Immer seltener bieten Tierärzte bundesweit und in der Region einen Notdienst an, immer weniger Praxen tragen den Titel „Klinik“ und sind so zu einem 24-Stunden-Dienst an sieben Tagen die Woche verpflichtet. Und die, die es anbieten, sind überlastet. Überfordert sind damit auch Tierbesitzer, deren Hund oder Katze verletzt wurde, möglicherweise etwas Vergiftetes gefressen hat oder einen anderen medizinischen Notfall darstellt: Wenn sie sich nicht an ihren gewohnten Veterinär wenden können, ist in der Aufregung zusätzlich Recherche angesagt. Eine tierärztliche Rettungsleitstelle könnte viele Probleme lösen.
Die Idee, die unter anderem von Tierärzten aus Berlin und Norddeutschland vorgeschlagen wird: eine tierärztliche Rettungsleitstelle mit einer möglicherweise sogar bundesweit einheitlichen Notrufnummer. Dort würden Tierbesitzer zu jeder Zeit telefonisch beraten, und Veterinäre würden am Hörer eine erste Einschätzung vornehmen. Bei Bedarf bekämen die Anrufer die Nummer einer Notdienstpraxis in ihrer Nähe, verbunden mit dem Hinweis auf die erhöhten Gebühren im Notdienst.
Diese Tier-Rettungsleitstellen könnten zudem gleich noch ein anderes Problem lösen: Um verletzte Wildtiere kümmern sich in der Regel Ehrenamtliche und Vereine. Etwa im Igel- oder Wildtierschutz könnten diese Leitstellen ihnen sowie Laien ohne Tierarzt-Erfahrung Unterstützung bieten. All das, während kleiner werdende Ressourcen – und dazu gehören im Notdienst arbeitende Veterinäre – das Problem in den nächsten Jahren verstärken werden.
Tierärztlicher Notdienst
- In der Notfalldienstordnung der Landestierärztekammer BadenWürttemberg heißt es, dass „jeder Tierarzt, der in einer eigenen Praxis niedergelassen ist, verpflichtet ist, am Notdienst teilzunehmen“. Die Höchstarbeitszeiten sind aber beschränkt, zwischen zwei Einsätzen müssen elf Stunden ununterbrochene Ruhezeit liegen. Das steigert den Personalbedarf und die Kosten.
- Im tierärztlichen Notdienstring Heidelberg sind 27 Praxen abwechselnd für Notfälle da (Tel.: 0900/1 22 99 55). In Mannheim lautet die Notfallnummer 0621/1 35 71. miro
Christian David und Thies Krützfeldt führen die Tierklinik Frankenthal. Es gibt sie seit 2014, vorher leiteten die beiden Veterinäre eine tierärztliche Gemeinschaftspraxis. Die Tierklinik, deren Einzugsgebiet über Mannheim und Heidelberg bis in den Odenwald und von Kaiserslautern über Alzey bis Landau reicht, wächst stetig. „Wie werden demnächst die Krankenstation erweitern“, erzählt David. Mehrere Dutzend Tierärzte überweisen ihre komplizierteren Fälle nach Frankenthal, wo sich 70 Mitarbeiter im Schichtdienst um die Patienten mit Fell oder Gefieder kümmern. Ein ständig einsatzbereites OP-Team, Empfang und Labor bilden neben den angestellten Tierärzten einen enormen personellen und finanziellen Aufwand.
Innerhalb der Notdienstkreise, zu denen sich Tierärzte zusammenschließen, werden die Dienste sehr unterschiedlich gehandhabt. Das Problem: „Zwei Drittel der Tierbesitzer kommen mit nicht lebensbedrohlichen Notfällen, sondern mit einer Zecke, Durchfall oder gar einer seit drei Wochen verpasste Impfung“, weiß David.
Rund 130 Stunden pro Woche muss eine Klinik oder Praxis an Mehrarbeitszeiten abdecken, um einen 24-stündigen Bereitschaftsdienst aufrechterhalten zu können, rechnet der Bundesverband Praktizierender Tierärzte vor. Der zusätzlich entstehende Personalaufwand sei schon bei einfacher Teambesetzung enorm. 60 000 Euro zusätzlichen Umsatz pro Monat müssten im Rund-um-die-Uhr-Dienst erwirtschaftet werden, um zumindest die Kosten decken zu können. Obwohl 2020 die Notdiensttarife der Tierärztlichen Gebührenordnung (GOT) erhöht wurden, sei die Finanzierung von Nacht- und Wochenenddiensten längst nicht ausreichend, teilt der Verband mit.
Die Zahl der Tierkliniken nimmt stetig ab: 2015 habe es in Rheinland-Pfalz noch 21 Tierkliniken gegeben, heute seien es noch elf. In Baden-Württemberg waren es 15 Kliniken, heute sind es noch sechs. Für die Tierbesitzer heißt das: Unter Umständen sind lange Anfahrten in Kauf zu nehmen.
Oft finanzielle Probleme
„Die Zeiten von Dr. Doolittle sind lange vorbei“, verweist David auf wenig romantische Seiten des Berufs: anstrengende Nacht- und Feiertagsdienste und eine Work-Life-Balance, die zur Arbeitsseite hin deutliches Übergewicht zeigt. Hinzu kommen bei selbstständigen Kollegen mit kleinen Praxen oft finanzielle Probleme: Heute werde die modernste Ausstattung erwartet, doch solche Diagnosegeräte müssen auch bezahlt werden.
Tierbesitzer seien aber nicht immer gewillt oder in der Lage, solche höheren Rechnungen auch zu begleichen. Bundesweit machte kürzlich eine Untersuchung Schlagzeilen, wonach Tierärzte eine im Vergleich zu anderen Berufen sehr hohe Suizidrate haben. Viele der Befragten gaben an, oft müde und emotional erschöpft zu sein.
„Zwischen einem Viertel und der Hälfte der jungen Tierärzte geht nach dem Studium gar nicht in den Beruf“, beschreibt der Klinikleiter die Schwierigkeit, gut ausgebildete Mitarbeiter an Land zu ziehen. Es würden in Europa zu wenige Tierärzte ausgebildet, findet er. Und: „Wie wird die Tiermedizin der Zukunft aussehen, wenn kein Kollege mehr nachkommt, der bereit ist, Not- und Nachtdienste zu leisten?“ Vielleicht könnte eine Tierärztliche Rettungsleitstelle die Last verringern – oder wenigstens besser verteilen.
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