Mannheim. Emily (14 Jahre): „Am Anfang war es sehr schwer für mich. Oft saß ich von 8 bis 16 Uhr am Schreibtisch – fünfmal pro Woche – bei wenig Zeit für Entspannung und Sachen, die mir Spaß machen. Nach ein paar Wochen bekam ich Schlafstörungen, hatte nur fünf bis acht Stunden pro Nacht. Am Wochenende konnte ich auch nicht ausschlafen. Ich wurde mit jedem Tag trauriger, verzog mich in mein Zimmer, hörte Musik und weinte. Irgendwann war es so schlimm, dass ich nicht mehr weiter wusste, und meine Eltern schickten mich zu meiner Tante, damit ich mal woanders bin. Das tat mir gut. Eine Klassenkameradin hat mir Tipps gegeben, wie ich den Schulkram schneller runterrasseln kann, das hat mir echt weitergeholfen. Viele Lehrer haben uns unterstützt, deshalb läuft Homeschooling jetzt gut, aber meine Eltern sind anstrengend.
Ich weiß, dass sie mich nur unterstützen wollen. Vor allem mit meinem Vater gerate ich, wenn er mir Mathe erklärt, aber oft aneinander, und alles endet in einem riesigen Streit. Ich mag meine Familie echt, aber 24/7 zusammen zu sein, ist super anstrengend. Wenn sich dann noch meine Geschwister prügeln, meine Eltern ihnen Strafen erteilen und schreien, nebenbei eine Konferenz läuft und man einfach mit der ganzen Welt überfordert ist, frage ich mich oft, wann endlich alles wieder normal ist. Seit ein paar Wochen fühle ich mich so, als wäre ich ein zweites Mal in ein tiefes, schwarzes Loch gefallen, und mir macht nichts mehr richtig Spaß, nicht mal Zocken oder Filme gucken. Meine Mutter hat jetzt einen Arzttermin vereinbart. Ich versuche manchmal, mich auch zu verabreden, natürlich alles Corona-konform, weil meine Eltern darauf bestehen, dass ich soziale Kontakte beibehalte, aber nicht mal das macht mir richtig Spaß.“
Clara (14 Jahre): „Niemanden interessiert es, wie wir uns fühlen. Unsere Lehrer haben erst nach fast einem Jahr mit Online-Unterricht angefangen. Ich habe keine Lust mehr auf Schule, ich habe eh nur die Aufgaben gemacht, die wir abgeben mussten. Und das war fast nichts. Es ist denen doch egal, was wir machen.“
Julian (18 Jahre):
„Seit über einem Jahr sind wir mehr oder weniger dauerhaft im Lockdown. Sowohl Schulen als auch sämtliche andere Einrichtungen sind geschlossen. Ich durfte zeitweise den Unterricht besuchen, da ich zu einer Abschlussklasse am Gymnasium gehöre. Am 6. Mai ging die Prüfungsphase los, und gefühlt alles, was aktuell in meinem Leben existiert, sind Physik, Mathe und Geografie. Hätten wir keinen Lockdown, könnte ich mich mit Freunden treffen, als Ausgleich. Sind wir ehrlich, das ist ziemlich scheiße. Es gibt kaum Ablenkung vom Lernen, man hat das Gefühl, wenn alles wieder anfängt, ist man nicht mehr sozialfähig. Ich besitze zum Glück ausreichend Internet und eine gute technische Ausstattung, so dass ich mit den meisten meiner Freunde Kontakt halten kann. Das ist trotzdem nicht dasselbe. Sämtliche Geburtstage (auch mein 18.) fallen quasi aus.
