Mannheim. Ein Vogelschrei hallt durch die Luft, als der Wind die Baumkronen zum Rauschen bringt. Gerade rechtzeitig wandert der Blick nach oben, um den Schwarm grüner Papageien zu sehen, der krächzend die Allee entlangfliegt. Wären da nicht die Autos und das entfernte Großstadtrauschen von der Alten Feuerwache - man würde denken, man sei mitten im Dschungel. Wahrscheinlich auch deshalb gilt die Max-Joseph-Straße mit ihren Platanen, streunenden Katzen und exotischen Vögeln als Vorzeigestraße der Neckarstadt-Ost.
Wer hier wohnt, der kommt nicht umhin, sich über die einst aus dem Luisenpark entflohenen Papageien zu wundern, die verwunschenen Hinterhöfe zu lieben und die hart umkämpfte Parkplatzsuche inklusive verdrecktem Auto am Morgen zu verteufeln. Was die Neckarstadt ausmacht, ist neben ihre Vielfalt auch ihre gespaltene Persönlichkeit - im positivem Sinn. Die wird spürbar, sobald man erklärt, woher man kommt. Nicht selten folgt darauf die Frage: „Ost oder West?!“
Fakten zur Neckarstadt-Ost
- Die Neckarstadt-Ost ist der Stadtteil mit der höchsten Bevölkerungsdichte in Mannheim: 16 410 Menschen leben hier pro Quadratkilometer. Der Durchschnitt über alle Stadtteile liegt bei 2207.
- Das Durchschnittsalter der Bewohner des Stadtteils liegt bei 42,6 Jahren.
- In gerade mal 13,9 Prozent alle Haushalte des Stadtteils wohnen Kinder – leicht unter dem stadtweiten Durchschnitt von 17 Prozent.
- An der Stelle des heutigen Alten Meßplatzes in der Neckarstadt-Ost war bis Ende des 18. Jahrhunderts die Neckarschanze als Vorwerk, um die Brücke vor Angriffen zu sichern.
- Das Capitol wurde 1927 von Georg Müller gegründet. Der erste Film im damaligen Kino hieß „Sonnenaufgang“.
Wie kein anderer Stadtteil ist die Neckarstadt geteilt: in den rauen aber charmanten Westen und den sanften, immergrünen Osten. Der erstreckt sich vom Alten Meßplatz, entlang der Waldhofstraße bis runter zum Neuen Messplatz vorbei am Herzogenriedpark bis hin zur Friedrich-Ebert-Brücke und wieder zurück. Wo genau die Grenze zwischen Ost und West verläuft, darüber herrscht aber bis heute Uneinigkeit. Die undeutliche Trennung liegt wohl auch daran, dass sich die Hinterhöfe oft auf erstaunliche Weise gleichen, hochgewachsene Bäume ganze Straßen und Plätze einrahmen und blühende Gemeinschaftsgärten das gemeinsame Ackern fördern.
Einen seltenen Einblick in die Hinterhöfe macht der grenzübergreifende Hofflohmarkt „Neckar Schätze“ möglich. Dabei rücken aber die Sachen, die die Neckarstädter dort an den Mann und die Frau bringen wollen, in den Hintergrund. Die eigentlichen Stars sind die Hinterhöfe - grüne Oasen, die sich mal auf wenigen Quadratmetern, mal üppig hinter den Altbaufassaden der Häuser verstecken. So finden sich in den Hinterhöfen Ateliers, blühende Gärten oder Gemüsebeete für die Nachbarschaft.
Als Kind des Ostens ist für mich dieser Teil der Neckarstadt auch deshalb vor allem eins: wunderschön, wild verwachsen und damit so grün wie kaum ein anderes Viertel in Mannheim. Am besten überblicken lässt sich das alles oben auf dem Riesenrad, das zweimal im Jahr mit der Mannheimer Mess auf dem Neuen Messplatz aufgebaut wird. Hier gibt es auch einen der größten Freiluft-Flohmärkte, den Krempelmarkt. Aber zurück ins Grüne: Wie viel Natur im Viertel steckt, zeigt ein Blick in meine Kindheit: Schon als Baby verbrachte ich meine Tage sabbernd aber glücklich mitten im Grünen auf einer Decke im Herzogenriedpark - neben unzähligen anderen Kindern, deren Mütter sich bei gutem Wetter und wann immer möglich - zum Plausch hier verabredet hatten. Die ersten Schritte folgten barfuß auf der großen Parkwiese, die ersten Abenteuer in den verschlungenen Höhlengängen auf dem Spielplatz. Auch heute noch nutzen Familien den Park als persönlichen Garten, begeistern die Wollschweine Generationen von Kindern.
Längst erwachsenen, ist der Ausflug in den Park für mich zum Sporttreiben zur Gewohnheit geworden. Danach folgt nicht selten ein Abstecher in die kleinen aber feinen Cafés und Restaurants entlang der Langen Rötterstraße. Dort sitzt man mit einer Tasse Milchkaffee in der Hand - Dank ausladender Baumkronen - immer schön schattig, lässt sich der Abend bei einem Glas Wein samt köstlicher Tapas oder französischen Baguettes ausklingen.
Tatsächlich schlägt aber das Herz der östlichen Neckarstadt im vorderen Teil der Langen Rötterstraße. Hier gibt es alles, was die Städter lieben: von besonderen Schätzen aus dem Boutiqueladen über Biogemüse und Blumen bis hin zu frischen Brötchen vom Bäcker.
Paketannahme oder Bankgeschäfte lassen sich jenseits vom Trubel in der Innenstadt bequem bei der Post erledigen, der freundliche Apotheker gibt Tipps bei Schnupfen, Fieber oder anderen Problemchen und will immer wissen, wie es der Omi so geht. Kurz gesagt - hier kennt jeder jede. Und gerade an schönen Sommertagen versammeln sich die Neckarstädter gerne „vonne an der Adria“, wie man hier sagt. In der Pizzeria samt Eiscafé gibt es zwar keinen Strand mit einer Brise Meeresluft, dafür aber Biergartenflair mit italienischer Pizza und Eis sowie vor allem eins: die neusten Gerüchte und gesellige Abende. Nicht selten wehen dabei Klänge von Livekonzerten an der Alten Feuerwache oder vom Sportpark Alter herüber und laden zum Tanzen ein.
Besonders beliebt in der Neckarstadt ist aber das Sitzen am Fluss, der dem Viertel ja seinen Namen gegeben hat. Das Grillen und Chillen zieht hauptsächlich Heranwachsende an, die nicht selten hier Geburtstage oder bestandene Prüfungen feiern. Direkt am Ufer gibt es dann auch ein Wiedersehen mit den Papageien: Die lieben es nämlich, bei Dämmerung lautstark von einem Baum zum nächsten zu fliegen - schließlich hat man von dort oben den besten Blick über den Fluss und die Neckarstadt.
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