Walldorf. Muss ein exklusives Vorschlagsrecht für Aufsichtsratssitze, das Gewerkschaften zusteht, auch gewahrt bleiben, wenn sich ein deutsches Unternehmen die Rechtsform einer Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea, SE) gibt? Zu dieser Frage schwelt seit Jahren ein Streit - nun ist er zum ersten Mal vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verhandelt worden. In dem Fall stehen sich die beiden Gewerkschaften IG Metall und Verdi sowie der Walldorfer Softwarekonzern SAP gegenüber.
Generalanwalt gefragt
Ende April könnte der zuständige Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs seine Schlussanträge in dem Verfahren stellen. Sie haben den Charakter von Gutachten, im Grunde sind sie ein Urteilsentwurf. Unabhängig davon entscheiden die Richter einige Monate später.
Nachdem nun erstmals die Positionen vor dem Europäischen Gerichtshof ausgetauscht wurden, sind die Gewerkschaften guter Dinge. Es habe ein positives Signal gegeben „für die Rechte der Beschäftigten und die Mitbestimmung insgesamt“, sagt Christiane Benner, stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, laut Mitteilung. Christoph Meister, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand, ist der Ansicht: Es sei deutlich zum Ausdruck gebracht worden, dass die Rolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften im Aufsichtsrat auch dann zu wahren sei, wenn Unternehmen ihre Rechtsform änderten. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung ist nach eigenen Angaben optimistisch, dass die Mitbestimmung bei SAP „uneingeschränkt sichergestellt“ werden wird. Der Softwarekonzern selbst äußert sich zu dem laufenden Verfahren nicht.
Klagen durch die Instanzen
Worum geht es genau? 2014 wandelte sich SAP von einer nationalen Aktiengesellschaft (AG) in eine Europäische Gesellschaft um. Dabei wurde die Zahl der Sitze im Aufsichtsrat von 16 auf aktuell 18 erhöht. Neun davon sind für Vertreter der Arbeitnehmer vorgesehen. Davon dürfen Gewerkschaften einen Sitz - unter gewissen Voraussetzungen sogar zwei Sitze - mit einem Vertreter besetzen.
Allerdings sieht eine Vereinbarung, die bei der Umwandlung geschlossen worden ist, auch vor, dass die Zahl der Sitze im Aufsichtsrat auf zwölf reduziert werden kann. Dies führt jedoch dazu, dass die festen Sitze für die Gewerkschaftsvertreter entfallen.
Daran stören sich IG Metall und Verdi, weil sie so ihr exklusives Vorschlagsrecht verlieren würden. Die Gewerkschaften klagten und scheiterten damit in den Vorinstanzen, dem Arbeitsgericht Mannheim und dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Das Landesarbeitsgericht argumentierte, es gebe keinen gesetzlichen Schutz für das gewerkschaftliche Vorschlagsrecht.
Das Bundesarbeitsgericht versteht das deutsche Recht hingegen so, dass IG Metall und Verdi recht haben. Entscheidend ist, ob dieses Selbstverständnis deutschen Rechts auch mit Vorgaben der Europäischen Union vereinbar ist. Genau das soll der Europäische Gerichtshof nun prüfen.
Haben die Luxemburger Richter ihr Urteil gefällt, kommt der Fall zurück an das Bundesarbeitsgericht nach Erfurt. Bis zu einer endgültigen Entscheidung kann also durchaus noch einige Zeit verstreichen.
Europäischer Gerichtshof (EuGH), Rechtssache C-677/20
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