Mannheim. Morgens, kurz nach Kassenöffnung am Spinelli-Haupteingang. Drinnen, hinter dem Drehkreuz, singt ein Chor – aber der ist gekommen, um Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) den Marsch zu blasen, der zufällig am selben Tag auf der Buga unterwegs ist wie Ursula Moritz vom Naturschutzbund Nabu, Wolfgang Schuy, Vorsitzender der Mannheimer BUND-Kreisgruppe, und Rolf Dieter, Altstadtrat der Mannheimer Liste und Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) und des Dossenwaldvereins. Die Drei können aber trotzdem ein Lied singen – von fundamentalen Problemen, fragwürdigen Details, aber durchaus auch Positivem auf Spinelli und in der Feudenheimer Au.
Großer Fan – und Kritiker
Dieter ist, ähnlich wie Schuy, von Anfang an in die Diskussionen und kommunalpolitischen Auseinandersetzungen um die Konversion und die Bundesgartenschau involviert gewesen. Als Jurist hat er zudem Kleingärtner vertreten, deren Parzellen durch den Bau des Radschnellwegs bedroht waren. Trotz großer, teils heftiger Kritik an der Buga ist Rolf Dieter aber als Ehrenamtlicher der SDW auf deren Buga-Stand regelmäßig aktiv.
Auf dem Weg in Richtung Pavillon des Landes Baden-Württemberg, wo sich schon das Empfangskomitee für den hohen Gast aus Berlin bereit macht, outet sich Wolfgang Schuy überraschend als großer Fan und Dauerkartenbesitzer, der regelmäßig und gerne nach Spinelli und in den Luisenpark kommt. Sein Umweltverband hatte sich kurz vor Beginn aus dem offiziellen Programm der Buga zurückgezogen. „Nicht nachhaltig genug, dafür wollten wir unser Logo und unseren Namen nicht hergeben“, fasst er die Begründung zusammen.
Wichtig für die Stadtentwicklung
Dass dort, wo vor zehn Jahren noch amerikanische Kasernen waren, jetzt eine große, freie und grüne Fläche entstanden ist, findet Wolfgang Schuy aber trotzdem „richtig gut“: „Das ist ein wichtiges Projekt für die Stadtentwicklung“, sagt Schuy. Einige kritische Töne lässt er in seinem Loblied aber schon mal anklingen. Stichwort: mexikanisches Federgras. Doch dazu später.
Ursula Moritz wohnt erst seit rund zwei Jahren in Mannheim. Sie hat die Misstöne der Auseinandersetzungen um den Bürgerentscheid zur Buga im Jahr 2013 sowie die folgenden Diskussionen um Einbeziehung oder Nicht-Einbeziehung der Feudenheimer Au seinerzeit nicht mitbekommen und fühlt sich stattdessen vom harmonischen Miteinander auf dem Experimentierfeld Spinelli beflügelt.
Stimmung auf Spinelli „so toll“
„Die Stimmung auf Spinelli ist so toll“, sagt sie – und muss es wissen: Mit ihrem Verein „Naturgarten“ ist sie fast täglich vor Ort im Mustergarten des Experimentierfelds, wo man zwischen den Parzellen des Weltackers, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und den Naturfreunden einen mit heimischen Arten bepflanzten, modellierten und unter Verzicht auf Chemie, Torf, Zement und PVC angelegten Mustergarten besichtigen und sich Informationen holen kann.
„Es ist so wichtig, was hier passiert“, sagt sie, „dass trotz der Klimakrise Lösungen aufgezeigt werden und Mut gemacht wird“ – also Zukunftsmusik im besten Sinne, die hier gespielt wird.
Invasive Arten ernst nehmen
„Die Problematik der invasiven Arten wird aber nicht ernst genug genommen“, erklärt Ursula Moritz auf dem langen, schattenlosen Marsch in Richtung Panoramasteg. Am Augewässer machen sich Nilgänse breit, die eigentlich bejagt werden müssten. Bei den Pflanzen lasse sich auf der Spinelli-Freifläche bestens beobachten, wie schnell bestimmte Arten Fuß fassen. Der ursprünglich aus China stammende Götterbaum, die am schnellsten wachsende Baumart, ist stark vertreten und sprießt auch in den Schotter-Biotopen der ehemaligen Gleisbetten.
