Interview - Hansjörg Roll ist Technik-Vorstand bei der Mannheimer MVV. Im Interview spricht er über nicht betriebsbereite Blöcke beim Grosskraftwerk, Gas aus Russland und den kommenden Winter.

MVV-Vorstand Roll: „Wir drehen 2035 nicht den Gashahn zu“

Von 
Martin Geiger
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MVV-Technik-Vorstand Hansjörg Roll ist zugleich Aufsichtsratschef des Grosskraftwerks Manheim (GKM). © Thomas Tröster

Mannheim. Die Mannheimer MVV will den fossilen Brennstoff durch klimaneutrale Alternativen ersetzen – nur ein Energiethema, über das zurzeit sehr viel diskutiert wird. Kaum einer versteht von ihnen so viel wie Hansjörg Roll, Technik-Vorstand der MVV. 

Herr Roll, es gibt so viel zu besprechen, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll – vielleicht beim aktuellsten Thema: Beim Grosskraftwerk Mannheim (GKM), wo Sie Aufsichtsratsvorsitzender sind, hieß es zuletzt, dass drei von vier Blöcken nicht betriebsbereit sind. Wie ist die Lage zurzeit?

Hansjörg Roll: Die Fernwärme für die Mannheimer und die Region war und ist sicher. Und zwar dank der Vielzahl unserer Erzeugungsquellen. Das GKM läuft. Zuletzt hatte es für wenige Stunden ein mechanisches Problem an einem Förderband gegeben, das wurde in kurzer Zeit behoben. Dass nach der Winterperiode Revisionsarbeiten an Kraftwerksblöcken gemacht werden, ist etwas ganz Normales. Die dauern im GKM aber leider länger als in anderen Kraftwerken, weil dort Überstunden häufig nicht genehmigt werden.

Das GKM nutzt Kohle für die Energieerzeugung. Am heftigsten wird zurzeit aber über die Gasversorgung debattiert. Bezieht die MVV auch Erdgas aus Russland?

Roll: MVV bezieht ihr Gas von Vorlieferanten. Rund 50 Prozent des nach Deutschland importierten Gases kommen aus Russland.

Hansjörg Roll

  • Hansjörg Roll wurde 1965 in Offenburg geboren.
  • Er studierte Chemieingenieurwesen an der Technischen Hochschule Karlsruhe und promovierte in Ingenieurwissenschaften.
  • Nach Tätigkeiten beim Energiekonzern EnBW kam Roll 2003 zur MVV Energie, wo er seit 2015 Vorstand ist.

 

Was würde es für die MVV und ihre Kunden bedeuten, wenn der Hahn, von wem auch immer, plötzlich zugedreht wird?

Roll: Sollte Russland einen Lieferstopp beschließen und eine Mangellage eintreten, gibt es fest definierte Notfallpläne, die dann greifen: In der letzten Stufe würde die Bundesnetzagentur die Gasmengen zuteilen. Dann könnte es unter Umständen sein, dass Industriekunden ihren Verbrauch reduzieren oder ihre Anlagen ganz abschalten müssten. Auf die Haushaltskunden hätte das aber keine Auswirkungen, weil sie geschützte Kunden sind, deren Versorgung auch dann sichergestellt wäre.

Das heißt, Sie können ausschließen, dass die Wohnungen der rund 22 000 Haushalte in Mannheim, die eine Gasheizung haben, im nächsten Winter kalt bleiben?

Roll: Haushaltskunden sind wie gesagt geschützte Kunden. Das hat der Gesetzgeber bewusst so eingerichtet. Derzeit gibt es genügend Gas in den Leitungen und Speichern. Was im Winter ist, kann heute niemand seriös beantworten. Aber Stand heute kommen ja 50 Prozent des Erdgases eben nicht aus Russland. Die Importeure unternehmen große Anstrengungen, den Anteil russischen Gases weiter zu senken.

Apropos Gas: Unser Bericht, dass die MVV ab 2035 kein Erdgas mehr liefert, hat viele Leser-Reaktionen ausgelöst. Wie war es bei Ihnen?

Roll: In den Tagen danach war in unseren Kundenzentren sehr viel los. Teilweise ist bei einigen Lesern offenbar der Eindruck entstanden, wir drehten 2035 in Mannheim den Gashahn zu. Deshalb ganz klar: Da ist nicht so! Über unser Gasnetz liefern wir jedem Kunden, der das möchte, auch nach 2035 noch Gas – dann allerdings ein klimaneutrales anstatt Erdgas: also eine Alternative wie etwa Biomethan oder Wasserstoff.

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Reicht die Zeit für den dafür notwendigen Umbau des Gasnetzes?

Roll: Ja, den Umbau können wir geordnet und sukzessive vornehmen. Wir haben von unserem vorgelagerten Netzbetreiber die Zusage, dass wir in Mannheim ab 2030 ans Wasserstoffnetz angeschlossen sein werden. Und der Ukrainekrieg wird den Umstieg vom fossilen Erdgas auf „grüne“ Alternativen wie Wasserstoff noch beschleunigen.

Braucht man für „grünes“ Gas eine neue Heizung?

Roll: Die Gasheizungen können problemlos auch Biomethan nutzen. Für den Betrieb mit Wasserstoff muss man in der Regel das Brennersystem ändern. Bei ganz alten Systemen kann auch ein Austausch erforderlich werden.

Und wer bezahlt das?

