherie, die gerade aufgrund ihrer englischsprachigen Romane zu Weltgeltung kamen, Stiftungen gegründet, um Werke der Weltliteratur ins Igbo und Yoruba zu übersetzen - allen voran Chinua Achebe aus Nigeria, der bereits verstorbene Friedenspreisträger von 2002, oder die erfolgreiche Nigerianerin Chimamanda Ngozi Adichie.

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Das gilt im Übrigen auch für andere sogenannte Dominanzsprachen wie etwa Französisch. Schriftsteller wie Axel Gauvin aus dem französischen Überseedepartement La Réunion oder Evelyne Trouillot aus Haiti publizieren sowohl auf Französisch als auch auf Kreol. Und afrikanische Verlage veröffentlichen verstärkt Bücher in afrikanischen Sprachen, sei es Wolof in West-, Zulu in Süd- oder Kiswahili in Ostafrika.

Die Weltsprache Englisch öffnet international längst nicht mehr alle Türen

Überhaupt sind die westlichen, europäischen Metropolen längst nicht mehr die ausschließlichen Leitbilder, sondern werden durch eine Süd-Süd-Orientierung ersetzt oder um diese ergänzt. Für lusophone Autoren wie Mia Couto aus Mosambik oder José Eduardo Agualusa aus Angola liegt Brasilien mental mindestens so nah wie Portugal. Und Nobelpreisträger Coetzee überraschte einst sehr, als er im Jahr 2002 die Republik Südafrika verließ, indes nicht nach Großbritannien oder in die USA zog, wo er zahlreiche Lehraufträge hatte, sondern nach Australien.

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Und was sagt uns das alles? Nun, dass ganz schlicht nicht anzunehmen ist, dass die Weltsprache Englisch global alle Türen öffnet und zur internationalen Verständigung genügen kann. Jede Sprache trägt eigene Weisheiten in sich und bietet möglicherweise eigene Lösungsvorschläge für Lebensfragen. So schön also einerseits eine gemeinsame Sprache ist, so sehr belebt doch auch die Verschiedenheit.

Redaktion Geschäftsführender Redakteur und Mitglied der Chefredaktion

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