Ernährung

Lebensmittel-Werbung für Kinder: Zu wenig Schutz vor der süßen Verführung?

Von 
Sophia Gehr
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Ab Juni gelten neue Verhaltensregeln für Lebensmittelwerbung, die sich an Kinder richtet. Doch Verbraucherschützern geht das nicht weit genug. © istock

Schon lange vor Social Media verführten Kindheitsidole ihre Fans zum Kauf von Fast Food, Süßigkeiten, Chips oder Softdrinks. Im Internet übernehmen diese Aufgabe heute Influencer – also Personen des öffentlichen Lebens, die angebliche Lieblingsprodukte vor Millionen von Zuschauerinnen und Zuschauern präsentieren, dafür aber bezahlt werden. Laut einer im März veröffentlichten Studie der Universität Hamburg sehen Kinder bis 13 Jahre täglich rund 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel online und im Fernsehen. Im April entschied sich der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) dazu, die Regeln für Kinderwerbung zu verschärfen – für die Unternehmen gilt jedoch weiterhin lediglich eine Selbstverpflichtung.

Mehr Zucker, mehr Fett

Für Sabine Holzäpfel von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist das ein Versuch der Wirtschaft, gesetzliche Regelungen zu umgehen. „Wenn Lebensmittel so aufgemacht sind, dass sie Kinder ansprechen, dann müssen diese auch den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entsprechen“, sagt sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Denn oft seien gerade Kinderprodukte deutlich süßer und würden mehr Fett enthalten als die jeweilige Version für Erwachsene. Als gesunden Richtwert nennt die WHO maximal zehn Gramm Zucker pro 100 Gramm Joghurt, Frühstückscerealien sollten maximal 15 Gramm enthalten.

Die freiwillige Selbstregulierung der ZAW sieht vor, dass Lebensmittelwerbung für Kinder weder direkte Aufforderungen zum Kauf noch zum Konsum enthalten darf. Die Altersgrenze für diese Verhaltensregel wird ab 1. Juni von zwölf auf 14 Jahren erweitert. Anhand der Sprache, des Einsatzes von Comic-Elementen und kinder- oder jugendaffinen Testimonials oder aber der Platzierung der Werbung sei erkennbar, an welche Altersgruppe sich ein Spot oder eine Anzeige richte, sagt ein Sprecher des ZAW auf Nachfrage.

Ab Juni ist es zudem auch nicht mehr zulässig, positive Ernährungseigenschaften von Lebensmitteln gegenüber unter-14-Jährigen hervorzuheben, deren übermäßiger Konsum nicht empfohlen wird. Konkret geht es dabei laut Mitteilung des ZAW um Angaben wie „unter Zusatz wertvoller Vitamine und Mineralstoffe“.

Sollte sich ein Unternehmen nicht an die neuen, selbstverpflichtenden Regeln halten, können sich Bürgerinnen und Bürger an den Deutschen Werberat wenden. Nach Angaben des ZAW gingen vergangenes Jahr 17 Beschwerden aufgrund von Werbung ein, die die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtige. „Nahezu nie beklagen sich Bürgerinen und Bürger im Hinblick auf eine vermeintliche Verletzung der Verhaltensregeln für Lebensmittel“, so der ZAW-Sprecher.

Das ZAW betonte, dass die neuen Verhaltensregeln für Kinderwerbung ausdrücklich auch für soziale Medien sowie für Kooperationen mit Influencern gelten. „Auf diesen Plattformen ist es für Kinder besonders schwer, zu erkennen, ob es sich bei den gezeigten Produkten um Werbung oder Tipps vom Idol handelt“, sagt Holzäpfel. Vielen sei nicht klar, dass Influencer für die Empfehlungen bezahlt würden – auch wenn diese dazu verpflichtet sind, Werbung als solche zu kennzeichnen.

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Die Verbraucherschützerin rät: „Eltern sollten sich gemeinsam mit Kindern die Videos und Spots anschauen.“ Es sei wichtig, sich damit kritisch auseinanderzusetzen und den Kindern zu verdeutlichen, dass es sich um Werbung handelt. „Fragt man dann, was genau den Kleinen an den Produkten gefällt, wird deutlich, dass es oft optische Reize wie bunte Farben oder bekannte Figuren sind, die die Kinder verführen“, erklärt Holzäpfel. Die Lebensmittel selbst seien dabei fast schon egal.

Besonders kritisch sei Kinderwerbung bei sehr bunten Milchprodukten, findet Holzäpfel. „Die enthalten häufig viel Zucker und Aromen. Gewöhnen sich die Kinder an den süßen und intensiven Geschmack, lehnen sie naturbelassene Produkte mit weniger Zucker später ab.“ Ein Verkaufsverbot fordert die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg für Energydrinks.

Staatliche Regulierung denkbar

Die bloße Erweiterung der Altersgrenze verringere die Gefahr für Kinder nicht: „Freiwillige Selbstverpflichtungen sind unwirksam. Damit ist die Anhebung um zwei Jahre unwesentlich“, sagt Holzäpfel. Werden die neuen Verhaltensregeln nicht angewandt, sei eine staatliche Regulierung nicht ausgeschlossen, hieß es seitens des Bundesernährungsministeriums im April. Die Umsetzung und Überprüfung liege dann bei den Ländern.

Redaktion Online-Redakteurin, zudem zuständig für redaktionelle Videos

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