Mannheim. Wer Sandhofen kennenlernt, kann die knapp 14 000 Einwohner, die hier leben, zunächst kaum fassen. Denn wer die Schönauer Straße in Richtung Karl-Schweitzer-Park läuft, erlebt „Sunthove“, wie es 888 im Lorscher Codex erstmals hieß, kaum als Stadtteil, sondern als Dorf – und das im besten Sinne des Wortes.
Denn in Sandhofen, das habe ich in knapp drei Jahrzehnten, die ich hier leben darf, gelernt, gibt man acht aufeinander. Auf dem Trottoir wird hier nicht nur gegrüßt: Man interessiert sich auch. Wer den anderen in diesem Vorort nach seinem Befinden fragt, stellt diese Frage nicht aus purer Höflichkeit. Man kennt sich – und das bei Weitem nicht nur, wenn der Gesprächspartner zufälligerweise in der gleichen Straße wohnt. Wenn beim Wochenmarkt am „Stich“, wie die Sandhöfer das Areal rund um die Straßenbahn-Endhaltestelle liebevoll nennen, die wichtigsten Einkäufe erledigt sind, entspinnen sich Debatten, die andauern, tiefer gehen – und bleiben.
Wer auf zwischenmenschliche Werte achtet, dem kann dieser besondere Geist nicht entgehen. Mir persönlich hat das unmissverständlich vor Augen geführt: Sandhofen ist nicht nur jener nördlichste Fleck Erde, an dem Mannheim in Richtung Hessen hin endet – es ist auch ein Ort, an dem unendlich vieles beginnt. Und das nimmt schon bei der Geschichte seinen Lauf. Denn statt sich der Tatsache zu schämen, in NS-Zeiten die Außenstelle eines Konzentrationslagers im Ortskern beherbergt zu haben, formiert sich in den 90er Jahren ein Verein, der die Gedenkstätte aufbaut, mit Inhalt füllt und so ein deutliches Zeichen des Erinnerns schafft, wo einst Leid und Zwangsarbeit herrschten. Dass in der heutigen Gustav-Wiederkehr-Schule Grundschüler auf ihr Leben vorbereitet werden und selbst Kinder durch spezielle Programme ganz sensibel an die vorbelastete Vergangenheit des Gebäudes herangeführt werden: Auch das ist Sandhofen.
Lebendige Historie
Doch selbst einen Steinwurf von der Schule entfernt warten weitere Anfänge, die das Zurückliegende umarmen. Rund um das Kriegerdenkmal, das an die Gefallenen früherer Schlachten erinnert, erinnert nicht nur das Gasthaus „Zum Adler“ an freudige Zusammenkünfte: Wenn pandemische Zeiten es nicht untersagen, ist dies auch der Platz, an dem sich Sandhofen in alljährlicher Treue zur Kerwe verabredet. Ein Fest, das wirklich begangen wird, von starken Vereinen und Schaustellern geprägt, die gerne kommen. Weil man sich schätzt, lokale Betriebe an einem Strang ziehen und so Vertrauen entsteht, das anhält.
Fakten
Sandhofen hat die niedrigste Bevölkerungsdichte in Mannheim. Nur 519 Menschen leben hier pro Quadratkilometer.
Sandhofen ist flächenmäßig der größte Stadtteil Mannheims: 2685 Hektar umfasst das Gebiet, zu dem Blumenau, Kirschgartshausen, Sandtorf und Scharhof gehören.
Auf 1000 Sandhofener Haushalte kommen 1001 Privat-Pkw.
Sandhofen wächst: Laut Prognosen der Stadt werden bis 2039 11 Prozent mehr Menschen in Sandhofen leben.
Das Mannheimer Klärwerk in Sandhofen reinigt täglich im Durchschnitt 87 000 Kubikmeter Abwasser.
Der Stadtteil bietet seinen Bewohnern viel Natur, das Rheinufer und die Flächen zwischen Fluss und Wilhelmswörthweiher bieten vielfältige Möglichkeiten zu Spaziergängen oder Radtouren. jwd
Geistlicher Zuspruch
Auch wer geistlichen Zuspruch sucht, findet einige wenige Meter weiter, in der Dreifaltigkeitskirche, Zuflucht. Dass die Pfarrkräfte sich an diesem prachtvollen Ort mit dem steinernen Brunnen und dem Rufer auf dem Vorplatz stets darauf verstanden, jungen Menschen Werte von Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe zu vermitteln, aber gleichzeitig Ältere aufzufangen, hat mir schon als Jugendlicher sehr imponiert. Es ist eine Begeisterung, die geblieben ist.
Wenn es nach mir ginge: Sandhofen hätte genau dieser Ort bleiben können. Dieses ehemalige, beschauliche Fischerdorf, das durch seine landwirtschaftlichen Flächen und den reichhaltigen Tabakanbau selbst Branchenriesen wie Reval oder Ernte 23 mit seinen Erzeugnissen versorgte, den Charme der Natur dabei jedoch stets ausdrücklich bejahte. Ein Stück weit hat es mir deshalb das Herz gebrochen, dass so viele Felder, durch die ich als kleiner Bub noch spielend rannte, zu Bauland wurden, um sich rund um die Groß Gerauer-Straße in ein Neubaugebiet zu verwandeln. Als Sandhöfer kann ich freilich begreifen, dass dieser Platz – speziell auch für junge Familien – an Attraktivität gewinnt, deshalb wachsen soll und sich demnach einer mutigen Erneuerung stellt. Gleichzeitig hoffe ich, dass das Konzentrierte, Kondensierte, Persönliche dieses Stadtteils auch mit seiner Vergrößerung erhalten wird. Und wenn ich dann doch einmal meinen vollkommenen Frieden brauche, laufe ich einfach ans Altrheinufer neben der Xylon-Werft, wo allein Schwäne, Enten und die Fähre Richtung Friesenheimer Insel die Stille durchstoßen. Der Rest ist dann erhabene Idylle.