Familienmodelle

Mannheimer Initiative: "Regenbogenfamilien müssen sich immer erklären"

Von 
Lea Seethaler
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© ILSE

Matthias Kück und Sarah Kinzebach von der Initiative lesbischer und schwuler Eltern (ILSE) berichten, wie es sich als solche in Mannheim lebt, wie sie über die Regenbogenfamilie mit ihren Kids sprechen - und warum das Outing ständig stattfindet.

Herr Kück, Frau Kinzebach, Vater- und Muttertag gut verbracht?

Sarah Kinzebach: Ja, wir haben coronakonfrom zelebriert!

Mattthias Kück: Ja! Hier ähnlich, wir waren beim Wandern unterwegs.

Wie sehen ihre Familienkonstellationen aktuell aus?

Kinzebach: Ich habe zu dritt eine Familie gegründet. Mit meiner damaligen Frau und einem guten Freund. Jetzt ist unser Sohn acht. Papa hat, als unser Sohn klein war, zudem noch einen Partner gefunden. Damit sind wir nun vier Eltern. Wir haben also eine Mehrelternschaft. Wir, die Mütter, sind allerdings in der Zwischenzeit getrennt. Also bin ich haupterziehende - und eben in einer Mehrelternschaft (lacht). Wir haben also eine sehr spezielle Familienkonstellation!

Kück: Ich bin Vater in einer Regenbogenfamilie, der neunjährige Sohn lebt bei seinen zwei Müttern.

Wie ist die Lage in Mannheim für Familien wie Sie?

Kück: In der Region wird viel für Regenbogenfamilien und LSBTTIQ-Menschen (Anm. d. Red.: Die Abkürzung steht für schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell, queer) getan. Die Stadt Mannheim ist sehr aktiv, sie ist richtiggehend eine Vorreiterin mit den zwei LSBTTIQ-Beauftragten, die unsere Initiative lesbischer und schwuler Eltern (ILSE) sehr unterstützen. Zum Beispiel ist Stiefkindadoption ein großes Problem für uns. Die nicht-leibliche Mutter muss, obwohl beide verheiratet sind, das Kind adoptieren in einem langwierigen Verfahren. Die Stadt Mannheim, bzw. das Jugendamt, hat sich hier aber bereit erklärt, auf die sogenannte Adoptionspflegezeit zu verzichten. Sie ist ein längeres Kennenlernen vor der Adoption. Das kann bis zu einem Jahr sein, bis dann das Adoptionsverfahren gestartet wird. Die Anzahl der pädagogischen Gespräche hat die Stadt zudem von drei auf zwei reduziert. Man merkt, dass hier Bereitschaft da ist, und alle Ermessensspielräume genutzt werden. Oder beim Familienpass, da hat das Rathaus die Option geschaffen, bis zu fünf Personen einzutragen.

Welche tiefere Problematik sehen Sie hinter der Stiefkindadoption?

Kück: Wenn in eine „normalen“ Ehe ein Kind hineingeboren wird, wird das keiner hinterfragen. Da gibt es keine Frage. Das Kind wird geboren, und der Mann ist der Vater. Bei einer gleichgeschlechtlichen Ehe muss die eingangs erwähnte Stiefkindadoption durchgeführt werden. Auch wenn ein zweites Kind kommt. Dann geht die Sache wieder von vorne los. Das heißt, die Frau die adoptieren will, muss einen Lebensbericht ablegen. Da kommt jemand vom Jugendamt, schaut sich die Wohnung an. Macht Hausbesuche, schaut ins Schlafzimmer. Stellt Fragen. Und: Dann kommt die Adoptionspflegezeit. In der gibt es eine rechtliche Unsicherheit. Würde zum Beispiel die Mutter versterben, hätte die Ehepartnerin eigentlich keine Rechte. Obwohl das Kind in eine Ehe hineingeboren ist. Wir haben ja jetzt die Ehe für alle.

ILSE ist ein Zusammenschluss von lesbischen und schwulen Eltern unter dem Dach des LSVD (Lesben und Schwulen Verband Deutschlands).

