Die Terror-Anschläge vom 11. September 2001 haben sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingeprägt. Das ist in Mannheim nicht anders als in Flensburg. Aber haben Menschen, die selbst in einem Hochhaus leben, die entsetzlichen Ereignisse in den USA nochmals anders erlebt? Fühlten sie sich den New Yorkern besonders verbunden? „Ja, ich denke schon“, sagt Ludwig Ehrly. Er wohnt seit 23 Jahren im höchsten Haus Mannheims, dem Collini-Center am Neckarufer.
„Die Situation, in einem Gebäude zu sein, wo man nicht mit einem Schritt auf der Straße und im Katastrophenfall möglicherweise gefangen ist, dieser Gedanke verbindet schon“, sagt Ehrly. Und er gesteht offen: „Mich hat das damals auch ein bisschen mitgenommen.“
„Ich kann mich erinnern“, erzählt er 20 Jahre später, „dass ich tagelang, vielleicht auch wochenlang immer diesen Gedanken hatte: Was wäre denn, wenn das jetzt bei uns passiert?“ Zwar lebt er im zweiten Stock, also ziemlich weit unten. Dennoch habe er immer mal wieder gedacht: „Wenn jetzt oben ein Flugzeug rein rast, und das Haus stürzt zusammen, und du liegst unter diesem Riesen-Trümmerhaufen, und es findet dich keiner – den Gedanken hatte ich schon.“ Natürlich weiß und wusste er, dass das extrem unwahrscheinlich ist. „Aber von der subjektiven Empfindung her war es bei mir schon nah und nachhaltig. Weil mir vorher gar nicht bewusst war, was alles passieren kann.“
Ob es anderen Mitbewohnern eventuell ähnlich ergangen ist, kann er nicht sagen. Zumindest seien die Anschläge im Collini-Center nicht anders diskutiert worden als anderswo. Auch kenne er niemanden, der deswegen ausgezogen sei. Daran kann sich Olaf Krönung ebenfalls nicht erinnern. Und er müsste es eigentlich wissen. Schließlich kümmert sich der mehrfache Handwerksmeister schon seit 40 Jahren um das Collini-Center: früher um die Reparaturen und Erneuerungen, seit 17 Jahren um die Vermietungen. An den Tag kann sich der 68-Jährige aber noch genau erinnern. „Natürlich!“ Über die Medien hat er von den Anschlägen erfahren. „Und dann hat man Fernsehen geguckt.“
Krönung glaubt nicht, dass die Bewohner des Collini-Centers betroffener waren als alle anderen. „Vielleicht kam beim einen oder anderen der Gedanke auf: Oh Gott, wenn das bei uns passieren würde.“ Aber im Haus sei über die Attentate „auch nicht mehr oder weniger geredet worden als überall“. Natürlich gebe es Menschen, die nicht in einem Hochhaus leben wollten. „Aber nicht wegen dem 11. September.“
So sieht es auch ein Hochhaus-Bewohner auf der anderen Seite des Neckars, der anonym bleiben möchte. Nur dass er schon sehr lange und ziemlich weit oben in einem der drei Häuser der Neckaruferbebauung wohnt – Mannheims zweithöchste Gebäude –, kann man schreiben. Und dass er mit seiner Frau nur wenige Monate vor der Katastrophe noch auf dem World Trade Center war. „Das war Wahnsinn. Das war mehr als dreimal so hoch wie hier.“
Befürchtungen oder gar Angst hätten er und seine Frau nach den Anschlägen jedoch nicht gehabt: „Mir war eigentlich relativ schnell klar, dass die unsere Häuser hier nicht angreifen“, erzählt er. „Die wollten in der ganzen Welt gesehen werden. Die wollten Amerika schaden.“ Entsprechend stand für ihn fest: „Uns wollen sie nicht.“
Er sagt aber auch: „Ich kann mir schon vorstellen, dass gerade Menschen, die mehr von der Empfindung ausgehen und vielleicht alleine sind und wenig Möglichkeiten haben, darüber zu sprechen, dass die schon Probleme hatten, damit fertig zu werden.“ Realistisch betrachtet gab und gebe es jedoch keinen Grund zur Sorge, betont er: „Sonst dürfte man auch nicht mehr mit dem Flugzeug über die Alpen fliegen oder auf Weihnachtsmärkte gehen“, spielt er auf andere Dramen an.
Und so genießt das Paar weiter das Hochhaus-Leben. Schon als sie zum ersten Mal den Ausblick sahen, stand für sie fest: „Hier bleiben wir. Hier kriegt uns keiner mehr raus.“
Auch Ludwig Ehrly hat nie über einen Auszug nachgedacht: „Ich habe mir damals die Wahrscheinlichkeit ausgerechnet, mit der so etwas passieren kann. Das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie dass dich ein Meteorit trifft.“ Längst kann er die Geschichte sorgenlos erzählen: „Der Kopf siegt mit der Zeit.“ Und so ist er nach wie vor ein überzeugter Hochhaus-Bewohner: „Insgesamt ist es ein angenehmes Leben hier.“
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