Mannheim. Ein Gastbeitrag von Peter Kurz
Selten waren so viele Menschen beunruhigt von Entwicklungen in unserer Welt.
Dazu gibt es auch begründete und belegbare Anlässe: Wir gefährden durch Artensterben und Klimawandel unsere eigene Existenz. Wir verbrauchen viel mehr Ressourcen, als die Welt erzeugen kann, und kommen damit an ein Ende: Sogar der Sand, mit dem wir bauen, wird knapp.
„Du musst Dein Leben ändern“ lautet der daraus folgende Appell, der uns scheinbar vor allem als einzelne Individuen trifft. Und wir alle wissen, dass uns als Menschen Änderung nicht leichtfällt. Das ist an sich schon eine schwer zu überwindende Hürde. Zudem wird, wie man selbst „richtig“ lebt, so zur politischen Frage mit allen Spannungen, die es auslöst, wenn die private Lebensführung zum Gegenstand täglicher politischer Debatte wird. Wenn persönliche Entscheidungen und Verhalten von anderen als nicht mehr tragbar empfunden werden, dann ist das der tiefgreifendste Konflikt, den man sich vorstellen kann: Eine dauernde und nie entschiedene Werte-Debatte zwischen Freunden, in den Familien oder am Arbeitsplatz ist kein tragbarer Zustand. Das erleben wir gerade. Am Ende müssen deshalb solche Debatten, welches Verhalten verlangt werden darf, im demokratischen Rechtsstaat durch Parlamente und Gerichte zu einem politischen Ergebnis geführt werden.
Aber auch solche Entscheidungen sichern gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt nicht automatisch. Auf sie kann zwar nicht verzichtet werden; ein vernünftiges Miteinander ist jedoch auf Dauer kaum herstellbar ohne ein gemeinsam getragenes Bild von der Zukunft und eine Vorstellung davon, wie gutes Leben für alle aussehen kann.
Dabei scheint mir die Einigkeit über mögliche Ziele größer als im Augenblick wahrgenommen.
Als Konflikt erscheint weniger das Ziel eines ökologischeren Lebens und Wirtschaftens als die Frage, ob der Weg in eine ökologischere Zukunft mehr soziale Ungleichheit hervorruft und wirklich alle teilhaben lässt. Dabei wird allerdings übersehen, dass gerade die letzten beiden, Ressourcen verschwendenden Jahrzehnte von steigender Ungleichheit geprägt waren. Die sozialen Fragen sind eben nicht einfach durch günstigere, auf Kosten von Flora und Fauna erzeugte Produkte zu beantworten. Oder einfach gesagt: Wir sollten nicht so tun, als seien Billigstmode-Ketten Sozialpolitik. Wenn statt „Fast Fashion“ weniger Kleidung, dafür sozialer und langlebiger produziert wird, ist es ein Gewinn für alle.
Was aber als richtige Antwort aus dieser Debatte folgt: Eine gute Sozialpolitik und gerechtere Wohlstandsverteilung ist für eine ökologische Neuorientierung zwingende Voraussetzung, so wie weltweit mehr soziale Gerechtigkeit ohne ein ökologisch verantwortliches Wirtschaften nicht erreicht werden kann.
Womit wir schon bei der Beschreibung einer Zukunft sind, für die es meines Erachtens ein breites, gemeinsames Wollen gibt:
Eine Stadt mit weniger Armut, in der ein nachhaltigeres Wirtschaften mehr ausreichend bezahlte Dienstleistung und mehr Handwerk benötigt.
Eine Stadt, in der mehr Nahrungsmittel direkt aus unserer Region kommen, die unter Beachtung des Arten- und Bodenschutzes und des Tierwohls produziert sind.
Eine Stadt, in der die Stadtteilzentren und die Nahversorgung funktionieren, weil die realen Kosten von Internethandel und Transport erhoben werden.
Eine Stadt, die Wohnen und Arbeiten wieder stärker mischt, die nicht mehr nach außen wächst, sondern die umgebenden Freiräume bewahrt.
Eine Stadt, in der Menschen mehr Dinge gemeinsam nutzen und ihr Wohnumfeld gemeinsam gestalten.
Eine Stadt, die Verdichtung im Inneren mit Begrünungskonzepten klug kombiniert.
Eine Stadt, in der Straßen und Plätze zum Aufenthalt attraktiver geworden sind: Dies setzt mehr Platz für Flanieren und Verweilen voraus. Dafür muss der Anteil des Autoverkehrs sinken und der des Radverkehrs und des öffentlichen Personennahverkehrs steigen.
Mit all dem sprechen wir auch von einer Stadt, in der Menschen gesünder leben.
Kaum jemand wird diesen Zielen widersprechen, zumal vieles keine uns gänzlich unbekannte Zukunft ist.
Denn wer manche Bilder der Vergangenheit aus unserer Stadt betrachtet, wird feststellen, dass wir nicht nur gewonnen, sondern auch Qualitäten verloren haben, die wir in Zukunft wieder brauchen.
Warum soll es uns nicht möglich sein, aufeinem historisch unvergleichbaren Wohlstandsniveau diese Qualitäten wieder zu gewinnen und allen zugänglich zu machen? Warum sollten wir uns auf ein solches Ziel nicht verständigen?
Lebensqualität wieder zu erhöhen, ist ein positives Zukunftsbild, wie es ganz konkret auch die BUGA 23 erlebbar machen wird, wie das in ähnlicher Weise 1975 galt. Ein solches Zukunftsbild ist eine Basis, den Zwang des „Du musst Dein Leben ändern“ hinter uns zu lassen und eine Zuversicht ins Gelingen an seine Stelle zu setzen.
Wo sollte das gelingen, wenn nicht in einer Stadt, die in ihrer Geschichte immer wieder neu Zukunft gemacht hat?
Peter Kurz, geboren am 6. November 1962, ist seit 2007 Oberbürgermeister der Stadt Mannheim.
Hier gibt es alle Artikel zu „75 Ideen für ein besseres Mannheim“ im Überblick.
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