Roll: Der Umbau der Infrastruktur kostet Geld. Wir wissen aber auch: Diese Investitionen in eine nachhaltige Versorgung zahlen sich aus. Im Übrigen auch für die Verbraucher, da alternative Heizlösungen durch Fördermittel angereizt werden. Langfristig profitieren alle davon. Nicht zuletzt die Umwelt.

Wenn die MVV aus Klimaschutzgründen ab 2035 kein Erdgas mehr liefert, wie passt es dann dazu, dass Sie am Rheinufer und auf der Friesenheimer Insel zwei Heizwerke bauen, die in Spitzenzeiten und Notfällen Fernwärme produzieren sollen – und zwar mit Erdgas?

Roll: Das passt sehr gut dazu, weil wir planen, diese Anlagen ab Ende der 2020er Jahre mit Biomethan zu betreiben. Eventuell nutzen wir auch Wasserstoff – aber auf jeden Fall werden diese Anlagen ab 2030 mit klimaneutralem Gas befeuert.

Ärgert es Sie inzwischen, dass Sie auf den einst geplanten Öltank am Rheinufer verzichtet haben?

Roll: Wir haben unsere Pläne damals angepasst, als uns der vorgelagerte Gasnetzbetreiber garantiert hat, die benötigten Kapazitäten liefern zu können. Aber der Krieg hat die Lage natürlich verändert. Darum kann es schon sein, dass wir uns Ende diesen oder Anfang nächsten Jahres noch mal überlegen müssen, ob wir nicht doch einen Öltank brauchen.

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Was machen Sie eigentlich mit Ihrem Gaskraftwerk in Kiel, das erst 2020 in Betrieb gegangen ist?

Roll: Bereits heute sparen wir durch das Küstenkraftwerk rund eine Million Tonnen CO2 pro Jahr – das sind 70 Prozent weniger Emissionen gegenüber dem Vorgänger. Spätestens bis 2040 werden wir es aber auch auf Wasserstoff umstellen und durch Großwärmepumpen ergänzen.

Kommen wir zurück nach Mannheim. Sie haben angekündigt, das Fernwärmenetz auszubauen. Wissen Sie schon wo und wann?

Roll: Wir nehmen aktuell eine sehr detaillierte Analyse vor und werden Mitte nächsten Jahres Klarheit darüber haben. Wir werden unsere Kunden dann frühzeitig informieren. Ich gehe davon aus, dass sich der im Vergleich zum Bundesdurchschnitt schon sehr hohe Anteil der Fernwärme von derzeit etwa 65 Prozent in den nächsten zehn Jahren noch deutlich erhöhen wird. Aber am Ende ist das immer eine Entscheidung der Kunden. Denn von einem Anschlusszwang halten wir nichts. Außerdem wird es immer auch Stadtteile geben, wo es wirtschaftlich sinnvollere Alternativen gibt wie etwa Wärmepumpen.

Die Fernwärmeerzeugung wollen Sie bis 2030 auf als klimaneutral eingestufte Techniken umstellen, unter anderem Geothermie: Wo werden die Anlagen stehen, die Sie gemeinsam mit der EnBW südlich von Mannheim bauen wollen?

Roll: Das steht noch nicht fest. Wir gehen zwar fest davon aus, dass es geologisch geeignete Standorte gibt. Diese müssen dann aber weitere Kriterien erfüllen: Sie dürfen nicht in einem Wasserschutzgebiet liegen, müssen sich gut ans Fernwärmenetz anschließen lassen und sollten bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Akzeptanz stoßen. Solche Fragen werden wir in ein paar Monaten diskutieren, wenn die Auswertung der geologischen Daten abgeschlossen ist. Es kann aber auch sein, dass wir in einzelnen Bereichen noch zusätzliche geologische Messungen vornehmen müssen.

Wann könnten die bis zu drei Anlagen in Betrieb gehen?

Roll: Wenn alles perfekt läuft, vielleicht 2024. Realistischer ist aber 2025 oder 2026.

Sie haben auch einen Vertrag mit dem Lithium-Unternehmen Vulcan abgeschlossen, das Ihnen Wärme für 20 000 Haushalte aus einer Geothermie-Anlage im Raum Mannheim verkaufen will. Haben sich damit die Pläne für ein zweites Biomasse-Kraftwerk erledigt?

Roll: Nein. Die Kooperation mit Vulcan ist für uns eine zusätzliche Chance, um mehr erneuerbare Wärme zu bekommen. Das Biomasse-Projekt ist davon unabhängig. Wir entwickeln es weiter und werden in ein, zwei Jahren die Entscheidung treffen, ob wir es umsetzen. Der wesentliche Faktor wird dann voraussichtlich die Verfügbarkeit der Biomasse sein und wie sie im Hinblick auf Nachhaltigkeit bewertet wird.

In Kürze präsentieren Sie Ihre neuesten Geschäftszahlen, zuletzt waren Sie auf Rekordkurs: Profitieren Sie von den hohen Energiepreisen?

Roll: Ganz klar: nein. Wir verdienen nicht an den gestiegenen Preisen zulasten unserer Kunden und wollen das auch gar nicht. Wir haben gute Ergebnisse, weil wir in den vergangenen Jahren jeweils zwischen 300 und 350 Millionen Euro investiert haben und sich das nun auszahlt. Wir ernten also die Früchte, die wir früher gesät haben.

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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