Da ist diese eigentlich unglaubliche Vorstellung, dass zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center in New York donnern, sie zum Einstürzen bringen und Tausende Menschen töten. Und da ist die Angst. Die Angst davor, welche Folgen das haben wird. Für die weltpolitische Lage und für das Zusammenleben der Menschen. Fassungslosigkeit und Angst, das sind auch die Gefühle der Mannheimerinnen und Mannheimer an jenem 11. September 2001. Zwei Bilder, die der „MM“ am Tag nach den Terroranschlägen im Mannheim-Teil veröffentlicht, stehen stellvertretend dafür.
Das eine zeigt Passanten, die an jenem Dienstag wie angewurzelt auf einen Bildschirm im Schaufenster des „Pro Markt“ auf den Planken starren - als der Süd-Turm in New York einstürzt, ist es in Mannheim 16 Uhr. Das andere Bild stammt vom Benjamin Franklin Village in Käfertal, damals Europas größtes Wohngebiet von US-Soldaten und ihren Familien. Es zeigt die Kontrolle von Autos an einer Zufahrt. Die Folge der Anordnung der hiesigen US-Militärpolizei nach den Anschlägen. Die lautet: höchste Alarmstufe für die neun US-Einrichtungen in der Stadt.
„Das erdrückt mich“, wird im „MM“ eine Mannheimerin zitiert, die auf den Bildschirm im Schaufenster des „Pro Markt“ starrt. „Das ist doch Wahnsinn, reiner Wahnsinn“, sagt eine andere Passantin. Noch am selben Tag schreibt der damalige Oberbürgermeister Gerhard Widder einen Brief an Marylin Quagliotti, die Kommandantin der US-Garnison Mannheim mit ihren rund 15 000 Bürgerinnen und Bürgern. Widder drückt darin sein „tiefes Mitempfinden mit den Angehörigen der Opfer und dem amerikanischen Volk“ aus. Mit unfassbarer Trauer blicke die Stadt auf die entsetzlichen Ereignisse in den USA. Bekir Alboga, damals Vorsitzender des Mannheimer Migrationsbeirats, sagt dem „MM“: „Meine Hände zittern, und ich bete zu Gott, dass der Weltfrieden nicht in Gefahr kommt. Und ich hoffe mit Inbrunst, dass die Terroristen sich nicht den Deckmantel des Islam umhängen werden.“ Genau das tun sie.
Am Tag nach den Anschlägen läuten um 13 Uhr in allen evangelischen und katholischen Kirchen in Mannheim die Glocken - zum Gedenken an die Opfer. Schon morgens verschickt das Staatliche Schulamt ein Fax an die Mannheimer Schulleiterinnen und Schulleiter mit der Bitte, die Lehrer sollten mit den Kindern über deren Ängste durch die Anschläge sprechen. „In unserer Klasse war die Stimmung richtig deprimiert - es gab auch Ängste, dass ein Krieg kommen könnte“, berichtet damals ein 15-Jähriger. Ihm habe sich vor allem ein Bild aus den Nachrichten eingebrannt: „Wie ein verzweifelter Mann aus einem oberen Stockwerk des Hochhauses gesprungen ist.“
Es gibt in Mannheim aber offenbar auch welche, die Panik verbreiten wollen. Am Tag nach den Anschlägen meldet sich um 9.39 Uhr beim Notruf ein Unbekannter und sagt, im 15-stöckigen MVV-Hochhaus am Luisenring werde eine Bombe hochgehen. Mehre Hundert Mitarbeiter müssen das Gebäude verlassen. Die Mannheimer Polizei und ein US-Militärpolizist durchsuchen das Hochhaus von unten bis oben. Zwei Stunden später geben sie Entwarnung - keine Bombe.
Am 13. September steht in Mannheim um 10 Uhr zum Gedenken das ganze Leben für fünf Minuten still - Straßenbahnen halten an, Schüler legen die Stifte aus der Hand, beim Benz auf dem Waldhof werden die Montagebänder kurz abgeschaltet. Abends laden die beiden Kirchen gemeinsam mit Christlich-Jüdischer Gesellschaft und Christlich-Islamischer Gesellschaft zum Trauergottesdienst in die Konkordienkirche ein. Der Handel legt in seinem Geschäften Kondolenzlisten auf, in die sich mehr als 20 000 Menschen eintragen.
Das für das Wochenende nach den Anschlägen geplante Braufest bei Eichbaum wird abgesagt, ebenso der Aktionstag „300 Jahre öffentliches Gesundheitswesen“ am Klinikum - vielen ist nicht nach feiern zumute. Andere finden, dass man sich gerade jetzt nicht beugen dürfe. „Eine Hand voll Terroristen darf nicht die Macht haben, überall in der Welt in das wirtschaftliche und kulturelle Leben einzugreifen“, zitiert der „MM“ einen Disco-Betreiber.
Ähnlich wird ein halbes Jahr später argumentiert, als im Benjamin Franklin Village die nächste Auflage des traditionellen deutsch-amerikanischen Volksfests eröffnet wird. Aber die Unbeschwertheit ist weg. Ende 2011, als die US-Armee die Garnison Mannheim schließt, sind im „MM“ diese Sätze zu lesen: „Bis zu den Terroranschlägen des 11. September war die deutsch-amerikanische Freundschaft gelebter Alltag. Danach machten die strengen Sicherheitsvorkehrungen das Miteinander zusehends mühsamer.“
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