ILSE kämpft für neue Regelungen im Abstammungsrecht und unterstützt unterstützt lesbische, schwule, bi-, trans- und queere Eltern mit Infos zu rechtlichen, politischen und sozialen Anliegen. see

… aber nicht die Familie für alle.

Kück: So ist es. Da gibt es noch starke Diskriminierung. Sarah zum Beispiel, hat das hautnah erlebt.

Kinzebach: Genau. Einmal durch das demütigende Adoptionsverfahren, weil man sich so nackt machen muss. Und die Heterosexuellen müssen das nicht. Das Kind in ihrer Ehe könnte ja auch von einem anderen Vater sein, aber sie müssen diese Schritte nicht gehen. Das finde ich sehr unfair. Dadurch wird die eine Frau zu einer Mutter zweiter Klasse degradiert. In dem Moment, wo sie zur Bittstellerin wird und sagt: „Ich möchte auch Mama sein“. Aber das ist doch alles schon da, mit dem Wunsch, dass wir ein gemeinsames Kind wollen. Durch die Schwangerschaft und bei der Geburt. Und da wurde ja bei Gericht schon entschieden, dass das diskriminierend ist und dass die Bundesregierung da eine Rechtssicherheit und Klarheit schaffen muss.

Kück: Die Richter des Oberlandesgerichts Celle haben zuletzt gezeigt, dass die jetzigen Regelungen zur Stiefkindadoption verfassungswidrig sind. Deswegen geht das jetzt ans Bundesverfassungsgericht. Das kann zwar dauern, bis da was passiert. Aber unser Hauptanliegen ist: Das Abstammungsrecht muss angepasst werden. Also, dass für ein Kind, das in eine Ehe hineingeboren wird, automatisch beide Mütter oder beide Väter Elternteile sind. Der Gesetzesentwurf liegt schon lange vor. Momentan sieht es so aus, als muss das Bundesverfassungsgericht eine Vorgabe machen, dann wird reagiert. Wir hoffen, dass es in dem Fall schneller geht.

Kinzebach: Ja, denn das Ganze hat ja auch eine Auswirkung auf die Gesellschaft. Es hätte dann alles eine andere Qualität. Dass die Menschen verstehen: Das ist das gleiche. Wir sammeln ja diese diskriminierenden Erfahrungen im Alltag. In der Schule zum Beispiel. Da wurden wir als einziges Familienpaar nach der Geburtsurkunde gefragt. Und da sind Eltern, die tragen sich einfach in die Liste ein, das war‘s. Bei anderen wird der Nachweis verlangt. Aber nach Gesprächen mit dem Sekretariat hat es dann geklappt und es war wieder in Ordnung.

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Wie haben andere auf Ihr Lebensmodell reagiert?

Kück: Meinem Eindruck nach läuft das ganz gut. Die Regenbogenfamilien sind eigentlich gut integriert. Wir haben keine Erfahrung gemacht bei ILSE mit Diskriminierung in der Kita oder Grundschule. Es ist immer so ein bisschen ein alltäglicher Kampf. Regenbogenfamilien müssen sich immer erklären. Keiner würde eine „normale“ Familie fragen: Wie habt ihr das Kind gezeugt? Die Frage ist eigentlich verständlich, aber ein bisschen übergriffig. Man fragt sich halt, wie funktioniert das. Aber normalerweise stellt man so eine Frage nicht. Allgemein wollen wir von ILSE das Thema Regenbogenfamilie schon an die Öffentlichkeit bringen. Aber für die Familien im Privaten ist es manchmal einfach ermüdend und anstrengend. Aber alles in allem läuft es gut. Wenn man offen damit umgeht, kommt die Offenheit zurück. Das ist auch meine Erfahrung. Mein Sohn hatte keine Probleme an Kindergarten und Grundschule. Soweit ich das sehen kann, oder für ILSE sprechen kann: Regenbogenfamilien sind gut integriert.

