Wilken Mampel lebt im Mannheimer Norden. Der Aussiedlerhof seiner Familie liegt auf dem Scharhof, direkt vor den Toren der Coleman Barracks. Seit seiner Kindheit gehören „die Amerikaner“ zu seinem Leben dazu, er geht jahrelang auf dem Kasernengelände ein und aus. Bis zu diesem Tag im September 2001: „Danach hat sich alles geändert.“
Der 51-Jährige erinnert sich noch genau an den 11. September vor 20 Jahren. „Es war ein Dienstag, wir haben geschlachtet“, sagt der Landwirt im Gespräch mit dieser Redaktion. Mampel ist mit einigen Soldaten befreundet. „Die haben sofort gesagt, dass jetzt Krieg ist, haben das als eine Kriegserklärung empfunden.“ Der Umgang mit den Soldaten ist bis dahin stets locker, schon Ende der 1990er Jahre ist ein Großteil der Soldaten abgezogen: „Man konnte ohne Kontrolle auf das Gelände. Uns ist mal ein Hund entlaufen, wir haben auf dem US-Gelände nach ihm gesucht.“ Doch nach den schrecklichen Terroranschlägen sei nichts mehr gewesen, wie es war: „Es wurden Betonwände aufgestellt, Rammschutz. Coleman war ein Hochsicherheitstrakt.“
Das bekommen die Mampels schon am Folgetag zu spüren: „Meine Mutter ist am Mittwoch in den Schweinestall gegangen, um den Kessel anzuheizen. Der liegt direkt am Kasernenzaun. Und es hat keine zwei Minuten gedauert, da stand ein amerikanischer Soldat mit Maschinenpistole neben ihr bei uns im Stall, weil der Kessel geraucht hat.“
Der Sicherheitsdienst gehört fortan zum Leben der Mampels dazu. „Wir waren der am besten bewachte Aussiedlerhof überhaupt, Diebstähle gab es nicht, so scharf waren die Kontrollen“, sagt Wilken Mampel.
Die Freundschaften, die der Mannheimer schon als Kind zu den Amerikanern hat, bestehen noch heute: „Die Soldaten konnten immer fünf oder sechs Deutsche als Besucher mit in die Kaserne nehmen, es gab Feste vom Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsverein, und ich war oft zum Bowlingspielen dort. Nach dem 11. September konnte man keine neuen Kontakte mehr knüpfen.“ Noch immer übernimmt Wilken Mampel landwirtschaftliche Arbeiten auf dem Militärgelände: „Ich werde dann stark kontrolliert, die landwirtschaftlichen Maschinen komplett durchleuchtet.“
Nur wenige Hundert Meter weiter, auf der Blumenau, ist der 11. September auch für Martina Irmscher ein denkwürdiger Tag. „Ich war zuhause, die Kinder noch klein. Mein Mann hat bei einer amerikanischen Firma gearbeitet und mich angerufen, mir gesagt, dass ich den Fernseher anmachen soll. Da habe ich live gesehen, wie das zweite Flugzeug ins World Trade Center geflogen ist. Ich war total schockiert.“ Die stellvertretende Vorsitzende der Siedler- und Eigenheimergemeinschaft Blumenau erzählt, dass es in Mannheim schon immer sehr gute Kontakte der Bevölkerung zu den Amerikanern gegeben hat: „Wir konnten zu Festen gehen. Und unser früherer Vorsitzender hatte so einen guten Draht zu den Amerikanern, dass die Army Band auf unserer Kerwe gespielt hat“, berichtet sie von Hans Böttcher, der die Siedlergemeinschaft von 1974 bis 2001 führte. Die amerikanischen Soldaten sind in den Straßen willkommene Gäste: „Sie haben unsere Gaststätten besucht, waren oft im Schützenhaus.“ Nach dem 11. September sei niemand mehr gekommen: „Alle Fäden sind abgerissen“, sagt Irmscher. „Es wäre aber schön, wenn es wieder Kontakte gäbe.“
