Mannheim. Ein Besuch in Frankfurt, wo 2020 ein neues jüdisches Museum eröffnet wurde, hat sie inspiriert. Katy Oberländer findet, dass Mannheim ein Ort der Erinnerung an 400 Jahre Geschichte des jüdischen Lebens fehlt. Also, wie wär’s Mannheim, mit einem jüdischen Museum?
Auf den ersten Blick klingt das, was die Lehrerin vorträgt, überzeugend. Auch wenn das Thema in den Reiss-Engelhorn-Museen und im Marchivum eine Rolle spiele, sollte nach Ansicht von Katy Oberländer „an einem zentralen Ort“ an das Wirken des Mannheimer jüdischen Glaubens erinnert werden. Dort müssten „die verschiedenen Aspekte aus den Jahrhunderten der Stadtgeschichte“ zusammengefasst werden: „Das Judentum als Wirtschaftsfaktor, als kultureller Hotspot, Jüdinnen und Juden als Mäzene, aber auch als Opfer des Holocaust“, zählt Oberländer auf und will zudem die verschiedenen Rollen von Juden als Nachbarn und Mitbürger bis heute beleuchtet sehen.
Schließlich könne Mannheim zu Recht stolz auf die Zusammenarbeit und das Zusammenleben der drei großen Religionen sein, woran die jüdische Gemeinde einen großen Anteil habe. „Dies ist der Aspekt, der über das Museale hinaus einen Weg in die gemeinsame Zukunft weisen kann – ein Museum als Ort, der nicht rückwärts gewandt ist, sondern nach vorne sieht und verbindet“, sieht sie darin eine Chance „der Positionierung der Stadt gegen Rassismus und Antisemitismus“.
Fragt man aber Rita Althausen, bekommt man eine zunächst verblüffende, aber dann leider sehr einsichtige Antwort. Zwar sei die Initiative und damit verbundene Absicht generell zu begrüßen, so die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Aber die Gemeinde habe sich „eindeutig gegen ein Museum ausgesprochen“, betont sie. „Es bringt nichts, denn es gibt einfach zu wenige Exponate“, erklärt sie.
Im Foyer der Gemeinde stehen einige Vitrinen mit ein paar Dokumenten und Bildern. Hinzu kommen zwei kostbare Toravorhänge – der rote Vorhang stammt aus der ehemaligen großen Hauptsynagoge in F 2, der weiße aus der orthodoxen Klaus-Synagoge in F 1,11. Beide Gebäude wurden während der Diktatur des Nationalsozialismus zerstört. Der weiße Vorhang war einst ein Geschenk der Jüdischen Gemeinde Mannheim an die Klaussynagoge für das 200. Jubiläum ihrer Einweihung 1907/8, der andere Vorhang ein Geschenk des Spenders und Gemeindeführers Joseph Zimmern und seiner Frau Clementine, welche ihre Synagoge verschönern wollten. Das geht aus den von Kantor Amnon Seelig durchgeführten Übersetzungen der auf den Vorhängen auf Hebräisch verfassten Texte hervor.
Diese wenigen Schätze werde die Gemeinde nicht herausgeben, sondern immer in ihrem Gemeindezentrum bewahren. „Und mehr gibt es nicht“, bedauert Rita Althausen. „Das ist eben unsere Geschichte, so bedrückend sie ist – es ist nichts mehr da, es ist fast alles zerstört, verbrannt, gestohlen worden“, und die wenigen Überlebenden der Shoah hätten angesichts der Verfolgung und Ermordung durch die Nationalsozialisten meist höchstens sich selbst und nur sehr selten ganz wenige Dinge ihres Glaubens retten können. Die Gemeinde habe nicht einmal ein eigenes Archiv, sondern müsse – etwa wenn Anfragen von Verwandten aus Israel oder Amerika kommen – stets an das Marchivum verweisen.
Für ein Museum sieht Rita Althausen daher „einfach keinen Ansatz“. Für richtig nötig und möglich hielt sie hingegen, dass das jüdische Leben in den vorhandenen Ausstellungen ausreichend gewürdigt wird. „Die Stadt Mannheim legt doch Wert auf ihre Vielfalt“, so Althausen. Daher könnten die Jüdischen Gemeinden „als Teil der Stadtgesellschaft mit einigen Objekten und Dokumenten integriert werden“, meint sie. „So wird der Integrationsgedanke umgesetzt. Dies halten wir für angemessen“, so Althausen.
Da stimmt sie mit Christoph Lind überein, dem für Kunst- und Stadtgeschichte zuständigen Direktor der Reiss-Engelhorn-Museen. Für ein eigens Museum gebe es „einfach denkbar wenig Exponate“, in den Beständen vom Zeughaus „höchstens zehn“. Aber speziell zum Jubiläumsjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ habe man bewusst etwa in die Dauerausstellungen „Glaubensschätze“ und „Belle Epoque“ einzelne Exemplare integriert. So wurde etwa ein Porträt von der Mäzenin Helene Hecht (1854–1940), die als 86-Jährige auf der Deportationsfahrt der badischen und pfälzischen Jüdinnen und Juden in das Lager Gurs in Südfrankreich starb, in Beziehung zu der Mäzenin und Fabrikantin Julia Lanz gesetzt.
„Juden waren immer bedeutender Teil der Stadtgesellschaft Mannheims, es gab hier kein Ghetto, sondern sie haben sich aktiv eingebracht – und daher haben wir die wenigen Dinge, die darauf verweisen, auch in die passenden Ausstellungskontexte eingebracht“, so Direktor Christoph Lind. Dazu zählten so ungewöhnliche Exponate wie das Beschneidungsmesser mit Griff in Delfinform aus Frankenthaler Porzellan, das um 1770 entstand und eben beim Frankenthaler Porzellan gezeigt wird. „Ich denke, so werden wir dem Anliegen gerecht – da sind wir uns auch einig mit der Gemeinde“, sagt Christoph Lind.
Rita Althausen ist zudem wichtig, das jüdische Leben nicht allein rückwärtsgewandt und museal zu vermitteln. Die Gemeinde wolle „als aktiv und lebendig“ wahrgenommen werden, so die Vorsitzende, und lade daher alle paar Jahre zu Jüdischen Kulturtagen ein. Da wünsche sie sich mehr Beachtung, mehr Resonanz.
Viel Resonanz habe die Gemeinde auf die im Oktober angebotene Führung zu – leider meist ausgelöschten – Orten jüdischen Lebens in Mannheim erlebt. Auch Friedhofsführungen werden immer wieder mit großem Erfolg durchgeführt. „Dieses Angebot wollen wir, sobald es die Pandemie erlaubt, ausweiten“, kündigt die Vorsitzende zudem an.
Wenn man es auch nicht im Museum zeigen kann – in Büchern ist das jüdische Leben Mannheims gut dokumentiert. Ob Bände zur Klaus-Synagoge, zum Jüdischen Friedhof, zum Schicksal einzelner Familien oder generell zur Gemeinde: Es gibt zahlreiche lesenswerte, gut illustrierte Bücher, von Volker Keller beim Verlag Waldkirch herausgegeben. 2018 verlieh die Jüdische Gemeinde dem ehemaligen Lehrer und Rektor dafür die Ehrenmedaille. Erst im Januar erhielt er den Obermayer German Jewish History Award. Die in Massachusetts ansässige Stiftung ehrt damit jährlich Personen oder Gruppen, die sich in der jüdischen Erinnerungsarbeit engagieren und Rechtsextremismus bekämpfen.
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