Mannheim. Eine Tomate mit gelber Schale und grünem Fruchtfleisch? Sieht man eher selten. Felix beißt herzhaft zu. Im Nu hat der Dreijährige eine Scheibe verputzt. „Willst du noch ein Stück“, fragt Fabian Maier. Felix nickt – und lässt es sich erneut schmecken. „Wer möchte noch eine leckere Gurke probieren“, will Maier wissen. Fast zeitgleich rufen Jülide, Emilia und Felix: „Ich, ich, ich!“
Früchte wachsen sehen, selbst ernten, probieren oder leckere Gerichte daraus zaubern: All das können die jungen Besucher des Naturkindergartens „Krabbelkäfer“, der von Fabian Maier geleitet wird. Erst Anfang Juli hat das dreiköpfige Team, zu dem Lena Hüttermann und Senah Abdallah gehören, auf einer großen Parzelle des Zentralen Lehrgartens Sandhofen losgelegt.
„Basislager“ selten genutzt
Die Krabbelkäfer sind der vierte Naturkindergarten, der sich in Mannheim angesiedelt hat. „Veteran“ in der Quadratestadt ist der Wald- und Sportkindergarten, getragen vom 2006 gegründeten Verein NATURlich Lernen. Nach ersten Anfängen auf einem „Waldsofa“ kann er seit 2011 als „Basislager“ die „Märchenwiese“ beim Teufelsberg in Käfertal nutzen. Im Herbst 2016 startete „Little Franklin“, ein halbes Jahr später kam der Wiesenkindergarten „Bullabü“ (Träger InFamilia) dazu.
Eines haben die Natur-Kitas gemeinsam. Die jeweiligen „Basislager“, meist in Form eines Bauwagens oder auch mal einer Blockhütte, werden nur selten genutzt. So oft wie möglich im Freien – auch bei Wind und Wetter: Das gehört dazu. Maier erinnert sich an einen heftigen Regenguss: „Das Wasser kam von unten hoch und von oben runter, alle waren pitschepatschenass. Aber sie fanden es super“, berichtet er.
Keine Angst vor Krabbeltieren
Gegen Kälte hilft viel Bewegung, gegen Regen entsprechende Kleidung. Was ist mit Angst vor Krabbeltieren? Hat hier niemand, stellt der Erzieher fest. Jülide hat beim Pressegespräch ein bisschen gelauscht. Und schwärmt prompt vom „Paradies für Würmer“ unter einem Holzklotz. Erst kürzlich, so Maier, habe man bei einer Tour durch den Wald einen Nashornkäfer entdeckt. Der krabbelte Marlena über die Hand.
„Anliegen der Waldkigas ist es, Kinder wieder vermehrt in die Natur beziehungsweise den Wald zu lenken, was nötig erscheint, da ein Großteil der Kindheit heute immer öfter in geschlossenen Räumen verbracht wird“, hält Mike Lebzelter, Doktorand und Erziehungswissenschaftler an der Uni Tübingen, fest. In einem Fachartikel hat er sich mit „Möglichkeiten und Aufgaben des Waldkindergartens und seiner pädagogischen Fachkräfte“ auseinandergesetzt. Zwar seien inzwischen „pädagogische Angebote in der Natur fest in allen Kigakonzeptionen verankert“. Dennoch gebe es Unterschiede „zwischen solch punktuellen Angeboten in regulären Kindergärten und ganzheitlichen Waldkiga-Konzepten“, was „Intensität und Breite der Naturerfahrung“ angehe.
Bei den „Krabbelkäfern“ nutzen die Drei- und Vierjährigen intensiv den Zentralen Lehrgarten, an den ihre Parzelle angrenzt. Dort dürfen sie zum Beispiel Brombeeren und Himbeeren naschen. Oskar rupft vom Thymianstrauch ein Blättchen. Er hält es jedem unter die Nase, fragt: „Willst du mal riechen?“
Ines Seeger, Geschäftsführerin der Krabbelkäfer Mannheim gemeinnützige GmbH, ist glücklich über die gelungene Kooperation mit dem Gemeinschaftswerk Arbeit und Umwelt, dem Träger des Lehrgartens. Der Kindergarten wurde mit einer Ganztagesgruppe (20 Kinder) in den Bedarfsplan der Stadt aufgenommen. Aufgrund der Vorschriften des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS) ist auf dem abgeteilten Gelände kein Platz für weitere Gruppen. Außerdem schränke der Fachkräftemangel ein, die „Krabbelkäfer“ würden sich deshalb freuen „über Bewerbungen von Freiwilligen im Sozialen Jahr“.
Die Nachfrage nach Naturkindergartenplätzen ist groß. Wie zum Beispiel in „Little Franklin“, das demnächst von einer auf zweieinhalb Gruppen aufstocken möchte. Das berichtet Andrew Ballantyne, der städtische Kita-Koordinator. Wie auf Franklin gibt es auch bei den „Krabbelkäfern“ eine Warteliste. Das liegt nicht nur daran, dass Kitaplätze generell Mangelware sind. „Manche Eltern wechseln extra deshalb, um das Naturkonzept zu erleben“, hat Fabian Maier festgestellt.
Anne, die Mutter von Oskar, kann das bestätigen. „Das ist ein tolles Konzept, davon sollte es mehr geben“, sagt sie. Ihr Dreijähriger „liebt es einfach, draußen zu sein, dass er was lernen kann über die Natur. Und wir lernen auch. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Stachelbeere probiert.“ Oskar sei „superglücklich“. Ihre kleine Tochter hat Anne auch schon angemeldet, „hoffentlich klappt’s mit einem Platz“.
Seit 2010 fast verdreifacht
Naturkita-Angebote haben in den vergangenen Jahren in Baden-Württemberg stetig zugenommen. Der KVJS nennt Zahlen. Waren es 2010 noch rund 2900 Kinder und 2015 etwa 1000 mehr, besuchen mittlerweile etwa 7800 Kinder entsprechende Einrichtungen.
Die vier Angebote in Mannheim sind allerdings nur ein Bruchteil der mehr als 180 Betreuungsstätten stadtweit. Noch dazu konzentrieren sie sich auf den Norden der Stadt. Immer wieder werden deshalb im Bildungsausschuss mehr alternative Kita-Angebote thematisiert. Eines könnte im Süden, im Niederfeld, entstehen. Dort möchte der Träger kinderland.net eine zweigruppige Einrichtung errichten. Aber es gebe erheblichen Widerstand von Anwohnern, berichtet Ballantyne. Auf der Rheinau will der Verein „Urwüchsige“ tätig werden. Gemeinsam mit ihm suche die Stadt nach einem geeigneten Standort, so Ballantyne. Generell gebe es nur wenige in Frage kommende Flächen, bedauert der Kita-Koordinator. Aber im Vorfeld der Standortkonzeptionen für die Stadtteile, die der Gemeinderat diskutiert, nehme man stets mögliche Areale unter die Lupe. Außerdem habe die Stadt Ende 2018 die Förderung von Naturkindergärten beschlossen.
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