Man hört die ganze Zeit, dass die Politik sich immer weiter von den Menschen, besonders der jungen Bevölkerung, entfernt. Das merken meine Freunde und ich. Es gab lange kein Konzept für Schulen oder andere Einrichtungen. Das frustriert extrem. Unser sogenannter Übergangslockdown über Weihnachten geht jetzt bis Mai. Und während ich weiter lerne und absolut jeglichen direkten Kontakt meide, darf ich mir immer wieder anhören, dass wir jungen Leute so unverantwortlich sind und das Ganze irgendwie unsere Schuld ist. Einige meiner Freunde trinken mehr Alkohol, andere essen mehr, und vielen geht’s einfach nicht gut. Das letzte Jahr war für die Tonne. Der Ausblick auf Besserung bleibt aktuell aus, deshalb denke ich, dass ich und viele weitere sich weiterhin ihrer Frustration hingeben und auf Besserung hoffen, weil uns anscheinend nichts übrigbleibt.“
Maria (12 Jahre):
„Ich bin genervt vom Homeschooling, würde viel lieber zur Schule gehen. Sechs Stunden und mehr mit Kopfhörer vor dem Computer zu sitzen, ist sehr anstrengend. Freizeitaktivitäten und Familientreffen sind nicht möglich, das ist nicht schön. Das einzig Positive ist wohl momentan, dass das Wetter besser wird und die sonst so strengen Regeln nicht für Kinder unter 14 Jahren gelten. So kann ich mich zumindest mit drei bis vier Freunden treffen.“
Carla (12 Jahre):
„Mir fehlt es, dass ich mich nicht so wie sonst mit meinen Freunden treffen kann. Auch ins Schwimmbad würde ich gerne mal wieder gehen. Ich mache seit Mitte Dezember Homeschooling. Eigentlich hätte ich kürzlich endlich mal wieder hingedurft, aber dann wurden die Schulen wieder zu gemacht. Ich würde gerne mal wieder gehen, aber nicht nur, um Arbeiten zu schreiben. Das Homeschooling klappt eigentlich ganz gut, ich arbeite viel mit einer Freundin zusammen über Telefon. Nur wenn es zu viele Aufgaben auf einmal gibt, dann stresst mich das.“
Sophie (15 Jahre):
„Ich vermisse am meisten, meinem Hobby nachzugehen. Ich spiele, schon seit ich fünf Jahre alt bin, Fußball. Und in den letzten zehn Jahren habe ich noch nie so eine lange Pause vom Fußball gehabt. Das Fußballtraining war immer ein Highlight für mich. Ich konnte meine Freunde sehen und mich auspowern. Jetzt gibt es eigentlich nichts mehr am Tag, auf das ich mich freue und weswegen ich motiviert durch den Tag gehen kann.“
Louisa (12 Jahre):
„Mir geht es gerade eigentlich ganz gut. Ich vermisse meine Freunde! Das Training im Zirkus fehlt mir sehr, aber ich habe wenigstens Online-Training. Da momentan so schönes Wetter ist, kann man zum Glück viel rausgehen. Am liebsten würde ich Leute aus meiner Familie sehen, die ich sehr lange nicht mehr getroffen habe. Meine Cousine ist jetzt neun Monate alt, und ich habe sie erst drei Mal sehen können. Das Schöne war, dass ich letzte Woche in die Schule durfte und wenigstens ein paar meiner Freunde wieder gesehen habe.“
Aus unserem Schwerpunkt-Thema
- "Mir fehlt die Schule": Lucine Direduryan schreibt über die Pandemie
- Podcast von Fred Fuchs: „Nach dem Hören kann man Dinge erklären“
- Eine Mutter schreibt: Dank an die Jugend!
- Wie sich Eltern und Jugendliche nach einem Jahr Pandemie fühlen
- Gesunde Ernährung für die Familie - welchen Einfluss hat die Werbung?