Ähnliches ist laut Moritz auch für Brombeersträucher zu sagen, die gerade dort, wo es absinkende Grundwasserspiegel Bäumen und anderen Gehölzen schwer machen, das Terrain für sich behaupten. Ein Phänomen, dass vor allem Forstbetrieben landauf, landab zu schaffen macht.
Die Spinelli-Freifläche soll zudem als Eldorado für am Boden brütende Vögel erhalten bleiben, erklären die drei Naturschützer und pochen auf Pflegepläne, die für das Areal verfügt wurden – unter anderem im Zusammenhang mit dem Radschnellweg. Deren Ausführung und Überwachung sei aber noch „völlig offen“. Zumal es dabei nicht nur darum gehe, wuchernde Brombeeren oder Götterbäume herauszureißen, auch Hunde müssten beispielsweise ferngehalten werden.
Beliebt bei Blumengärtnern
Jetzt aber zum mexikanischen Federgras, das Wolfgang Schuy so stört. Die Ziergras-Art, hübsch anzuschauen und deswegen auch bei Blumengärtnern sehr beliebt, verbreitet sich ähnlich rasend schnell wie der Götterbaum und verdrängt andere, für Insekten nahrhafte Gräser. Und noch ein Beispiel treibt Wolfgang Schuy um. Am Haupteingang, außerhalb des umzäunten Buga-Geländes, stehen Goldgleditschie und Roteiche beispielhaft als Zukunftsbäume. Beide gelten aber als invasive Arten und sollten deswegen, so Schuy, nicht auch noch in großer Zahl gepflanzt werden.
Zu kurz kommt den Naturschützern die Wildbiene auf der Buga. Selbst bei der eigens angelegten Demofläche Hektar für Nektar stehen Bienenstöcke. Zwar müssten auch Honigbienen geschützt und ihre Haltung gefördert werden, erklärt Moritz. Viel stärker bedroht seien aber Wildbienen, von denen es noch ungefähr 150 verschieden Arten gibt.
Wir sind beim Rundgang inzwischen auf dem Panoramasteg und damit bei kritischen Tönen von grundsätzlicher Natur angekommen: „Eine völlige Fehlplanung, die enorme Schäden verursacht hat“, wechselt Wolfgang Schuy abrupt von Jubelarie zu Klagelied. Immerhin diene der Steg später als Querungsmöglichkeit über den Autoverkehr am Aubuckel, zeigt sich Rolf Dieter, den die Buga-Vergangenheitsbewältigung sichtlich aufregt, überraschend besänftigend.
Ursula Moritz weist derweil nach unten und erinnert an die geschützte Orchideenart Bienenragwurz, die dem Augewässer, dem Radschnellweg und dem Panoramasteg weichen musste. „Die Pflanzen wurden mit viel Bodenaushub ausgegraben und in einer Gärtnerei eingelagert“, erklärt sie. Wie’s mit ihnen weitergehen soll – man wisse es noch nicht, leider. Genaugenommen gebe es im Umfeld gar kein geeignetes Gelände mehr für die Orchideen.
Augewässer zu groß
Überhaupt, das Augewässer: Es hätte viel kleiner ausfallen müssen, meint Ursula Moritz. Schuy fügt hinzu: „Und weil zur Bewässerung der Buga soviel Wasser abgepumpt wird, ist der See noch gar nicht voll gewesen.“ Dass Bachlauf und Augewässer quasi als alter Neckararm ausgegeben werden, findet Rolf Dieter höchst kritikwürdig: „Hier wurde in den 1920er Jahren der Aushub vom Bau des Kanals angeschüttet, hier ist kein natürliches Schwemmland.“
Wie auch immer – Ursula Moritz lässt noch einmal hoffnungsvolle Töne anklingen und lenkt den Blick in die Weite der Au: „Sehen sie die beiden Fledermaustürme? Wir hoffen, dass diese Türme von Fledermäusen auch bald angenommen werden.“ Warum die nachtaktiven Hautflügler mit dem feinen Gehör bislang noch nicht so richtig auf die eigens errichteten hölzernen Gestelle fliegen, ist nicht klar. Am Chor, der den Verkehrsminister bei seinem Besuch am Morgen beschallte, kann’s kaum liegen: Der ist nämlich nach dem Wissing-Auftritt sang- und klanglos wieder abgezogen.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Nach der Mannheimer Buga: Naturschutz muss gewährleistet sein