Mannheim. Ein paar Steine, oft verdreckt und verschmiert, meist zugewachsen und überwuchert von Gebüsch und Unkraut – jeder läuft hier achtlos vorbei. Dabei wird an dieser Stelle am Lindenhöfer Rheinufer an gleich mehrere stadtgeschichtlich bedeutende Ereignisse erinnert. Nur merkt es keiner. Mannheim – wie wäre es also, wenn die Denkmäler und andere Zeugnisse der Stadtgeschichte besser gepflegt würden?
„MM“-Leser Siegfried Mümpfer von der Vogelstang ist die Stelle bei seinen Spaziergängen am Stephanienufer aufgefallen. Er schlug als eine der „75 Ideen für ein besseres Mannheim“ vor, diese Stelle deutlich aufzuwerten. „Hier könnte die Stadtverwaltung mit relativ wenig Aufwand das Schattendasein beenden“, meint er. Er regt zudem an, den gesamten Uferweg im Zuge der Bundesgartenschau aufzuwerten, zumal dort Flusskreuzfahrtschiffe mit Touristen anlegen. In jedem Fall müsse man sich um die Gedenktafel kümmern, die an die Grundsteinlegung der Festung Friedrichsburg am 17. März 1606 erinnert. Tatsächlich ist sie kaum lesbar. Und die Natur bemächtigt sich immer mehr der wenigen Sandsteinquader.
Dabei weist diese völlig unauffällige Stelle auf gleich zwei herausragende Momente der Mannheimer Vergangenheit hin. Kurfürst Friedrich IV. legte am 17. März 1606 – bei einem heftigen Unwetter – beim Dorf Mannenheim den Grundstein für die Festung Friedrichsburg, der er am 24. Januar 1607 die Stadtprivilegien verlieh. Der Grundstein ist bis heute nicht gefunden worden, und ob der feierliche Akt wirklich an dieser Stelle stattgefunden hat, wie die – verblasste – Gedenktafel sagt, ist historisch nicht bewiesen.
Aber eine geschichtlich hohe Bedeutung kommt diesem Ort dennoch zu. Denn hier befand sich, lange vor der Stadtgründung, die Zollburg Eichelsheim. 1265 erstmals als Zollstätte erwähnt, wurden von hier aus vom 14. bis ins 17. Jahrhundert Schiffe auf dem Rhein gestoppt, von ihnen Abgaben erhoben und Silbermünzen geprägt – woran heute noch der „Mannheimer Pfennig“ als Auszeichnung für Verdienste um die Stadtgeschichte erinnert. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wurde die Anlage mit ihren vier mächtigen Türmen aber stark beschädigt, im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) weitgehend zerstört.
Aber zuvor war hier Welt- und Religionsgeschichte geschrieben worden. Das Konstanzer Konzil hatte den ersten Johannes XXIII., den „Gegenpapst“, 1415 für abgesetzt erklärt. Nach einem Fluchtversuch setzte ihn der Pfalzgraf Ludwig III. als Reichsvikar im Auftrag des Konzils gefangen – auf Burg Eichelsheim sass er von Sommer 1416 bis Januar 1419 in einer Zelle. „Mit der Inhaftierung leistete Mannheim mithin einen besonderen Beitrag zur Beendigung des Großen Abendländischen Schismas (1378-1417)“, erklärt Ulrich Nieß, Direktor des Marchivums, die Bedeutung. Ein Papst in Mannheim, im heutigen Stadtteil Lindenhof – aber kaum einer weiß es! Keine andere Stadt würde so nachlässig mit ihrer Geschichte umgehen.
Dabei ist die ungepflegte Gedenktafel auf dem Lindenhof nur ein Beispiel von vielen. Helen Heberer, der Vorsitzenden des Vereins Stadtbild, und ihrem Stellvertreter Volker Keller fallen gleich etliche Fälle ein, bei denen Mannheim – vorsichtig gesagt – nachlässig mit seinen Denkmälern umgeht. Die Grupello-Pyramide auf dem Paradeplatz ist oft verschmutzt und liegt nachts im Dunklen, auch am Marktplatzbrunnen fehlt eine Beleuchtung. Das Paddel eines Putto am Sockel ist verbogen. Immerhin hat die Stadt dem Verein zugesagt, den Taubenschutz zu verbessern, indem man einmal jährlich statt nur alle zwei Jahre den Vogelkot gründlich entfernt.
Vergessener Obelisk
Völlig in Vergessenheit geraten ist der Obelisk mit den Kanonenkugeln, der im Hafen die Stelle des Rheinübergangs des russischen Korps und der Armee Blüchers und das Zusammentreffen mit napoleonischen Truppen 1814 markiert. Eine der eisernen Kanonenkugeln ist schon lange zerborsten.
Traurig macht ebenso ein Spaziergang auf der Augustaanlage: Das Carl-Benz-Denkmal, speziell der Bronzeguss des Benz-Patent-Motorwagens, wird immer wieder beschädigt, Teile an Steuerung und Bremse abgebrochen – und das bleibt dann meist lange so, bis eine Reparatur erfolgt. Und das in der Stadt, die sich rühmt, dass hier erstmals ein Auto fuhr, ja viele Erfindungen zur Mobilität ihren Ausgang nahmen! Dazu passt, dass sich die Gedenktafel am Wohnhaus M 1 von Karl Drais nach Erstellung eines Neubaus nur noch im Innern des Hauses in einer verschlossenen Tiefgarageneinfahrt befindet – unsichtbar.
Debatte um Lapidarium
Hinzu kommt, dass unzählige Zeugnisse der Baugeschichte Mannheims noch aus der Zeit der Kurfürsten oder des Jugendstils weiter in den Ecken irgendwelcher Bauhöfe frei herumstehen, abbröckeln und teils von Moos oder Unkraut überwuchert werden, Verwitterung und Verfall preisgegeben. Originale von Denkmälern und Brunnen, gerettete Bauteile abgebrochener historischer Gebäude, ehemals auf den Planken stehende Kunstwerke wie Joachim Schmettaus „Pflanzen“ – alles verkommt, es ist eine Schande.
Seit den 1990er Jahren wird dafür ein Lapidarium (von lateinisch lapis für Stein) gefordert. Darunter versteht man eine – meist öffentlich zugängliche – Sammlung von historischen Grab- und Wegsteinen, Skulpturen und Bauteilen zerstörter Gebäude sowie der Originale von Denkmälern. Die Bundesgartenschau bietet zwar erstmals eine Chance, einige Exemplare einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen. Die U-Halle auf Spinelli wäre auch ein sehr guter Platz, dort nach der Buga dann ein komplettes Lapidarium einzurichten. Politische Absichtserklärungen dazu gab es schon sehr viele, konkrete Beschlüsse aber nicht. Also, Mannheim – wie wär’s, sich endlich mehr um die Zeugnisse der Vergangenheit zu kümmern?
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