Erik Clarke ist am 11. September auf dem Gelände der Spinelli Barracks in Feudenheim. Er kommt an diesem Tag spät zur Arbeit bei Aafees, einer Konsumgüterversorgungskette des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums, die Ladengeschäfte auf den Stützpunkten betreibt. „Meinem Kind ging es nicht gut, und als ich ankam, war niemand da, alles war leer, auch an der Kasse saß keiner.“ Im Pausenraum findet er alle Kollegen: „Alle haben Fernsehen geschaut. Und da hab ich gesehen, wie das zweite Flugzeug in den Turm geflogen ist.“
Der Veteran lebt heute in Texas, erzählt uns per Videoanruf von seinen Erinnerungen: „Alle Zivilarbeiter wurden direkt für eine Woche nach Hause geschickt. Fahrzeuge wurden untersucht, mit Hunden und Spiegeln, alle Soldaten waren schwer bewaffnet. Die ganze Welt hat sich geändert an diesem Tag.“ Die Ereignisse treffen ihn damals sehr - und auch die jüngsten Geschehnisse in Afghanistan reißen alte Wunden auf: „Mein Sohn hat da gekämpft, mein Vater, ich. Drei Generationen im selben Krieg, der 20 Jahre gedauert hat.“
Die Bilder vom 11. September bekommt er nicht aus seinem Kopf, sagt er, und atmet tief durch: „Die ganze Welt hat gesehen, wie Menschen aus dem Hochhaus springen, weil sie wissen, dass sie sterben.“ Clarke muss 2002 in die USA zurück. Er ist mit 43 Jahren Rentner - die Verletzungen an Körper und Seele sind zu groß. „Aber Deutschland, das hat immer Spaß gemacht.“ Kontakt hierher hat er noch: Seine Tochter lebt in der Nähe, macht eine Ausbildung zur Krankenschwester.
Carlos Negron kommt direkt nach seinem Einsatz im Irak nach Mannheim, arbeitet auf Spinelli. „Wir waren mit ein paar Jungs auf dem Weg in die Pause“, weiß der 54-Jährige vom 11. September. An einem der Aufenthaltsräume seien sie stehengeblieben, um zu fragen, ob noch mehr mitkommen möchten. „Als wir die Bilder eines in ein Gebäude fliegenden Flugzeuges sahen, fragten wir, welchen Film sie sich da um diese Uhrzeit anschauen. Leider war es kein Film.“
Die Soldaten holen sich schnell ihr Essen - und verbringen die Pause vor dem Fernseher. „Eine Stunde später war der Stützpunkt im Lockdown. Wir durften ihn für drei Tage nicht verlassen, selbst wenn wir, wie ich, eine Wohnung außerhalb der Base hatten.“ Die Soldaten kommen in der Kaserne in den Zimmern anderer Soldaten unter oder schlafen im Keller in Feldbetten: „Außerdem wurden Wachposten um die Base eingerichtet, die Stützpunkte und Housing-Areas wurden umzäunt. Es war Deutschen nicht mehr möglich, den Stützpunkt oder die Wohngebiete ohne Kontrollen zu betreten“, sagt Negron, der in der Region lebt. „Alles veränderte sich. Wir wurden gewarnt, den Stützpunkt nur wenn unbedingt notwendig zu verlassen, aus Angst vor Anschlägen gegen uns als US-Militärangehörige.“
Auch für ihn markieren diese Ereignisse den Beginn einer Zeit, in der Menschen in Sorge vor Anschlägen leben: „Es war das Ende des zuvor lockeren Umgangs zwischen Deutschen und Amerikanern rund um den Stützpunkt. Es war Deutschen nicht mehr möglich, einfach mal so auf das Gelände zu kommen. Das hat die deutsch-amerikanische Freundschaft zwischen Soldaten und deutschen Zivilisten rund um die Stützpunkte erschwert.“
Auch Wilken Mampel denkt gern an die Zeit vor dem 11. September zurück, in der es herzliche Kontakte zu den Amerikanern gibt. Doch „seinen“ Beitrag zur Völkerverständigung hat er geleistet - und dieser dauert bis heute an: Denn einer der Soldaten auf Coleman, Darren Porter, hat auf dem Mampelhof die Liebe gefunden und heiratete Hof-Mitarbeiterin Martina 1988: „Sie sind später nach Kentucky gezogen, kommen aber immer wieder mal zu Besuch.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Deutsch-amerikanische Freundschaft - eine bleibende Beziehung