Kinzebach: Also als ich gesagt habe, ich werde eine Familie gründen, war das für alle eine Überraschung. Meine Mutter hat, bis das Kind auf die Welt kam, nicht daran geglaubt. Das geht nicht, dachte sie. Aber nun gibt es keinen Unterschied mehr zwischen meiner Schwester und mir. Auf der Arbeit war es ein bisschen komisch, auch weil ich vorher noch nicht geoutet war. Aber an für sich empfinde ich es auch wie Matthias, dass wir angenommen werden und dass es okay ist. Nichts desto trotz findet das Outing ständig statt. Mein Sohn muss sich outen, dass er homosexuelle Eltern hat. Manchmal tut er es. Manchmal nicht. Es ist ihm überlassen. Als er vier war, gabs im Kindergarten keine Probleme. Es wurde schnell klar: „Ah das ist Mami, das ist Mama.“ Aber in der Schule mit sechs Jahren, da hat ein Kind gesagt, das geht nicht, dass das zwei Mamas und zwei Papas machen. Das hat ihn sehr bestürzt. Und beschäftigt. Wir mussten das entsprechend begleiten. Haben dann gesagt: Du bist eben reich an Eltern. Wo andere zwei haben, hast du sogar noch mehr. Und das ist für ihn ein Vorteil. Das merkt er auch heute, er fühlt sich gut. Er wird total umsorgt.

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Wie redet man mit den Kindern am besten darüber?

Kinzebach: Zwei Dinge sind wesentlich bei Regenbogenfamilien. Man muss absolut zu seiner eigenen Homosexualität stehen. Hab ich Schwierigkeiten, wird mein Kind genauso Probleme haben. Aber wenn ich „loud and proud“ (Anm. d. Red: deutsch: laut und stolz) rausgehe, und sage: ja ich bin das und ich stehe dazu, dann merken das auch die Kinder. Wenn ich mich oute, mich zeige - und nicht versuche hetero zu wirken, merkt auch das Kind: Mama kann damit umgehen, dann kann ich das auch. Das zweite ist, das Selbstbewusstsein zu stärken. Zu sagen, ja es gibt den Klassiker „Mama, Papa und Kind“. Aber es gibt auch ganz viele verschiedene andere Familien. So wie es auch vom Aussehen ganz viele verschiedene Menschen gibt. Mein Sohn ist sehr selbstbewusst. Wir gehen offen mit unserer Homosexualität um - und er macht das genauso. Wenn jemand schwulen- oder lesbenfeindliche Anfeindungen äußert, dann steht er auf und sagt: „So sprechen wir nicht.“

Kück: Das ist ja auch der große Sinn von ILSE, dass die Eltern ein Forum haben, wo sie sich austauschen können. Wo sie über Ängste und Sorgen reden können. Das man mal eine Situation hat, wo man sich nicht erklären muss. Jemand von ILSE hat das mal „Krafttankstelle“ genannt. Weil man das dort eben nicht tun muss. Und: Die Kinder kommen da hin und sehen, es gibt noch ganz viele andere Regenbogenkinder. Es ist normal. Und was übrigens auch oft verwechselt wird: Die Kinder sind nicht queer. Da gibt es den normalen Prozentsatz an queeren Kindern wie bei anderen Familien auch. Bei ILSE kommen auch oft Ängste raus: Muten wir den Kindern etwas zu, sie in solche Familienkonstellationen reinzuholen? Und sie müssen dann da aufwachsen. Da gibt es viel Literatur und auch ein Format von ILSE Baden-Württemberg, bei dem drei erwachsene Regenbogenkinder erzählen: „Das ist kein Problem. Wir sind geliebt worden, wir haben eine schöne Kindheit gehabt. Macht euch keine Sorgen!“ Und das richten sie explizit an die jungen Regenbogenfamilien. Und was man auch sagen muss: Regenbogenkinder sind immer absolute Wunschkinder. Da gibt es keinen Pillenunfall oder so. Im Gegenteil. Es ist mit sehr viel Mühe verbunden und ein langwieriger Prozess bis zu dieser Familie zu gelangen. Und den nimmt man auf sich.

Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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