- Ausflugsziele in der Region - besonders für Familien
- Kulturelles Wissen gefragt: Rätselspaß für Familien
Christoph (17 Jahre):
„Letzte Woche waren meine Abiturprüfungen. Dieses Schuljahr war ich mehr zu Hause als in der Schule. Obwohl ich viel vor dem PC gelernt habe, fühle ich mich ganz gut vorbereitet. Nicht unbedingt, weil die Schule uns gut begleitet hat, sondern weil ich viel Zeit zum Lernen hatte. Außerdem treffen wir uns online zum Lernen, das klappt auch gut. Sonst ist ja auch nichts los. Deswegen ist auch der Lockdown für mich in Ordnung. Von mir aus könnte er auch strenger sein, damit schneller wieder mehr Freizeitaktivitäten möglich sind. Natürlich wünsche ich mir ein Leben ohne Corona und bedauere, dass zum Beispiel unsere Studienfahrt ausgefallen ist und ich weniger mit Freunden unternehmen kann. Aber irgendwann ist es ja auch vorbei. So lange halte ich mich eben an die geltenden Regeln.“
Tanja (46 Jahre):
„Meine Tochter besucht die achte Klasse. Seit fünf Monaten war sie nicht mehr in der Schule, seit fünf Monaten wurde kein Vereinssport für ihre Altersgruppe angeboten, und seit fünf Monaten sitzt sie täglich am Esszimmertisch, neben ihr Bruder oder Schwester oder beide. Warum alle drei an einem Tisch? Weil wir festgestellt haben, dass unsere Kinder sich mit dem eigenverantwortlichen Arbeiten sehr schwer tun und die Aufgaben nicht oder nur sehr schwerfällig erledigen, wenn sie allein in ihren Zimmern sitzen. Für mich ist es auch leichter, Fragen zu beantworten und Hilfestellung zu geben, wenn ich nicht zwischen den Zimmern hin und her laufe. Lustig wird es, wenn auch ich noch dazukomme, um meine Arbeit im Homeoffice zu erledigen. Das Büro ist besetzt, da sitzt mein Mann im Homeoffice. Zuerst hieß es, nach den Weihnachtsferien dürft ihr wieder in die Schule gehen, dann in vier Wochen, irgendwann dann nach den Osterferien. Mittlerweile nimmt meine Tochter die Prognosen nicht mehr ernst und hat Angst davor, dass der Schulbetrieb wieder startet, denn viele Lehrer haben schon geäußert, dass zügig die Arbeiten geschrieben werden – mit dem kompletten Stoff dessen, was sie im Homeschooling gemacht haben, da die Lehrer ja eine Grundlage zur Notengebung haben müssen. Da meine Tochter mittlerweile sowieso schon zermürbt ist, motiviert sie die Aussicht auf mehrere Klassenarbeiten nicht sehr. Wir versuchen, sie zu unterstützen, aber wir sind „nur“ ihre Eltern. Wobei, nein. Derzeit sind wir ihre Eltern, Lehrer, Sporttrainer. Auch für uns Rollen, die wir nicht sein möchten und die uns selber an die Grenze unserer Kräfte bringen, denn es gibt ja nicht nur das eine Kind zu betreuen. Auch die anderen brauchen Unterstützung und Aufmerksamkeit.“
Gerd (54 Jahre):
„Noch kann ich mit den Lockdown-Wellen gut umgehen. Früher hatte ich oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu häufig von zu Hause gearbeitet habe. Jetzt habe ich gelernt, mir Auszeiten zu nehmen, um mich um meine jüngste Tochter zu kümmern, hauptsächlich in Form von Mittagessen kochen. Unsere Wochenenden sind nicht mehr so durchgetaktet. Bei den Kindern sehe ich, dass sie die Umarmung von Freunden vermissen oder auch das Zusammensitzen und Erzählen. Sie machen sich Gedanken, wie sie mit der freien Zeiteinteilung beim Online-Unterricht umgehen. Oder wie man über ein kontroverses Thema wie das Impfen fair diskutieren kann, ohne sein Gegenüber zu beleidigen. Sie zeigen aber auch Unverständnis gegenüber Lehrkräften, die nach über einem Jahr noch immer nicht gelernt haben, wie man einen PC bedient. Quasi ein Thema, bei dem Erwachsene und Lehrer sowie Kinder und Schüler gleichermaßen ins kalte Wasser geworfen wurden und die Lernkurve über beide Altersgruppen gut zu vergleichen ist. Es ist jetzt auch nicht mehr so wichtig, ob eine Lehrkraft nett ist, sondern wie gut sie Lerninhalte aufbereitet, danach steigt die Wertschätzung. Ich vermisse Grillabende, Geburtstagsfeiern, meine Frau die sozialen Kontakte. Zuhause gibt’s keine Entspannung. Es gibt immer was aufzuräumen, zu wischen, zu saugen. Trotzdem wäre alles schlimmer, wenn wir in einem Hochhaus leben würden.“
Kathrin (34 Jahre):
„Ich muss sagen, dass ich echt am Limit bin. Ich bin berufstätige Mutter zweier Kinder und habe das Gefühl, dass Frauen neben den Kindern die großen Verlierer dieser Pandemie sind. Bei uns sitzt die ganze Familie zuhause, es gibt keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen. Wir streiten uns nur noch. Weil alle daheim sind, stapelt sich auch die Hausarbeit. Es muss mehr eingekauft, gekocht und geputzt werden. Von meinem Mann bekomme ich keine Hilfe, er ist voll berufstätig, ich Teilzeit. Anstatt beim Arbeiten auch mal Pause zu machen, räume ich die Spülmaschine aus, sauge oder wasche Wäsche. Mein Mann hat schon vorher nichts geholfen, sagt, er muss arbeiten und hat keine Zeit. Ich bin mit allem allein. Einen Ausgleich gibt es für mich keinen. Und es gibt noch kein richtiges Licht am Ende des Tunnels.“
Lore (83 Jahre):
„Ich möchte mich auch mal als Oma und Mutter zu Wort melden. Mir macht in diesen Zeiten Sorgen, dass meine Enkelkinder teilweise seit fünf Monaten nicht mehr in die Schule gehen konnten. Dass keine sportlichen Aktivitäten angeboten werden, sie keine Freunde mehr treffen können und dadurch viel mehr an elektrischen Geräten sitzen. Ich mache mir auch ganz große Sorgen um meine eigenen Kinder, sie haben es neben ihren Berufen im Homeoffice so schwer, die Kinder zu motivieren. Ich blicke sorgenvoll in die Zukunft, weil man nur uns Alte retten will – und die Jungen dabei völlig vergisst.“
Julia (42 Jahre):
„Meine große Sorge gilt meiner Tochter (12). Sie musste durchgehend seit Dezember allein zu Hause lernen – Distanzunterricht eben mit ganz großer Distanz zur Schule. Leider hat es das von ihr besuchte Gymnasium nicht geschafft, in mehr als einem Jahr einen stundenplanumfänglichen Online-Unterricht auf die Beine zu stellen. Während andere Gymnasien in der Nähe nach Stundenplan unterrichten und damit meist alle Fächer abdecken, erhält meine Tochter in der siebten Klasse nur jeweils einmal die Woche Unterricht in den Kernfächern, auch in der neuen Fremdsprache Französisch. Dabei muss eine bestimmte Lernplattform genutzt werden, bei deren Videokonferenzsystem die Kamera ausgestellt bleiben muss – wegen Kapazitätsproblemen. Das heißt im Klartext, dass pubertierende Teenager seit Monaten mit einem internetfähigen Gerät ungesehen und unangesprochen motiviert am Unterricht teilnehmen sollen. Man kann sich vorstellen, wie das funktioniert.
Zumal es auf abgegebene Aufgaben kaum eine Rückmeldung der Lehrer gibt, höchstens eine Rüge für nicht erledigte Aufgaben. Aufgrund dieser schulischen (Katastrophen-)Situation reibt sich die Familie auf, das pubertierende Kind zum Lernen zu bringen, irgendwie schulisch bei der Stange zu halten und Inhalte in allen Fächern zu vermitteln. Das ist extrem belastend für alle! Man kann sich vorstellen, wie es meiner Tochter geht. Wenige verbleibende Hobbys, Einzeltreffen mit Freundinnen, eine immense schulische Belastung, die einem Studium gleicht, und natürlich die nervenden Eltern. Es ist keine schöne Zeit, für niemanden! Auch nicht für die Lehrkräfte, die außerhalb ihres in Studium und Referendariat Erlernten agieren müssen. Aber wie heißt es so schön: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Warum wir uns schnellstmöglich um die Jugend kümmern müssen